Urteilsanalyse

Form­er­for­der­nis nach § 559b Abs. 1 Satz 2 BGB ist kein Selbst­zweck
Urteilsanalyse
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Bei der Be­ur­tei­lung der for­mel­len An­for­de­run­gen an eine Miet­erhö­hungs­er­klä­rung ist zu be­ach­ten, dass das Form­er­for­der­nis nach § 559b Abs. 1 Satz 2 BGB kein Selbst­zweck ist. Viel­mehr kommt es nach An­sicht des BGH ent­schei­dend dar­auf an, ob für den Mie­ter mit der ge­for­der­ten In­for­ma­ti­on - eben­so wie im Rah­men eines Miet­erhö­hungs­ver­lan­gens nach §§ 558 ff. BGB oder auch einer Be­triebs­kos­ten­ab­rech­nung nach § 556 Abs. 3 BGB - ein ma­ß­geb­li­cher Er­kennt­nis­wert ver­bun­den ist.

19. Jan 2023

An­mer­kung von
Rechts­an­walt Ni­ko­lay Pra­ma­tar­off, Rechts­an­wäl­tin Fran­zis­ka Bordt, Rechts­an­wäl­te Bub, Mem­min­ger & Part­ner, Mün­chen

Aus beck-fach­dienst Miet- und Woh­nungs­ei­gen­tums­recht 01/2023 vom 19.01.2023

Diese Ur­teils­be­spre­chung ist Teil des zwei­wö­chent­lich er­schei­nen­den Fach­diens­tes Miet- und Woh­nungs­ei­gen­tums­recht. Neben wei­te­ren aus­führ­li­chen Be­spre­chun­gen der ent­schei­den­den ak­tu­el­len Ur­tei­le im Miet- und Woh­nungs­ei­gen­tums­recht be­inhal­tet er er­gän­zen­de Leit­satz­über­sich­ten und einen Über­blick über die re­le­van­ten neu er­schie­ne­nen Auf­sät­ze. Zudem in­for­miert er Sie in einem Nach­rich­ten­block über die wich­ti­gen Ent­wick­lun­gen in Ge­setz­ge­bung und Pra­xis. Wei­te­re In­for­ma­tio­nen und eine Schnell­be­stell­mög­lich­keit fin­den Sie unter www.​beck-​online.​de

Sach­ver­halt

Die Klä­ge­rin ist Mie­te­rin einer preis­frei­en Woh­nung der Be­klag­ten in Ber­lin. Die Be­klag­te teil­te der Klä­ge­rin mit Schrei­ben vom 28.05.2018 mit, dass sich die mo­nat­lich zu zah­len­de Grund­mie­te in­fol­ge von Mo­der­ni­sie­rungs­maß­nah­men um 82 EUR er­hö­he. Dem Schrei­ben war eine An­la­ge bei­ge­fügt, die weit­ge­hend in ta­bel­la­ri­scher Form An­ga­ben über die durch­ge­führ­ten Mo­der­ni­sie­rungs­maß­nah­men (Ein­bau einer Gas­brenn­wert­zen­tral­hei­zungs­an­la­ge sowie Wär­me­däm­mung des Dach­bo­dens und der obers­ten Ge­schoss­de­cke), die hier­für je­weils an­ge­fal­le­nen Ge­samt­kos­ten nebst se­pa­rat aus­ge­wie­se­nen Bau­neben­kos­ten, die von die­sen Sum­men in Abzug zu brin­gen­den In­stand­hal­tungs­kos­ten sowie den ver­blei­ben­den um­la­ge­fä­hi­gen Mo­der­ni­sie­rungs­kos­ten­an­teil, den - an­hand der Wohn­flä­che der Woh­nung der Klä­ge­rin (54,81 m²) im Ver­hält­nis zu der Ge­samt­wohn­flä­che (8.490,77 m²) er­mit­tel­ten - auf die Klä­ge­rin ent­fal­len­den Mo­der­ni­sie­rungs­kos­ten­an­teil sowie die sich dar­aus er­ge­ben­de Be­rech­nung der Miet­erhö­hung und den ver­lang­ten Be­trag ent­hält.

Mit der vor­lie­gen­den Klage be­gehrt die Klä­ge­rin die Fest­stel­lung, dass der Be­klag­ten aus der Miet­erhö­hungs­er­klä­rung kein An­spruch auf Zah­lung einer er­höh­ten Miete zu­steht. So­wohl das Amts­ge­richt als auch das Be­ru­fungs­ge­richt haben der Klä­ge­rin Recht ge­ge­ben. Hier­ge­gen rich­tet sich die Re­vi­si­on der Be­klag­ten.

Ent­schei­dung

Die Re­vi­si­on hat Er­folg.

Nach § 559 Abs. 1 BGB aF könne der Ver­mie­ter nach der Durch­füh­rung be­stimm­ter Mo­der­ni­sie­rungs­maß­nah­men die jähr­li­che Miete um 11 % der für die Woh­nung auf­ge­wen­de­ten Kos­ten er­hö­hen. Gemäß § 559b Abs. 1 BGB sei die Miet­erhö­hung dem Mie­ter in Text­form zu er­klä­ren, wobei die Er­hö­hung auf­grund der ent­stan­de­nen Kos­ten zu be­rech­nen und ent­spre­chend den Vor­aus­set­zun­gen der § 559 BGB aF, § 559a BGB zu er­läu­tern sei.

Die­sen An­for­de­run­gen werde die hier zu be­ur­tei­len­de Miet­erhö­hungs­er­klä­rung ge­recht. Weder fehle es an einer aus­rei­chen­den Dar­le­gung, in­wie­fern die durch­ge­führ­ten bau­li­chen Ver­än­de­run­gen eine nach § 559 Abs. 1 BGB aF be­rück­sich­ti­gungs­fä­hi­ge Mo­der­ni­sie­rungs­maß­nah­me dar­stel­len, noch man­ge­le es an den wei­te­ren auf­ge­zeig­ten for­mel­len Vor­aus­set­zun­gen. Ins­be­son­de­re sei die Er­hö­hungs­er­klä­rung nicht etwa des­halb in for­mel­ler Hin­sicht un­wirk­sam, weil die Be­klag­te die für die ver­schie­de­nen Mo­der­ni­sie­rungs­maß­nah­men je­weils ent­stan­de­nen Ge­samt­kos­ten im Rah­men der Kos­ten­zu­sam­men­stel­lung und Be­rech­nung der Miet­erhö­hung nicht nach den ein­zel­nen an­ge­fal­le­nen Ge­wer­ken auf­ge­schlüs­selt oder an­der­wei­tig un­ter­glie­dert habe.

Eine Un­ter­glie­de­rung der für eine Mo­der­ni­sie­rungs­maß­nah­me ent­stan­de­nen Ge­samt­kos­ten in die Kos­ten der ein­zel­nen Ge­wer­ke sei grund­sätz­lich auch dann nicht ge­bo­ten, wenn sich ein be­stimm­tes im Zuge der Bau­maß­nah­men aus­ge­führ­tes Ge­werk über­grei­fend auf meh­re­re Mo­der­ni­sie­rungs­maß­nah­men be­zie­he und die Kos­ten die­ses Ge­werks daher zwecks Zu­ord­nung zu den ein­zel­nen Mo­der­ni­sie­rungs­maß­nah­men auf­ge­teilt wer­den müs­sen. Denn auch in die­sem Fall führe die An­ga­be der für die ein­zel­nen Ge­wer­ke an­ge­fal­le­nen Kos­ten nicht zu einem ma­ß­geb­li­chen Er­kennt­nis­ge­winn für den Mie­ter. Auch könne der Mie­ter aus der Kos­ten­auf­schlüs­se­lung keine trag­fä­hi­gen Rück­schlüs­se auf einen in den Ge­samt­kos­ten für die ein­zel­ne Mo­der­ni­sie­rungs­maß­nah­me ent­hal­te­nen In­stand­set­zungs­an­teil zie­hen, weil bei einer mo­der­ni­sie­ren­den Er­neue­rung von be­stimm­ten Bau­tei­len oder Ein­rich­tun­gen re­gel­mä­ßig nicht etwa ein­zel­ne Ge­wer­ke oder auch nur von­ein­an­der trenn­ba­re Ar­beits­schrit­te für die Er­hal­tung ei­ner­seits und die Mo­der­ni­sie­rung an­de­rer­seits an­fal­len, son­dern die Bau­maß­nah­me im Gan­zen dazu führe, dass eine an­dern­falls etwa er­for­der­li­che Er­hal­tungs­maß­nah­me ent­behr­lich wird.

Zudem wür­den die Er­läu­te­rung gemäß § 559b Abs. 1 Satz 2 BGB nicht dazu die­nen, dem Mie­ter eine um­fas­sen­de Kon­trol­le der in­halt­li­chen Rich­tig­keit der vom Ver­mie­ter er­mit­tel­ten Miet­erhö­hung zu er­mög­li­chen, son­dern müss­ten le­dig­lich den Zweck er­fül­len, dass der Mie­ter den Grund und den Um­fang der Miet­erhö­hung als plau­si­bel nach­voll­zie­hen könne. Die­ser Zweck werde durch die An­ga­be der Ge­samt­kos­ten für jede ein­zel­ne Mo­der­ni­sie­rungs­maß­nah­me hin­rei­chend er­füllt. Das Form­er­for­der­nis nach § 559b Abs. 1 Satz 2 BGB sei kein Selbst­zweck.

Es sei daher aus­rei­chend, wenn der Ver­mie­ter in der Er­hö­hungs­er­klä­rung - wie hier ge­sche­hen - die für eine be­stimm­te Mo­der­ni­sie­rungs­maß­nah­me an­ge­fal­le­nen Kos­ten als Ge­samt­sum­me aus­wei­se und einen sei­ner Mei­nung nach in den Ge­samt­kos­ten ent­hal­te­nen In­stand­set­zungs­an­teil durch die An­ga­be einer Quote oder - wie hier - eines be­zif­fer­ten Be­trags kennt­lich mache. Das gelte erst recht, wenn der Ver­mie­ter - wie hier - die Er­mitt­lung der Höhe des In­stand­set­zungs­an­teils zu­sätz­lich er­läu­te­re.

Pra­xis­hin­weis

Mit die­ser Ent­schei­dung führt der BGH seine Recht­spre­chung zu den for­mel­len An­for­de­run­gen an die Miet­erhö­hungs­er­klä­rung nach der Durch­füh­rung von Mo­der­ni­sie­rungs­maß­nah­men fort (im An­schluss an BGH, Ur­teil vom 20.07.2022 - VIII ZR 361/21, BeckRS 2022, 20586 und BGH, Ur­teil vom 28.09.2022 - VIII ZR 336/21, BeckRS 2022, 31477, be­spro­chen in Pra­ma­tar­off/Bordt FD-MietR 2022, 454472) und stellt aus­drück­lich klar, dass das Form­er­for­der­nis nach § 559b Abs. 1 Satz 2 BGB kein Selbst­zweck ist (vgl. hier­zu be­reits BGH, Ur­teil vom 13.06.2012 - VIII ZR 311/11, BeckRS 2022, 18).

Diese An­sicht über­zeugt; die for­mel­len An­for­de­run­gen an die Miet­erhö­hungs­er­klä­rung dür­fen nicht über­spannt wer­den und auch dem Ver­mie­ter durch zu stren­ge An­for­de­run­gen an die Er­klä­rung die Wahr­neh­mung sei­ner In­ter­es­sen un­zu­mut­bar ge­macht wer­den. Denn weder der Wort­laut noch der Sinn und Zweck der ge­setz­li­chen Re­ge­lun­gen for­dern, dass der Ver­mie­ter in der Er­hö­hungs­er­klä­rung die für ver­schie­de­ne Mo­der­ni­sie­rungs­maß­nah­men an­ge­fal­le­nen Ge­samt­kos­ten nach ein­zel­nen Po­si­tio­nen auf­schlüs­selt. Ent­schei­den ist folg­lich al­lein, ob für den Mie­ter mit der ge­for­der­ten In­for­ma­ti­on ein ma­ß­geb­li­cher Er­kennt­nis­wert ver­bun­den ist (so auch für das Miet­erhö­hungs­ver­lan­gen nach §§ 558 ff. BGB: BGH, Ur­teil vom 06.04.2022 - VIII ZR 219/20, BeckRS 2022, 11535 und für die Be­triebs­kos­ten­ab­rech­nung nach § 556 Abs. 3 BGB: BGH, Ur­teil vom 20.01.2016 - VIII ZR 93/15, BeckRS 2016, 2369). Wünscht der Mie­ter wei­ter­ge­hen­de Aus­künf­te, ist er auf sein Recht auf Be­le­gein­sicht ver­wie­sen.

BGH, Ur­teil vom 23.11.2022 - VIII ZR 59/21 (LG Ber­lin), BeckRS 2022, 38167