Urteilsanalyse

For­de­run­gen nach § 64 GmbHG sind von der D&O-Ver­si­che­rung in der Regel ge­deckt
Urteilsanalyse
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Der in § 64 Satz 1 GmbHG ge­re­gel­te An­spruch der Ge­sell­schaft gegen die Ge­schäfts­füh­rer auf Er­satz von nach Ein­tritt der Zah­lungs­un­fä­hig­keit der Ge­sell­schaft oder nach Fest­stel­lung ihrer Über­schul­dung ge­leis­te­ten Zah­lun­gen ist nach einem Ur­teil des BGH vom 18.11.2020 ein ge­setz­li­cher Haft­pflicht­an­spruch auf Scha­dens­er­satz im Sinne von Zif­fer 1.1 ULLA.

8. Jan 2021

An­mer­kung von

Rechts­an­walt Kars­ten Kie­sel, Schult­ze & Braun GmbH Rechts­an­walts­ge­sell­schaft

Aus beck-fach­dienst In­sol­venz­recht 25/2020 vom 18.12.2020

Diese Ur­teils­be­spre­chung ist Teil des zwei­wö­chent­lich er­schei­nen­den Fach­diens­tes Miet- und Woh­nungs­ei­gen­tums­recht. Neben wei­te­ren aus­führ­li­chen Be­spre­chun­gen der ent­schei­den­den ak­tu­el­len Ur­tei­le im Miet- und Woh­nungs­ei­gen­tums­recht be­inhal­tet er er­gän­zen­de Leit­satz­über­sich­ten und einen Über­blick über die re­le­van­ten neu er­schie­ne­nen Auf­sät­ze. Zudem in­for­miert er Sie in einem Nach­rich­ten­block über die wich­ti­gen Ent­wick­lun­gen in Ge­setz­ge­bung und Pra­xis. Wei­te­re In­for­ma­tio­nen und eine Schnell­be­stell­mög­lich­keit fin­den Sie unter www.​beck-​online.​de

Sach­ver­halt

Der kla­gen­de In­sol­venz­ver­wal­ter nimmt die Be­klag­ten aus ab­ge­tre­te­nem Recht auf Ver­si­che­rungs­leis­tun­gen aus einer D&O-Ver­si­che­rung in An­spruch.

Die In­sol­venz­schuld­ne­rin hatte mit der Be­klag­ten einen Ver­si­che­rungs­ver­trag über eine D&O-Ver­si­che­rung ge­schlos­sen, dem die All­ge­mei­nen Ver­si­che­rungs­be­din­gun­gen der Be­klag­ten für die Ver­mö­gens­scha­den-Haft­pflicht­ver­si­che­rung von Un­ter­neh­mens­lei­tern und Lei­ten­den An­ge­stell­ten (ULLA) zu­grun­de lagen. Nach Er­öff­nung des In­sol­venz­ver­fah­rens mach­te der Klä­ger gegen den Ge­schäfts­füh­rer der In­sol­venz­schuld­ne­rin An­sprü­che nach § 64 Satz 1 GmbHG wegen nach Ein­tritt der In­sol­venz­rei­fe noch er­folg­ter Zah­lun­gen gel­tend. Der Ge­schäfts­füh­rer hatte dar­auf­hin seine De­ckungs­an­sprü­che gegen die Ver­si­che­rung an den Klä­ger ab­ge­tre­ten.

Die Be­klag­te mach­te gel­tend, An­sprü­che nach § 64 Satz 1 GmbHG seien nicht vom Ver­si­che­rungs­schutz er­fasst. Nach ihrer Auf­fas­sung han­delt es sich um einen „Er­satz­an­spruch ei­ge­ner Art“ und nicht um einen ge­setz­li­chen Haft­pflicht­an­spruch auf Scha­dens­er­satz im Sinne der ULLA. Die Be­klag­te meint, den Ver­trag wirk­sam an­ge­foch­ten zu haben und er­hebt den Ein­wand einer wis­sent­li­chen Pflicht­ver­let­zung.

Die Klage blieb in den Vor­in­stan­zen ohne Er­folg. Die Re­vi­si­on führt zur Zu­rück­ver­wei­sung an das Be­ru­fungs­ge­richt.

Ent­schei­dung

Die Aus­le­gung der Ver­si­che­rungs­be­din­gun­gen der Be­klag­ten er­ge­be, dass es sich bei dem in § 64 Satz 1 GmbHG ge­re­gel­ten An­spruch um einen ge­setz­li­chen Haft­pflicht­an­spruch auf Scha­den­er­satz im Sinne der Ver­si­che­rungs­be­din­gun­gen der Be­klag­te hand­le.

Die Pflicht zum Er­satz der Zah­lun­gen durch den Ge­schäfts­füh­rer knüp­fe die Be­stim­mung un­ab­hän­gig vom Wil­len der Be­tei­lig­ten als Rechts­fol­ge an das Vor­lie­gen einer mas­se­schmä­lern­den Zah­lung. Der Ver­si­cher­te werde somit im Sinne der Ver­si­che­rungs­be­din­gun­gen auf­grund ge­setz­li­cher Haf­tungs­be­stim­mun­gen in An­spruch ge­nom­men.

Der An­spruch aus § 64 Satz 1 GmbHG sei auch als Scha­dens­er­satz­an­spruch im Sinne der Ver­si­che­rungs­be­din­gun­gen an­zu­se­hen. Der in den Ver­si­che­rungs­be­din­gun­gen ver­wen­de­te Aus­druck „Scha­dens­er­satz“ ver­wei­se nicht auf den Be­reich der Rechts­spra­che, son­dern um­schrei­be um­gangs­sprach­lich den Aus­druck eines er­lit­te­nen Nach­teils. Der durch­schnitt­li­che Ver­si­che­rungs­neh­mer/Ver­si­cher­te würde nach dem Wort­laut der Ver­si­che­rungs­be­din­gun­gen den Ver­si­che­rungs­schutz er­war­ten, wenn der An­spruch auf Aus­gleich des ein­ge­tre­te­nen Scha­dens im Wege der Wie­der­her­stel­lung des Zu­stands vor dem Scha­den­er­eig­nis ge­rich­tet sei. Die­ses Ver­ständ­nis sei nicht ab­hän­gig von der Rechts­fol­ge der Haft­pflicht­be­stim­mung im Ge­setz, von der rechts­dog­ma­ti­schen Ein­ord­nung als „Er­satz­an­spruch ei­ge­ner Art“ (vgl. BGH, Urt. v. 15.3.2016 - II ZR 119/14, BeckRS 2016, 7032) oder von der Per­son, bei der ein zu er­set­zen­der Scha­den ein­tre­te. Wei­ter ent­spre­che die Ein­be­zie­hung von An­sprü­chen nach § 64 Satz 1 GmbHG dem für den Ver­si­che­rungs­neh­mer/Ver­si­cher­ten er­kenn­ba­ren Zweck des Ver­si­che­rungs­ver­tra­ges, die Ver­mö­gens­in­ter­es­sen des Ver­si­cher­ten zu si­chern.

Wegen feh­len­der Fest­stel­lun­gen zu einer wis­sent­li­chen Pflicht­ver­let­zung des Ver­si­cher­ten, zur wirk­sa­men An­fech­tung des Ver­si­che­rungs­ver­tra­ges und ggf. zu Grund und Höhe des An­spruchs nach § 64 GmbHG sei die Sache an das OLG zu­rück­zu­ver­wei­sen.

Pra­xis­hin­weis

Das Ur­teil ist für die in­sol­venz­recht­li­che Pra­xis von er­heb­li­cher Be­deu­tung. Die An­sprü­che nach § 64 Satz 1 GmbH sowie die ver­gleich­ba­ren An­sprü­che bei an­de­ren Rechts­for­men füh­ren in der In­sol­venz zu ver­hält­nis­mä­ßig ein­fach gel­tend zu ma­chen­den und hohen For­de­run­gen gegen Or­ga­ne. Ver­schie­de­ne Ober­lan­des­ge­rich­te hat­ten in den letz­ten Jah­ren trotz Kri­tik aus der Li­te­ra­tur die Auf­fas­sung ver­tre­ten, sol­che In­nen­haf­tungs­an­sprü­che gegen Or­ga­ne einer in­sol­ven­ten Ge­sell­schaft für nach In­sol­venz­rei­fe er­folg­te Zah­lun­gen seien keine Scha­den­er­satz­an­sprü­che und daher nicht von der D&O-Ver­si­che­rung ge­deckt (vgl. OLG Celle, Be­schl. v. 1.4.2016 - 8 W 20/16, BeckRS 2016, 125428; OLG Düs­sel­dorf, Urt. v. 20.7.2018 – 4 U 93/16, BeckRS 2018, 16103; zur Kri­tik: Mark­graf/Hein­rich NZG 2018, 1290).

Für die be­trof­fe­nen Or­ga­ne als ver­si­cher­te Per­so­nen führ­te dies, trotz des Be­stehens einer D&O-Ver­si­che­rung, häu­fig zu exis­tenz­ge­fähr­den­den Haft­pflichtri­si­ken. Durch die BGH-Ent­schei­dung wird sich dies nun je­den­falls für die­je­ni­gen D&O-Ver­si­che­rungs­ver­trä­ge än­dern, die auf den der Ent­schei­dung zu­grun­de lie­gen­den Ver­si­che­rungs­be­din­gun­gen ba­sie­ren. Für die Aus­le­gung an­de­rer Ver­si­che­rungs­be­din­gun­gen gibt die Ent­schei­dung klare Kri­te­ri­en vor, die re­gel­mä­ßig zur An­nah­me einer De­ckung füh­ren wer­den. 

Die be­trof­fe­nen Or­ga­ne soll­ten den­noch wei­ter früh­zei­tig dar­auf hin­wir­ken, dass in den Ver­si­che­rungs­ver­trä­gen die De­ckung der An­sprü­che nach § 64 Satz 1 GmbHG (und ver­gleich­ba­re An­sprü­che bei an­de­ren Ge­sell­schafts­for­men) ver­ein­bart bzw. klar­ge­stellt wird.

BGH, Ur­teil vom 18.11.2020 - IV ZR 217/19 (OLG Frank­furt a.M.), BeckRS 2020, 33548