Anmerkung von
Rechtsanwalt beim BGH Dr. Guido Toussaint, Toussaint & Schmitt, Karlsruhe
Aus beck-fachdienst Zivilverfahrensrecht 17/2020 vom 21.08.2020
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Sachverhalt
Die Antragstellerin hat die Vollstreckbarerklärung eines inländischen Schiedsspruches (§ 1060 ZPO) bei dem örtlich zuständigen OLG (§ 1062 I Nr. 4 ZPO) beantragt. Das OLG hat dem Antragsgegner Gelegenheit zur Stellungnahme binnen drei Wochen gegeben. Am letzten Tag der Frist hat sich Rechtsanwalt D. für den Antragsgegner gemeldet und unter Hinweis auf eine Krankschreibung um eine zweiwöchige Fristverlängerung gebeten, wegen einer bevorstehenden Operation hat er sodann eine weitere Verlängerung der Frist um drei Wochen beantragt. Innerhalb der zweimal antragsgemäß verlängerten Frist ist keine Stellungnahme abgegeben worden. Hierauf hat das OLG den Schiedsspruch durch Beschluss für vollstreckbar erklärt; der Antrag auf Vollstreckbarerklärung sei zulässig und begründet; von Amts wegen zu beachtende Aufhebungsgründe seien nicht gegeben.
Die Zustellung dieses Beschlusses an Rechtsanwalt D. gegen Empfangsbekenntnis (§ 174 ZPO) ist gescheitert. Wenige Tage nach Erlass des Beschlusses hat der Antragsgegner persönlich dem OLG telefonisch mitgeteilt, sein Anwalt liege im Koma, er kümmere sich um einen neuen Anwalt. Etwa einen Monat nach Beschlusserlass hat der Antragsgegner durch einen beim BGH zugelassenen Rechtsanwalt Rechtsbeschwerde (§ 1065 ZPO) gegen den Beschluss eingelegt (und später begründet sowie Rechtsanwalt D. den Streit verkündet). Wenige Wochen danach ist der Beschluss diesem BGH-Rechtsanwalt zugegangen, der auf seine fehlende Zustellungsbevollmächtigung hingewiesen hat. Einen guten Monat später hat der Prozessbevollmächtigte der Antragstellerin auf eine E-Mail von Rechtsanwalt D. sowie ein Telefonat mit diesem hingewiesen, in dem Rechtsanwalt D. mitgeteilt habe, er sei nicht mehr für den Antragsgegner tätig. Eine telefonische Kontaktaufnahme mit dem ihm als neuen Bevollmächtigten benannten (Instanz-)Anwalt habe ergeben, dass bislang keine Mandatierung durch den Antragsgegner erfolgt sei. Daraufhin ist der angegriffene Beschluss schließlich dem Antragsgegner persönlich zugestellt worden.
Entscheidung
Der BGH hat die (gem. § 574 I 1 Nr. 1 ZPO iVm §§ 1065 I 1, 1062 I Nr. 4 Fall 2 ZPO ohne weiteres statthafte) Rechtsbeschwerde als unzulässig verworfen.
Rechtsbeschwerde ist trotz unwirksamer Beschlusszustellung wirksam eingelegt und begründet worden
Allerdings sei das Verfahren vor dem BGH eröffnet. Zwar sei die Zustellung des angegriffenen Beschlusses an den Antragsgegner wegen einer Umgehung des für den Rechtszug bestellten Bevollmächtigten und damit unter Verstoß gegen § 172 I 1 ZPO unwirksam gewesen und habe die Fristen zur Einlegung und Begründung der Rechtsbeschwerde (§ 575 I, II ZPO) nicht in Lauf gesetzt. Dies gelte unabhängig davon, ob es sich – wie hier (vgl. § 1063 IV ZPO iVm §§ 78 I 1, III Fall 2, 79 I 1 ZPO) – um einen Parteiprozess oder einen Anwaltsprozess handele. Ein Erlöschen der Prozessvollmacht mit der Folge, dass Zustellungen in einem Parteiprozess nicht mehr an den Prozessbevollmächtigten bewirkt werden müssten, müsse gem. § 87 I ZPO, der gegenüber dem Gericht sinngemäß gelte, eindeutig angezeigt werden. Hier habe aber weder der Prozessbevollmächtigte noch der Antragsgegner dem Gericht gegenüber eindeutig eine Mandatsniederlegung angezeigt. Die telefonische Mitteilung des Antragsgegners, er kümmere sich um einen neuen Anwalt, reiche dafür nicht aus, denn das Prozessrecht verlange klare Verhältnisse; ein (sofortiges) Erlöschen der Prozessvollmacht von Rechtsanwalt D. sei aus dieser Mitteilung nicht eindeutig erkennbar hervorgegangen. Soweit Rechtsanwalt D. den Vertreter der Antragstellerin darüber informiert habe, dass er nicht mehr für den Antragsgegner tätig sei, habe diese Anzeige nur im Verhältnis zur Antragstellerin gewirkt. Anhaltspunkte für eine Heilung des Zustellungsmangels gem. § 189 ZPO lägen nicht vor, denn es ist nichts dafür ersichtlich, dass der angegriffene Beschluss dem Rechtsanwalt D. zugegangen wäre. Die Übersendung des Beschlusses an den Bevollmächtigten für das Rechtsbeschwerdeverfahren habe den Zustellungsmangel nicht heilen können, denn die Zustellung müsse stets an den Prozessbevollmächtigten des Rechtszugs erfolgen, in dem die Entscheidung erlassen worden sei, auch wenn für den höheren Rechtszug eine Rechtsanwältin oder ein Rechtsanwalt schon bestellt sei. Auch vor dem gesetzlich festgelegten Fristbeginn könne jedoch ein Rechtsmittel wirksam eingelegt und begründet werden. Dementsprechend sei mit der vom Antragsgegner eingelegten Rechtsbeschwerde das Rechtsbeschwerdeverfahren vor dem BGH wirksam eröffnet worden.
Im Parteiprozess begründet aber der Fortfall des Verfahrensbevollmächtigen nicht den absoluten Revisionsgrund des § 547 Nr. 4 ZPO
Die Rechtsbeschwerde sei aber unzulässig, weil weder die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung habe noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des BGH erfordere (§ 574 II ZPO). Insbes. liege der von der Rechtsbeschwerde geltend gemachte absolute Revisionsgrund der mangelnden vorschriftsmäßigen Vertretung gem. § 547 Nr. 4 ZPO wegen einer – möglichen – Prozessunfähigkeit von Rechtsanwalt D. während des Vollstreckbarerklärungsverfahrens nicht vor. Denn hier habe es sich – solange eine mündliche Verhandlung nicht angeordnet sei – um einen Parteiprozess gehandelt (vgl. § 1063 IV ZPO iVm §§ 78 I 1, III Fall 2, 79 I 1 ZPO). In einem Parteiprozess trete aber die Partei ohne Unterbrechung selbst an die Stelle des oder der Bevollmächtigten, was die Annahme eines Nichtvertretenseins iSv § 547 Nr. 4 ZPO ausschließe.
Praxishinweis
Stirbt der prozessbevollmächtige Anwalt oder wird er prozessunfähig, ist zu differenzieren:
- Im Anwaltsprozess (§ 78 ZPO) wird das Verfahren nach § 244 I ZPO hierdurch unterbrochen, bis der bestellte neue Anwalt seine Bestellung dem Gericht angezeigt und das Gericht die Anzeige dem Gegner von Amts wegen zugestellt hat (bei Verzögerung der Anzeige vgl. § 244 II ZPO). Dies trägt dem Umstand Rechnung, dass die Partei im Anwaltsprozess nicht postulationsfähig ist, und verhindert eine Verletzung des Gebots der Gewährung rechtlichen Gehörs aus Art. 103 I GG durch eine Verfahrensfortsetzung.
- Im Parteiprozess (§ 79 ZPO) hingegen wird der Prozess nicht unterbrochen. Da die Partei selbst postulationsfähig ist, kann sie ihr Recht auf Gewährung rechtlichen Gehörs selbst wahrnehmen und bedarf keines weiteren Schutzes. Dies gilt, wie die Entscheidung zeigt, auch für den absoluten (dh stets entscheidungskausalen) Revisionsgrund des § 547 Nr. 4 ZPO (der gem. § 576 III ZPO im Rechtsbeschwerdeverfahren entsprechend gilt). Denn auch dieser bezweckt – wie der BGH unter Verweis auf seine Rspr. ausgeführt hat – den Schutz der Parteien, die ihre Angelegenheiten im Prozess nicht verantwortlich regeln konnten oder denen die Handlungen vollmachtloser Vertreter nicht zugerechnet werden dürfen, und sichert das verfassungsrechtlich gewährleistete Selbstbestimmungsrecht (Art. 2 I GG) sowie das rechtliche Gehör (Art. 103 I GG) der Partei.
Zu § 547 Nr. 4 ZPO ist ergänzend darauf hinzuweisen, dass er nur zugunsten der unzureichend vertretenen Partei wirkt; die Gegenpartei kann sich zur Bekämpfung einer eigenen Beschwer mithin hierauf nicht stützen (vgl. BGH NZI 2017, 540 mAnm Toussaint FD-ZVR 2017, 388102). Zur Umgehung des Prozessbevollmächtigten bei der Zustellung vgl. auch BVerfG BeckRS 2020, 11728 mAnm Toussaint FD-ZVR 2020, 431063.
BGH, Beschluss vom 18.06.2020 - I ZB 83/19, BeckRS 2020, 18305