NJW-Editorial

Fi­nan­zie­rungs­hür­den für Ver­bands­kla­gen
NJW-Editorial

Das jüngst im Bun­des­tag be­schlos­se­ne Ver­bands­kla­gen­richt­li­ni­en­um­set­zungs­ge­setz (VRUG) ist ge­wiss ein Mei­len­stein für den kol­lek­ti­ven Rechts­schutz. Man­che der noch im Rechts­aus­schuss vor­ge­nom­me­nen er­heb­li­chen Än­de­run­gen sind je­doch dra­ma­tisch.

27. Jul 2023

Das Ver­bands­kla­gen­richt­li­ni­en­um­set­zungs­ge­setz (VRUG), das die Ab­hil­fe­kla­ge neu ein­führt, pas­sier­te am 7.7. den Bun­des­tag. Ver­brau­cher­ver­bän­de kön­nen damit künf­tig Scha­dens­er­satz­an­sprü­che ge­bün­delt durch­set­zen und sind nicht mehr auf Un­ter­las­sungs- und Fest­stel­lungs­an­trä­ge be­schränkt. Dies ist ge­wiss ein Mei­len­stein für den kol­lek­ti­ven Rechts­schutz.

Indes wur­den im Rechts­aus­schuss noch er­heb­li­che in­halt­li­che Än­de­run­gen vor­ge­nom­men. Davon sind zwar man­che bün­de­lungs­freund­lich, so das späte Opt-in bis drei ­Wochen nach Schluss der münd­li­chen Ver­hand­lung, fer­ner der Ver­zicht auf scha­blo­nen­haf­te Gleich­ar­tig­keit der gel­tend ge­mach­ten An­sprü­che, die nur­mehr „im We­sent­li­chen“ gleich sein müs­sen, wie auch er­leich­ter­te An­for­de­run­gen an das Quo­rum von min­des­tens 50 be­trof­fe­nen Ver­brau­chern.

Zu­gleich wurde je­doch die pri­va­te Dritt­fi­nan­zie­rung auf der Ziel­ge­ra­den über­ra­schend so emp­find­lich be­schränkt, dass der Er­folg der Ab­hil­fe­kla­ge ge­fähr­det er­scheint. So ist der Fi­nan­zie­rungs­ver­trag im fi­nan­zier­ten Pro­zess stets of­fen­zu­le­gen, wobei dies wohl im­mer­hin nur dem Ge­richt ge­gen­über zu ge­sche­hen hat. Diese – üb­ri­gens aus dem ­Prozesskostenhilferecht be­kann­te – Ein­schrän­kung ist für die Waf­fen­gleich­heit wich­tig, weil an­dern­falls Be­klag­te ihre Pro­zess­stra­te­gie an die (be­grenz­ten) Fi­nanz­mit­tel des Ver­ban­des an­pas­sen kön­nen, ohne dass die­sem sei­ner­seits ein sol­cher Blick in die „Kriegs­kas­se“ der Geg­ner ge­stat­tet wäre.

Noch dra­ma­ti­scher und wirk­lich är­ger­lich ist, dass Ver­bands­kla­gen nach dem VRUG un­zu­läs­sig sind, wenn dem Fi­nan­zie­rer eine 10 % über­stei­gen­de Er­folgs­be­tei­li­gung ver­spro­chen wird. Üb­lich sind in der Pra­xis Quo­ten von 25 bis 30%. Soll die Ab­hil­fe­kla­ge nicht leer­lau­fen, muss die 10%-De­cke­lung rasch fal­len, zumal völ­lig dun­kel bleibt, wer diese auf wel­cher öko­no­mi­schen Grund­la­ge kal­ku­liert hat. Die Fi­nan­zie­rer wer­den an­dern­falls wohl wei­ter­hin auf Bün­de­lun­gen nach dem Ab­tre­tungs­mo­dell set­zen (müs­sen), für die keine Ma­xi­mal­quo­te gilt, mit den al­ler­dings be­kann­ten Fol­gen sol­cher „Sam­mel­kla­gen“ für die Zi­vil­ge­rich­te.

Ein prag­ma­ti­scher Aus­weg könn­te für die no­to­risch „klam­men“ Ver­bän­de einst­wei­len darin lie­gen, sich auf „schma­le“ Un­ter­las­sungs­kla­gen zu kon­zen­trie­ren, die neu­er­dings die Ver­jäh­rung der An­sprü­che aller be­trof­fe­nen Ver­brau­cher hem­men, wobei die Ver­bands­kla­gen-Richt­li­nie (EU) 2020/1828 als Un­ter­las­sungs­ent­schei­dung auch die Fest­stel­lung der Rechts­wid­rig­keit be­en­de­ter Ge­schäfts­prak­ti­ken ein­ord­net. Im Er­folgs­fall könn­ten dritt­fi­nan­zier­te Kla­ge­ve­hi­kel an­schlie­ßend die un­ver­jähr­ten Ein­zel­an­sprü­che ge­sam­melt ein­kla­gen, ohne der 10 %-Gren­ze zu un­ter­lie­gen. Die eu­ro­pa­recht­lich be­ab­sich­tig­te Ab­hil­fe im Wege der Ver­bands­kla­ge würde damit frei­lich ver­fehlt.

Prof. Dr. Beate Gsell ist Inhaberin des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, Zivilverfahrensrecht,​​Europäisches Privat- und Verfahrensrecht an der LMU München sowie Richterin am OLG München.