Urteilsanalyse
Fiktive Bestimmung des Restwertes in der Kaskoversicherung
Urteilsanalyse
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Der BGH hat in einem Fall entschieden, in dem ein kaskoversichertes Fahrzeug, welches bei einem Unfall beschädigt oder zerstört wurde, nicht, nicht vollständig oder nicht fachgerecht repariert wurde. In einem solchen Fall ist bei der fiktiven Bestimmung des Restwertes des Fahrzeugs lediglich der regionale Markt für den Aufkauf solcher Fahrzeuge am Sitz des Versicherungsnehmers in den Blick zu nehmen.

7. Jun 2021

Anmerkung von
Senator E. h. Ottheinz Kääb, LL.M., Rechtsanwalt und Fachanwalt für Verkehrsrecht und Versicherungsrecht, München

Aus beck-fachdienst Straßenverkehrsrecht 10/2021 vom 27.05.2021

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AKB A.2.6.1, A.2.6.2 Buchst. a, A.2.10.1

Sachverhalt

Der Kläger war mit seinem Fahrzeug bei der Beklagten kaskoversichert. Die vereinbarte Selbstbeteiligung betrug 300 EUR. In den AKB, die im Urteil des BGH im Einzelnen wiedergegeben sind und hier nur kurz erwähnt sein sollen, wird für Meinungsverschiedenheiten vereinbart, dass ein Sachverständigenausschuss eingeschaltet werden muss, wenn Zwist über die Höhe des Schadens einschließlich der Feststellung des Wiederbeschaffungswerts oder über den Umfang der erforderlichen Reparaturarbeiten besteht. In den AKB sind im Übrigen Regelungen darüber enthalten, was ein Totalschaden ist und wie der Restwert zu ermitteln ist.

Das klägerische Fahrzeug wurde nach einem Schadenfall von einem Sachverständigen der Beklagten begutachtet, der einen unstreitigen Wiederbeschaffungswert von 10.500 EUR ermittelte. Den Restwert schätzte der Sachverständige «auf der Basis eines überregionalen Marktes» auf 5.799 EUR. Die Reparaturkosten unter Zugrundelegung eines Stundenverrechnungssatzes einer Markenwerkstatt schätzte er auf netto 9.137,53 EUR, brutto also 10.873,66 EUR.

Die Klägerin hat ihr Fahrzeug nicht veräußert, sondern ließ es in Eigenregie Instand setzen – eine Rechnung existiert nicht. Die Beklagte rechnete den Schaden jetzt als Totalschaden ab und zahlte an die Klägerin den Wiederbeschaffungswert von 10.500 EUR abzüglich des Restwerts von 5.799 EUR und 300 EUR Selbstbeteiligung.

Die Klägerin ist damit nicht einverstanden. Sie macht weitere Beträge geltend und verweist darauf, dass die von der Beklagten vorgenommene Abrechnung falsch sei, weil der Restwert in Wahrheit nur 3.400 EUR betrage. Der Restwert sei falsch, weil der Sachverständige den überregionalen Markt berücksichtigt habe und auch nicht mindestens drei Angebote eingeholt habe. Auch habe die Beklagte die Reparaturkosten zu hoch veranschlagt. Das zehn Jahre alte Fahrzeug sei nicht scheckheftgepflegt gewesen, weshalb die Klägerin auch nicht in markengebundene Werkstätten gehe. Daher sei von einem niedrigeren Stundenverrechnungssatz von netto 98 EUR auszugehen.

Die Beklagte beharrt auf der vorgenommenen Abrechnung und hält darüber hinaus die Klage für unzulässig, weil die Klägerin das Sachverständigenverfahren nicht eingeleitet habe.

Rechtliche Wertung

Das Amtsgericht hatte der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hatte das Landgericht das Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen. Mit der Revision möchte die Klägerin das amtsgerichtliche Urteil wiederhergestellt haben und hat – vorläufigen – Erfolg, denn das landgerichtliche Urteil wurde aufgehoben und die Sache zurückverwiesen. 

Zunächst verweist der BGH darauf, dass die Vorinstanzen zu Recht die Klage nicht an einer Unzulässigkeit haben scheitern lassen. Die zwischen den Parteien streitige Frage, ob für die Ermittlung des Restwerts lediglich der regionale Markt oder auch der überregionale Markt zu berücksichtigen sei - einschließlich des Online-Handels - sei eine Rechtsfrage. Die könne der Sachverständige nicht Kraft besonderer Sachkunde beantworten. Es gehe um die Auslegung der vereinbarten Klausel in den AKB. Die Schiedsklausel greife hier nicht.

Im Übrigen habe das Berufungsgericht bei der Bestimmung des Restwertes des versicherten Fahrzeugs Rechtsfehler begangen. Die Klägerin habe von an Anfang an nicht auf Totalschadensbasis abrechnen wollen, vielmehr habe sie repariert. Nachdem ds Fahrzeug repariert sei, müsse nur noch geprüft werden, ob die Klägerin verpflichtet war – auch fiktiv – das Online-Angebot der Beklagten zu akzeptieren.

Die für das Haftpflichtrecht entwickelten Grundsätze könnten hier im Versicherungsrecht nicht ohne weiteres angewendet werden, entschieden die BGH-Richter. Das Schadenersatzrecht folge anderen rechtlichen Prämissen. Es werde getragen von der Bestimmung des § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB. Eine ähnliche Bestimmung könne sich nur aus der Auslegung der Versicherungsbedingungen, der hier vereinbarten AKB, ergeben. Lese man diese so wie sie ein vernünftiger «normaler» Versicherungsnehmer ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse verstehe, dann könne sich aus den vereinbarten AKB nur ergeben, dass für die Bemessung des Restwerts der regionale Markt maßgebend sei.

Dem Bedingungswortlaut könne der Versicherungsnehmer nicht entnehmen, wie der Restwert in dem Fall zu bestimmen sei, wenn er sich dafür entschieden habe, das beschädigte Fahrzeug nicht zu verkaufen. In den AKB werde nur der Restwert als Verkaufswert des Fahrzeugs in beschädigtem Zustand benannt ohne weitere Einzelheiten festzulegen. Man könne daher nur aus dem Sinn der übrigen Normen entnehmen, wie die Abrechnung zu erfolgen habe. Es bedürfe dazu noch nicht einmal eines Rückgriffs auf die Unklarheitenregelung des § 305c Abs. 2 BGB. Im Übrigen komme es noch auf die Frage an, ob das Schrottfahrzeug mit oder ohne ausgewiesener Mehrwertsteuer veräußert werde.

Diese Fragen müsse das Berufungsgericht klären, weshalb der Senat nicht in der Sache selbst entscheiden könne. Daher wurde aufgehoben und zurückverwiesen.

Praxishinweis

Die Entscheidung ist für die Praxis sehr wichtig. Interessant sind schon die Ausführungen zur Schiedsklausel und zur Frage der Zulässigkeit der Leistungsklage.

Wesentlich sind schließlich die Ausführungen über die AKB. Die vereinbarten Bestimmungen der AKB finden sich im Urteil, sodass das Nachlesen des Urteils sogleich auch die vereinbarten AKB mit umfasst. Der BGH erinnert daran, dass es seit Juli 1994 keine «allgemein gültigen» AKB gibt.

Letztlich werden die Bestimmungen der hier vereinbarten AKB nach Sinn und Zweck eingehend beleuchtet. Für die Praxis ist die Entscheidung daher von erheblicher Bedeutung.

BGH, Urteil vom 14.04.2021 - IV ZR 105/20 (LG Darmstadt), BeckRS 2021, 9836