Anmerkung von
Rechtsanwalt Sebastian Menke, LL.M., BUSSE & MIESSEN Rechtsanwälte Partnerschaft mbB, Berlin
Aus beck-fachdienst Medizinrecht 05/2023 vom 05.05.2022
Diese Urteilsbesprechung ist Teil des monatlich erscheinenden Fachdienstes Medizinrecht. Neben weiteren ausführlichen Besprechungen der entscheidenden aktuellen Urteile im Medizinrecht beinhaltet er ergänzende Leitsatzübersichten und einen Überblick über die relevanten neu erschienenen Aufsätze. Zudem informiert er Sie in einem Nachrichtenblock über die wichtigen Entwicklungen in Gesetzgebung und Praxis des Medizinrechts. Weitere Informationen und eine Schnellbestellmöglichkeit finden Sie unter www.beck-online.de
Sachverhalt
Die 80-jährige Antragstellerin war Fachärztin für Frauenheilkunde und Geburtshilfe. Eine Kassenzulassung besaß sie nicht.
Sie war bei einer GmbH, deren Gründer ihr Sohn war, angestellt. Gegenstand der GmbH war die Entwicklung und Vermarktung von Software für den telemedizinischen Bereich. Eigene Praxisräume hatte die Antragstellerin nicht. Auf der Homepage der GmbH hieß es, dass sie über „analoge Praxisräume“ verfüge.
Über die Homepage GmbH war es möglich, ausschließlich durch Ausfüllen eines Online-Fragebogens eine automatisch generierte AU-Bescheinigung als PDF-Dokument per E-Mail zu erhalten. Zusätzlich konnte man eine postalische AU-Bescheinigung mit Originalunterschrift anfordern. Diese war mit der Faksimile-Unterschrift der Antragstellerin versehen. Die Fragen mussten durch „Ja“ oder „Nein“ beantwortet werden.
Das Hamburger Berufsgerichts verurteilte die Antragstellerin zu einer Geldbuße in Höhe von 6.000 EUR, wegen eines Berufsvergehens nach §§ 25 Satz 1, 7 Abs. 3, 21 der Berufsordnung für Ärzte Hamburg.
Mit Bescheid vom 21.01.2022 widerrief die Antragsgegnerin die Approbation der Antragstellerin und ordnete den Sofortvollzug an. Hiergegen erhob die Antragstellerin Widerspruch.
Mit Klage vom 21.02.2022 begehrt die Antragstellerin die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs.
Entscheidung
Die zulässige Klage hatte in der Sache keinen Erfolg.
Nach Auffassung des erkennenden Gerichts sieht das Gesetz einen „digitalen Praxissitz“ nicht vor. Nach § 17 Abs. 1 der Berufsordnung für Hamburger Ärzte ist die Ausübung ambulanter ärztlicher Tätigkeit an die Niederlassung in einer Praxis (Praxissitz) gebunden. Hierfür ist es erforderlich, dass der Arzt die personellen, sachlichen und räumlichen Voraussetzungen vorhält, damit sich Patienten direkt an den Arzt wenden können und dieser seine ärztliche Kunst nach den anerkannten Regeln ausüben kann. Sinn und Zweck der Regelung sei die räumliche Erreichbarkeit des Arztes für Patienten.
Durch das Anbieten von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen gegen Entgelt ohne Arzt-Patienten-Kontakt und ausschließlich mittels Online-Fragebogens habe sich die Antragstellerin des Arztberufes für unwürdig gezeigt, da hierdurch das spezifische Vertrauensverhältnis der Patienten in die ärztliche Integrität nachhaltig gestört worden sei. Zudem habe die notwendige Sorgfalt für eine ärztliche Untersuchung nach § 25 Satz 1 BO gefehlt.
Hieran ändere sich auch nicht dadurch etwas, dass in § 7 Abs. 4 Satz 3 MBO-Ä die Untersuchung im „Einzelfall“ online stattfinden kann. Denn dies stelle nur einen Ausnahmefall dar. Die Antragstellerin habe dies jedoch zum Regelfall gemacht.
Auf eine Strafbarkeit ihres Verhaltens komme es nicht an, da § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BÄO nur von „Verhalten“ spreche und daher keinen strafrechtlichen Bezug aufweise.
Praxishinweis
Mit der Entscheidung hat das Hamburgische Oberverwaltungsgericht die gesetzlichen Vorgaben für einen Praxissitz und Online-Behandlungen klar beschrieben. Auch wenn moderne Technik immer mehr den Alltag der Ärzte bestimmt wird dem persönlichen Arzt-Patienten-Kontakt zu Recht der Vorrang eingeräumt und die Online Behandlung oder das Ausstellen ärztlicher Bescheinigung mittels Online-Tools an strengen Vorgaben geknüpft. Die Entscheidung ist richtig und zu begrüßen. Trotz moderner Technik und dem grundsätzlich zu begrüßenden Fortschritt der Digitalisierung ist der persönliche Kontakt zwischen Arzt und Patient nach wie vor unerlässlich für eine adäquate und gute ärztliche Behandlung.
OVG Hamburg, Beschluss vom 15.12.2022 - 3 Bs 78/22 (VG Hamburg), BeckRS 2022, 41593