Anmerkung von
Ass. jur. Antonia Meyer, Gleiss Lutz, Düsseldorf
Aus beck-fachdienst Arbeitsrecht 11/2022 vom 24.03.2022
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Sachverhalt
Die Klägerin war beim beklagten Verein, einem ambulanten Dialyseanbieter, als Pflegekraft in Teilzeit beschäftigt. Mit ihrer Klage machte sie Zeitgutschriften wegen geleisteter Überstunden und einen Entschädigungsanspruch nach § 15 II AGG geltend. Den Entschädigungsanspruch begründete sie damit, sie sei unzulässig gegenüber Vollzeitbeschäftigten und mittelbar wegen ihres Geschlechts benachteiligt worden, weil der Beklagte überwiegend Frauen in Teilzeit beschäftige.
Das ArbG wies die Klage ab. Das LAG verurteilte den Beklagten lediglich dazu, der Klägerin weitere Stunden im Arbeitszeitkonto gutzuschreiben. Nach dem Urteil des LAG schlossen die Parteien einen Aufhebungsvertrag, in dem sie u.a. vereinbarten, dass damit „sämtliche wechselseitigen Ansprüche der Parteien aus dem Arbeitsverhältnis und dessen Beendigung, gleich aus welchem Rechtsgrunde, gleich ob bekannt oder unbekannt, abgegolten und erledigt“ sind.
Entscheidung
Die Revision der Klägerin hatte keinen Erfolg. Das BAG verneint den geltend gemachten Entschädigungsanspruch nach § 15 II AGG aber mit einer anderen Begründung als das LAG, das eine Benachteiligung nach § 7 I AGG angenommen hatte. Nach Ansicht des BAG sei es mit der Doppelfunktion von § 15 II AGG nicht vereinbar, bei Feststellung einer verbotenen Benachteiligung von einer Entschädigung abzusehen. Die Entschädigung diene neben der Kompensation eines immateriellen Schadens insbesondere auch der Prävention. Ein immaterieller Schaden könne auch nicht durch einen materiellen Schadensersatz, der keine Genugtuungsfunktion erfülle, ausgeglichen werden. Insofern dürfe ein solcher auch nicht bei der Bemessung der Entschädigung nach § 15 II AGG berücksichtigt werden. Die Form der Benachteiligung habe ebenfalls keinen Einfluss auf den Entschädigungsanspruch. Eine mittelbare Benachteiligung wiege nicht weniger schwer als eine unmittelbare Benachteiligung. Auch ein geringer Verschuldensgrad könne sich nicht zu Gunsten des benachteiligenden Arbeitgebers auswirken, weil die Haftung nach § 15 II AGG verschuldensunabhängig sei.
Ein Entschädigungsanspruch sei im vorliegenden Fall aber abzulehnen, weil er jedenfalls durch die im Aufhebungsvertrag getroffene Vereinbarung, die als konstitutives negatives Schuldanerkenntnis anzusehen sei, nach § 397 BGB erloschen sei. Eine im Nachhinein getroffene, auf eine in der Vergangenheit liegende mögliche Benachteiligung bezogene Verzichtsvereinbarung verstoße nicht gegen § 31 AGG. Ein Verstoß sei nur anzunehmen, soweit Ansprüche aus dem AGG bereits vor ihrer Entstehung ausgeschlossen oder beschränkt würden.
Praxishinweis
Die Entscheidung des BAG entspricht den unionsrechtlichen Vorgaben, nach denen die Haftung des Arbeitgebers bei einer Diskriminierung verschuldensunabhängig ist (EuGH, BeckRS 1997, 55145) und die verhängenden Sanktionen abschreckende Wirkung haben müssen (Art. 17 RL 2000/78/EG). Eine Entschädigung „Null“ kommt daher bei Feststellung einer verbotenen Benachteiligung nicht in Betracht. Für die Praxis ist davon auszugehen, dass die Entschädigung regelmäßig 1,5 Bruttomonatsgehälter beträgt, wenn dem Arbeitgeber kein besonderer Schuldvorwurf zu machen ist (BAG, FD-ArbR 2020, 431798).
Aus Gründen der Rechtssicherheit ist zu begrüßen, dass das BAG mit der vorliegenden Entscheidung klargestellt hat, dass § 31 AGG einem nachträglichen Verzicht auf Ansprüche aus dem AGG nicht entgegensteht. Ein solcher Verzicht kann, wie im vorliegenden Fall, auch in einer umfassenden Erledigungsklausel in einem außergerichtlichen Aufhebungsvertrag oder einem gerichtlichen Vergleich enthalten sein.
BAG, Urteil vom 28.10.2021 - 8 AZR 371/20 (LAG Hessen), BeckRS 2021, 46579