Glosse
Fensterln im Gefängnis
Glosse
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Was macht man nicht alles aus Liebe. Manche gehen dafür sogar ins Gefängnis. Wie in dem außergewöhnlichen Fall, den das Amtsgericht Vechta jüngst entschieden hat. Die Rechtsprechungsglosse aus der aktuellen NJW.

11. Sep 2020

Es ist an der Zeit, dass wir uns an dieser Stelle mal der Liebe widmen, vor allem ihren Risiken und Nebenwirkungen. Denn so schön es ist, wenn der Himmel voller Geigen hängt und rosarote Wattewölkchen in der Dauerschleife über einen hinwegziehen, neigt mancher unter ihrem Einfluss dazu, Dinge zu tun, die er oder sie bei klarem Verstand niemals auch nur in Betracht gezogen hätte. Etwa im Rahmen einer Pressekonferenz tränenreich die nach zwei, drei Wochen gescheiterte Beziehung zu einer fast Volljährigen aufarbeiten. Oder aber der Angebeteten vor einem Millionenpublikum einen Heiratsantrag machen, ohne im Vorfeld abgeklärt zu haben, dass sie den Antrag auch annimmt - wenigstens pro forma. Wenn die Millionen weg sind, kann man ja immer noch über alles reden und in geordnete Bahnen lenken. Der junge Mann, mit dem es die niedersächsische Justiz unseres Wissens kürzlich zum wiederholten Male zu tun bekam, hat dem Ganzen noch eins draufgesetzt. Seitdem kennt man ihn auch als Spiderman von Vechta, und die Latte für die verrücktesten Dinge, die man aus Liebe tut, liegt noch ein bisschen höher (Urt. 10.6.2020 –19 Ds - 800 Js 74411/19 [36/20]).

Im Herbst des vergangenen Jahres war der spätere Angeklagte bis über beiden Ohren in eine Gleichaltrige verliebt. Das allein wäre nicht der Erwähnung wert, wenn der Liebe im konkreten Fall nicht weniger als die Gefängnismauern der JVA Vechta im Weg gestanden hätten. Dort verbüßte die Angebetete nämlich eine Haftstrafe. Seiner Liebe tat das keinen Abbruch; er werde auf sie warten, bis sie wieder raus sei, und dann mit ihr gemeinsam in eine straffreie Zukunft starten. Bedauerlicherweise entwickelten sich die Dinge so, dass weder aus der gemeinsamen noch aus der straffreien Zukunft etwas wurde. Denn eines schönen Tages Anfang Oktober machte seine Freundin aus heiterem Himmel mit ihm Schluss. Nachdem alle Versuche, sie umzustimmen, nicht fruchteten, bat der Verschmähte um ein letztes klärendes Gespräch. Auch davon wollte die Dame nichts wissen und wähnte sich in ihrer JVA vor Beteuerungen, man könne doch Freunde bleiben, und weiteren Unannehmlichkeiten sicher. Doch weit gefehlt. Denn eines Nachts Mitte Oktober 2019, die ersten Herbststürme fegten über die A 1 und das Oldenburger Münsterland, krabbelte Spiderman für diese Jahreszeit ganz eindeutig zu spärlich bekleidet zuerst auf einen Laternenmast, dann auf die Außenmauer der JVA, um von dort von Fenster zu Fenster bis zur Zelle seiner Liebsten zu robben. Das bemerkte natürlich nicht nur die Insassin, der die ganze Aktion galt. Schon bald stand die empörte Gefängnisleitung im Hof und forderte Spiderman auf, die Klettertour umgehend zu beenden. Das hätte der auch bestimmt getan, wenn er sich in seinem Liebeswahn nicht völlig verstiegen hätte. Daraufhin rückte die freiwillige Feuerwehr Vechta aus und befreite ihn aus seiner misslichen Lage. Die Ex und auch das AG Vechta fanden die ganze Aktion übrigens alles andere als originell. Erstere wollte nun erst recht nichts mehr von ihm wissen. Und Letzteres verdonnerte Spiderman zu drei Wochen Dauerarrest. Ob dieses verrückte Jahr 2020 für ihn in Sachen Liebe unter einem günstigeren Stern steht, wissen wir nicht (die Entscheidung ist im Volltext abrufbar unter BeckRS 2020, 19586). .

Dr. Monika Spiekermann.