Urteilsanalyse
Feierabend trotz ERV-Störung
Urteilsanalyse
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© Stefan Yang / Adobe Stock
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Der Prozessbevollmächtigte, der aus technischen Gründen gehindert ist, einen fristwahrenden Schriftsatz elektronisch einzureichen, ist, nachdem er die zulässige Ersatzeinreichung veranlasst hat, nach Ansicht des BGH nicht mehr gehalten, sich vor Fristablauf weiter um eine elektronische Übermittlung zu bemühen.

3. Jan 2024

Rechtsanwalt Martin Schafhausen, Plagemann Rechtsanwälte Partnerschaft mbB, Frankfurt am Main

Aus beck-fachdienst Sozialversicherungsrecht 25/2023 vom 22.12.2023

Diese Urteilsbesprechung ist Teil des zweiwöchentlich erscheinenden Fachdienstes Sozialversicherungsrecht. Neben weiteren ausführlichen Besprechungen der entscheidenden aktuellen Urteile im Sozialversicherungsrecht beinhaltet er ergänzende Leitsatzübersichten und einen Überblick über die relevanten neu erschienenen Aufsätze. Zudem informiert er Sie in einem Nachrichtenblock über die wichtigen Entwicklungen in Gesetzgebung und Praxis des Sozialversicherungsrechts. Weitere Informationen und eine Schnellbestellmöglichkeit finden Sie unter www.beck-online.de

 

Sachverhalt

In einem vor dem BGH anhängigen Rechtsstreit hatte der Bevollmächtigte des Klägers wegen einer Störung des beA-Systems die Revisionsbegründung in Schriftform übermittelt und die technische Unmöglichkeit der elektronischen Übermittlung glaubhaft gemacht. Bis zum Büroschluss habe er die Funktionsfähigkeit des beA weiterhin überprüft – diesen Vortrag hatte der Bevollmächtigte nicht glaubhaft gemacht.

Entscheidung

Der BGH geht davon aus, dass die Revision zulässig sei. Die elektronische Form sei zwar nicht eingehalten, doch seien die Voraussetzungen der Ersatzeinreichung nach § 130d Satz 2, 3 ZPO erfüllt. Es habe eine vorübergehende technische Störung vorgelegen, die der Prozessbevollmächtigte mit der Ersatzeinreichung glaubhaft gemacht habe.

Dass er seine weitere Erklärung, er habe danach bis zum Büroschluss die Funktionsfähigkeit des beA weiterhin überprüft, nicht glaubhaft gemacht habe, sei unschädlich. § 130d Satz 2 ZPO stelle auf die vorübergehende technische Unmöglichkeit im Zeitpunkt der beabsichtigten Übermittlung des elektronisch einzureichenden Dokuments ab. Nur diese müsse glaubhaft gemacht werden. Der Prozessbevollmächtigte sei nach der Ersatzeinreichung nicht mehr gehalten, sich vor Fristablauf weiter um eine elektronische Übermittlung zu bemühen. Ein elektronisches Dokument ist nach § 130d Satz 3 Halbsatz 2 ZPO bei ausreichender Ersatzeinreichung zusätzlich nur auf gerichtliche Anforderung nachzureichen.

Praxishinweis

1. Die Entscheidung des Fünften Zivilsenats des BGH hat große praktische Bedeutung für den elektronischen Rechtsverkehr und ist begrüßenswert anwenderfreundlich! Bislang war höchstrichterlich nicht geklärt, ob nach einer Ersatzeinreichung (vor Fristablauf um 24 Uhr) auch außerhalb der Bürozeiten eine Verpflichtung bestehen könne, wieder (und wieder) eine elektronische Übermittlung zu versuchen. Überzeugend stellt der Senat klar, dass es bei der Beurteilung der (vorübergehenden) technischen Unmöglichkeit auf den Zeitpunkt der Übermittlung ankomme und daher nach der erfolgreichen Ersatzeinreichung keine Verpflichtung bestehe, erneut eine elektronische Übermittlung zu versuchen.

Ganz zu Recht weist der Senat in diesem Zusammenhang auch daraufhin, dass auf Aufforderung des Gerichts aber das elektronische Dokument nachzureichen ist.

Die von Müller in seiner Anmerkung auf ervjustiz (https://ervjustiz.de/bgh-feierabend-trotz-erv-stoerung#more-2152) noch mit einem Fragezeichen versehene Überschrift muss angesichts des deutlichen Votums des BGH nicht mehr als Frage formuliert werden: Feierabend trotz ERV-Störung.

2. Der Bevollmächtigte hatte die technische Störung zugleich mit der Ersatzeinreichung glaubhaft gemacht. § 130d Satz 3 ZPO (= § 65d Satz 4 SGG) verlangt, dass die technische Störung „bei der Ersatzeinreichung oder unverzüglich danach“ glaubhaft zu machen ist. Es gibt strenge Stimmen in der Rechtsprechung, die verlangen, dass für eine wirksame Ersatzeinreichung die Glaubhaftmachung mit der Ersatzeinreichung erfolgen muss, wenn dies im Laufe des Tages der Ersatzeinreichung noch möglich ist.

3. Erkennbar ist im Allgemeinen auch, dass in die Glaubhaftmachung besondere Sorgfalt zu setzen ist. Pauschaler Vortrag wird in aller Regel nicht ausreichend sein. Dem Gericht muss erkennbar werden, wie bei der Übermittlung der elektronischen Nachricht vorgegangen wurde und worin die technische Störung gelegen hat. Ein „screenshot“ (etwa der Fehlermeldung) kann helfen, Voraussetzung für die Glaubhaftmachung ist es nicht, den Bildschirminhalt wiederzugeben; es gilt § 294 ZPO, alle Beweismittel, auch die Versicherung an Eides statt, sind zulässig. Eine Beweisaufnahme, die nicht sofort erfolgen kann, ist unstatthaft.

BGH, Urteil vom 25.05.2023 - V ZR 134/22, BeckRS 2023, 17368