Urteilsanalyse

Feh­ler­haf­te Ur­teils­be­grün­dung nach Dro­gen­fahrt
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Das Kam­mer­ge­richt hat sich auf die Rechts­be­schwer­de des Be­trof­fe­nen hin mit di­ver­sen Män­geln eines Amts­ge­richts­ur­teils nach einer Dro­gen­fahrt aus­ein­an­der­ge­setzt. Unter an­de­rem in der Fest­stel­lung des Vor­sat­zes, durch den Ver­weis auf Schrift­do­ku­men­te und zu um­fang­rei­che Aus­zü­ge aus dem Fahr­eig­nungs­re­gis­ter habe das AG Feh­ler ge­macht.

28. Jun 2021

An­mer­kung von
Se­na­tor E. h. Ott­heinz Kääb, LL.M., Rechts­an­walt und Fach­an­walt für Ver­kehrs­recht und Ver­si­che­rungs­recht, Mün­chen

Aus beck-fach­dienst Stra­ßen­ver­kehrs­recht 12/2021 vom 24.06.2021

Diese Ur­teils­be­spre­chung ist Teil des zwei­wö­chent­lich er­schei­nen­den Fach­diens­tes Stra­ßen­ver­kehrs­recht. Neben wei­te­ren aus­führ­li­chen Be­spre­chun­gen der ent­schei­den­den ak­tu­el­len Ur­tei­le im Stra­ßen­ver­kehrs­recht be­inhal­tet er er­gän­zen­de Leit­satz­über­sich­ten und einen Über­blick über die re­le­van­ten neu er­schie­ne­nen Auf­sät­ze. Zudem in­for­miert er Sie in einem Nach­rich­ten­block über die wich­ti­gen Ent­wick­lun­gen in Ge­setz­ge­bung und Pra­xis des Stra­ßen­ver­kehrs­rechts. Wei­te­re In­for­ma­tio­nen und eine Schnell­be­stell­mög­lich­keit fin­den Sie unter www.​beck-​online.​de

StVG § 24a II; StPO § 267

Sach­ver­halt

Der Be­trof­fe­ne fuhr unter Dro­gen­ein­fluss. Es er­ging ein Bu­ß­geld­be­scheid über eine Geld­bu­ße von 1.300 EUR und ein drei­mo­na­ti­ges Fahr­ver­bot. Gegen den Bu­ß­geld­be­scheid legte der Be­trof­fe­ne Ein­spruch ein. In der Haupt­ver­hand­lung des Amts­ge­richts wurde er je­doch zu genau den im Bu­ß­geld­be­scheid fest­ge­hal­te­nen Maß­nah­men ver­ur­teilt. Mit der Rechts­be­schwer­de mach­te er Ver­fah­rens­feh­ler gel­tend und rügte die Ver­let­zung sach­li­chen Rechts.

Recht­li­che Wer­tung

Das Ur­teil wurde vom Senat auf­grund der Sach­rü­ge auf­ge­ho­ben. Zu­nächst wurde der Ver­tei­di­ger «ge­rügt», weil er in der Rechts­be­schwer­de vor­ge­tra­gen hatte, dass das Ur­teil schon des­halb kei­nen Be­stand haben könne, weil das Gut­ach­ten des LKA über die Can­na­bis-Be­ein­flus­sung nicht in der Haupt­ver­hand­lung ver­le­sen wurde. Das sei falsch. Ein Blick in das sehr kurze Ur­teil und das Haupt­ver­hand­lungs­pro­to­koll zeige, dass die Ver­le­sung statt­ge­fun­den habe. Eben­so sei die Be­haup­tung der Ver­tei­di­gung un­wahr, dass das Ur­teil sich nicht mit der Mög­lich­keit aus­ein­an­der­ge­setz habe, die Be­sin­nungs­funk­ti­on durch eine er­höh­te Geld­bu­ße statt durch das Re­gel­fahr­ver­bot zu er­rei­chen. Im Ur­teil wer­den dazu wei­te­re Aus­füh­run­gen ge­macht.

Al­ler­dings leide das Ur­teil an an­de­ren Feh­lern, so die Rich­ter wei­ter. Auch ein Ur­teil in Bu­ß­geld­sa­chen er­for­de­re in aller Regel Fest­stel­lun­gen zur in­ne­ren Tat­sei­te. Ge­ra­de die An­nah­me vor­sätz­li­chen Han­delns be­dür­fe in der Regel der aus­drück­li­chen Fest­stel­lung. Diese fehle hier, ohne dass sich der Vor­satz aus der Tat quasi von selbst er­ge­be.

Wei­ter mo­nier­ten die Rich­ter, eine Ver­wei­sung sei nach § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO nur auf Ab­bil­dun­gen mög­lich. Eine un­wirk­sa­me Ver­wei­sung auf Schrift­do­ku­men­te könne da­ge­gen den Be­stand des Ur­teils ge­fähr­den. Bei den hier in Bezug ge­nom­me­nen Do­ku­men­ten han­de­le es sich um reine Schrift­do­ku­men­te, die eine Ver­wei­sung un­wirk­sam mach­ten.

Wolle das Tat­ge­richt Nr. 241.1 BKat an­wen­den, so habe es mit­zu­tei­len, wel­che im Fahr­eig­nungs­re­gis­ter nach § 24a StVG oder §§ 316, 315c Abs. 1a StGB ein­ge­tra­ge­ne Ent­schei­dung es ver­wer­ten und zum An­lass der Rechts­fol­gen­be­mes­sung neh­men will.

Es sei zudem ver­fehlt, den Aus­zug aus dem Fahr­eig­nungs­re­gis­ter in fak­si­mi­lier­ter Form im Ur­teil wie­der­zu­ge­ben und da­durch Les­bar­keit und Ver­ständ­nis der Ur­teils­grün­de zu er­schwe­ren. Nehme das Tat­ge­richt zudem ir­rele­van­te oder ge­tilg­te Ein­tra­gun­gen in das Ur­teil auf, laufe es Ge­fahr, dass seine Straf­zu­mes­sung hier­mit in Zu­sam­men­hang ge­bracht und vom Rechts­mit­tel­ge­richt auf­ge­ho­ben werde. Bei­des sei hier ge­sche­hen. Die Dar­stel­lung von Vor­ahn­dun­gen des Be­trof­fe­nen sei daher feh­ler­haft. Das Ge­richt habe le­dig­lich in fak­si­mi­lier­ter Form Un­ter­la­gen ins Ur­teil hin­ein­ko­piert (und noch dazu falsch be­zeich­net, denn es werde von einem Bun­des­zen­tral­re­gis­ter ge­spro­chen, aber ent­schei­dend sei das Fahr­eig­nungs­re­gis­ter). Zudem seien 14 Sei­ten die­ser Re­gis­ter-Ein­tra­gun­gen schlicht ins Ur­teil hin­ein­ko­piert wor­den. Er­sicht­lich seien dar­un­ter til­gungs­rei­fe Ein­tra­gun­gen und auch Ein­tra­gun­gen, in denen Hin­wei­se der Füh­rer­schein- und Voll­stre­ckungs­be­hör­den ent­hal­ten seien, die hier aber ir­rele­vant seien.

Au­ßer­dem habe das Ge­richt die Um­stän­de dar­zu­stel­len, wenn es bei einer Ver­ur­tei­lung nach § 24a StVG Aus­fall­erschei­nun­gen und Fahr­feh­ler bu­ß­gelderhö­hend be­rück­sich­ti­gen möch­te. Der rich­ti­ge Ort hier­für seien die Ur­teils­fest­stel­lun­gen.

Wolle das Ge­richt schlie­ß­lich den Um­stand, dass der Be­trof­fe­ne «in den letz­ten  24 Stun­den vor der Blut­ent­nah­me» auch ein Me­di­ka­ment ein­ge­nom­men hat, rechts­fol­gen­er­hö­hend be­rück­sich­ti­gen, so habe es mit­zu­tei­len, unter wel­chem Ge­sichts­punkt dies ge­sche­he. Dem Rechts­be­schwer­de­ge­richt müsse dabei die Über­zeu­gung ver­mit­telt wer­den, dass der Wirk­stoff des Me­di­ka­ments zur Tat­zeit noch nach­weis­bar war und dass der fest­ge­stell­te Misch­kon­sum zu­min­dest abs­trakt ge­fah­rer­hö­hend war. 

Die Ent­schei­dung werde wegen die­ser Män­gel des Ur­teils auf­ge­ho­ben und die Sache zu er­neu­ter Ver­hand­lung und Ent­schei­dung an das Amts­ge­richt zu­rück­ver­wie­sen.

Pra­xis­hin­weis

Die Ent­schei­dung ist für die Pra­xis durch­aus we­sent­lich. Sie rich­tet sich nicht nur an Rich­ter, son­dern auch die An­walt­schaft ist mit man­chem Hin­weis des Bu­ß­geld­se­nats an­ge­spro­chen.

KG, Be­schluss vom 23.04.2021 - 3 Ws (B) 87/21 (AG Ber­lin-Tier­gar­ten), BeckRS 2021, 12952