Urteilsanalyse
Fehlerhafte Jahresabschlüsse führen grundsätzlich zur Unentgeltlichkeit der Gewinnausschüttungen
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Vertraglich vereinbarte, von Jahresüberschüssen abhängige Gewinnausschüttungen sind nach Ansicht des BGH unentgeltlich, wenn die Jahresabschlüsse fehlerhaft sind, fehlerfrei erstellte Jahresabschlüsse keine Gewinne ausgewiesen hätten und der Schuldner aufgrund einer Parallelwertung in der Laiensphäre darum wusste.

3. Sep 2021

Anmerkung von

Rechtsanwalt Stefano Buck, Fachanwalt für Insolvenzrecht, Schultze & Braun Rechtsanwaltsgesellschaft für Insolvenzverwaltung mbH

Aus beck-fachdienst Insolvenzrecht 18/2021 vom 02.09.2021

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Sachverhalt

Der Kläger ist Verwalter in dem Insolvenzverfahren über das Vermögen der P. AG (nachfolgend Schuldnerin). Vorstand war B. Die Schuldnerin war auf dem unregulierten Kapitalmarkt tätig. Der Beklagte zeichnete bei der Schuldnerin zu einem nicht näher bekannten Zeitpunkt Genussrechte, welche deren Allgemeine Geschäftsbedingungen zugrunde lagen, wonach an die Genussrechtsinhaber unter bestimmten Voraussetzungen und abhängig von Jahresüberschüssen jährlich eine Basisdividende und eine Übergewinnbeteiligung ausgeschüttet werden sollten (vgl. zum Wortlaut der Allgemeinen Geschäftsbedingungen: BGH NJW 2021, 234). Die durch die Schuldnerin erstellten und von einem Wirtschaftsprüfer geprüften Jahresabschlüsse zum 31.3.2010, zum 31.3.2011, zum 31.3.2012 und zum 31.3.2013 wiesen Jahresüberschüsse aus. Dementsprechend erhielt der Beklagte von der Schuldnerin auf seine Genussrechte in der Folgezeit Auszahlungen in Höhe von insgesamt 13.462,43 EUR.

Auf am 13.11.2013 beim Insolvenzgericht eingegangenen Antrag wurde am 1.4.2014 über das Vermögen der Schuldnerin das Insolvenzverfahren eröffnet.

Der Kläger verlangt mit der Behauptung, die vertraglichen Voraussetzungen der Ausschüttung von Dividende und Übergewinnbeteiligung hätten in den maßgeblichen Jahren nicht vorgelegen, die von der Schuldnerin an den Beklagten erbrachten Ausschüttungen aufgrund von Schenkungsanfechtung, hilfsweise bereicherungsrechtlich, zurück. Die Klage hatte in den Vorinstanzen keinen Erfolg gehabt. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision möchte der Kläger die Verurteilung des Beklagten erreichen.

Entscheidung

Die Revision hat im Ergebnis Erfolg.

Der BGH führte aus, dass die Begründung des Berufungsgerichts im Ausgangspunkt zutreffe. Die Ausschüttungen der Dividenden und des Übergewinns sei nicht nach § 134 InsO anfechtbar, wenn die Schuldnerin diese Zahlungen ohne Rechtsgrund vorgenommen und ihr deswegen ein Bereicherungsanspruch gegen den Beklagten zugestanden habe, wenn also der Beklagte keinen Anspruch auf die Ausschüttungen gegen die Schuldnerin gehabt habe und er einen Bereicherungsanspruch der Schuldnerin nicht § 814 BGB entgegenhalten könne. Denn es handele sich bei der Bezahlung einer tatsächlich nicht bestehenden Schuld im Zwei-Personen-Verhältnis nicht um eine unentgeltliche Leistung des Schuldners, wenn dieser irrtümlich annehme, zu einer entgeltlichen Leistung verpflichtet zu sein. Auch ohne eine vertragliche Vereinbarung einer Gegenleistung fehle es an einer für die Unentgeltlichkeit erforderlichen kompensationslosen Minderung des schuldnerischen Vermögens, wenn der Empfänger die Leistung des Schuldners auf andere Art und Weise auszugleichen habe. Leistet der Schuldner, weil er sich irrtümlich hierzu verpflichtet hatte, stehe ihm hinsichtlich der Leistung ein Bereicherungsanspruch nach § 812 Abs. 1 Satz 1 Fall 1 BGB zu. Daher sei eine Leistung des Schuldners, wenn dieser irrtümlich annehme, zu einer entgeltlichen Leistung verpflichtet zu sein, nicht nach § 134 Abs. 1 anfechtbar (vgl. BGH NJW 2021, 234).

Zu Unrecht habe das Berufungsgericht einen Rückgewähranspruch gem. §§ 143134 InsO allerdings verneint, weil die Kondiktionssperre § 814 BGB nicht eingreife.

Die zugunsten des Beklagten geleisteten Überweisungen stellen Leistungen der Schuldnerin dar. Infolge des Vermögensabflusses haben die Zahlungen eine objektive Gläubigerbenachteiligung (§ 129 Abs. 1 InsO) bewirkt (vgl. BGB aaO). Sie erfolgten auch innerhalb von vier Jahren vor dem Antrag auf Insolvenzeröffnung.

Nach dem zugrunde liegenden Sachverhalt sei nicht auszuschließen, dass die Ausschüttungen unentgeltlich erfolgt seien, weil sie nach den getroffenen Vereinbarungen nicht geschuldet waren und die Schuldnerin dies wusste. Zur Begründung sei insoweit auf die Entscheidung des Senats vom 1.10.2020 (BGH NJW 2021, 234) verwiesen. Zutreffend sei das Berufungsgericht in diesem Zusammenhang von den dem Vertrag zugrunde liegenden Genussrechtsbedingungen ausgegangen, um festzustellen, ob dem Beklagten ein Anspruch auf die streitgegenständlichen Ausschüttungen zustand. Die Genussrechtsbedingungen stellen Allgemeine Geschäftsbedingungen dar; ihre Auslegung könne deswegen durch das Revisionsgericht überprüft werden (BGH, aaO). Die Auslegung ergebe, dass die materiellen Voraussetzungen der Ausschüttungen sich nach der objektiven (wahren) Vertragslage der Schuldnerin bestimmen, nicht nach den endgültig festgestellten Jahresabschlüssen und ihre Wirksamkeit nach dem Aktiengesetz (BGH, aaO). Wenn es aber für die Frage des Anspruchs des Beklagten auf die Ausschüttungen auf die festgestellten Jahresabschlüsse und § 256 AktG, sondern auf die objektive Ertragslage der Schuldnerin angekommen sei, tragen auch die Ausführungen des Berufungsgerichts zu § 814 BGB nicht.

Praxishinweis

Da die Sache nicht zur Endentscheidung reif war, war sie an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

Das Berufungsgericht wird zu prüfen haben, ob die Ausschüttungen an den Beklagten ohne Rechtsgrund erfolgt sind, die Jahresabschlüsse also fehlerhaft waren und die Schuldnerin keine Gewinne, sondern Verluste erwirtschaftet hat und somit die Bedingungen für die Auszahlungen nicht vorlagen und die Schuldnerin davon positiv im Zeitpunkt der Leistung wusste, sie also aus den ihr bekannten Tatsachen nach der maßgeblichen Parallelwertung in der Laiensphäre gefolgert hat, dass die Jahresabschlüsse fehlerhaft waren und sie tatsächlich keine Gewinne, sondern nur Fehlbeträge erwirtschaftet hat und die Genussrechtsinhaber deswegen keinen Anspruch auf die Ausschüttungen hatten. Hierauf wies der BGH in der Entscheidung ausdrücklich hin. Ebenso, dass wegen der Maßstäbe auf das gleichfalls am 22.7.2021 verkündete Urteil des Senats (IX ZR 26/20) Bezug genommen wird.

BGH, Urteil vom 22.07.2021 - IX ZR 81/20 (KG), BeckRS 2021, 22772