Urteilsanalyse
Fehlendes Rechtsschutzbedürfnis für die Aufhebung eines Beschlusses der Gläubigerversammlung
Urteilsanalyse
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Ein Rechtsschutzbedürfnis für einen Antrag auf Beschlussaufhebung ist nach einem Beschluss des BGH vom 28.05.2020 in der Regel nicht gegeben, wenn die Gläubigerversammlung eine Beschlussfassung mehrheitlich abgelehnt hat.

13. Aug 2020

Anmerkung von

Rechtsanwalt Stefano Buck, Fachanwalt für Insolvenzrecht, Schultze & Braun Rechtsanwaltsgesellschaft für Insolvenzverwaltung mbH

Aus beck-fachdienst Insolvenzrecht 15/2020 vom 31.07.2020

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Sachverhalt

Die weitere Beteiligte ist Verwalterin in dem Insolvenzverfahren über den Nachlass des am 16.12.2016 verstorbenen Schuldners. Noch zu Lebzeiten des Schuldners war am 1.3.2015 das Insolvenzverfahren über sein Vermögen eröffnet worden. Nach dem Tod des Schuldners wurde das Verfahren mit Beschluss vom 11.1.2017 in ein Nachlassinsolvenzverfahren übergeleitet. Es sind Forderungen in Höhe von gut 230.000 EUR zur Insolvenztabelle festgestellt. Davon entfallen etwa 150.000 EUR auf das Finanzamt.

Im März 2017 beantragte die weitere Beteiligte die Einberufung einer Gläubigerversammlung. Sie wollte sich von der Versammlung ermächtigen lassen, eine Auskunftsklage gegen die vom Schuldner vor Verfahrenseröffnung beschäftigte Steuerberatungsgesellschaft zu erheben (§ 160 II Nr. 3 InsO). Der Schuldner hatte an die Steuerberatungsgesellschaft mehrfach Geldbeträge gezahlt zur Weiterleitung an bestimmte Gläubiger, ua an das Finanzamt. Durch die Auskunftsklage sollten mögliche Anfechtungsansprüche der Masse aufgedeckt werden.

Mit Beschluss vom 23.3.2017 ordnete das Insolvenzgericht für die beantragte Gläubigerversammlung das schriftliche Verfahren an und bestimmte den „Stichtag“ der Versammlung auf den 10.4.2017. An diesem Tag erklärte das Finanzamt schriftlich, dass es der von der Insolvenzverwalterin beabsichtigten Klage nicht zustimme. Weitere Gläubiger äußerten sich nicht. Ein unter dem 10.4.2017 durch die Rechtspflegerin verfasstes Protokoll, nach dem die Zustimmung durch die Gläubigerversammlung nicht festgestellt werden konnte, ging der Insolvenzverwalterin am 24.4.2017 formlos zu. Diese beantragte daraufhin mit einem am 25.4.2017 beim Insolvenzgericht eingegangenen Schriftsatz die Aufhebung des Beschlusses der Gläubigerversammlung gem. § 78 Abs. 1 InsO wegen Verstoßes gegen das gemeinsame Interesse der Insolvenzgläubiger.

Das Insolvenzgericht hat den Antrag als unbegründet zurückgewiesen. Die sofortige Beschwerde der weiteren Beteiligten hatte keinen Erfolg gehabt. Mit ihrer vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgte die Insolvenzverwalterin ihren Antrag auf Aufhebung des Beschlusses weiter. Im Ergebnis ohne Erfolg.

Entscheidung: Kein Rechtsschutzbedürfnis für einen Antrag auf Beschlussaufhebung, wenn die Gläubigerversammlung eine Beschlussfassung mehrheitlich abgelehnt hat

Der BGH führte aus, dass das Beschwerdegericht zu Recht erkannt habe, dass der Antrag der weiteren Beteiligten auf Aufhebung des Beschlusses der Gläubigerversammlung mangels Rechtsschutzbedürfnis unzulässig sei.

§ 78 InsO schaffe ein „Veto-Recht“ für die in Abs. 1 der Vorschrift genannten Gläubiger und den Insolvenzverwalter. Zur möglichst weitgehenden Wahrung der Gläubigerautonomie sei der durch § 78 InsO vermittelte Schutz in doppelter Hinsicht beschränkt. Zum einen greife das „Veto-Recht“ der Antragsberechtigten nicht ohne Weiteres durch. Die Frage, ob der Beschluss dem gemeinsamen Interesse der Insolvenzgläubiger widerspreche, obliege vielmehr der Beurteilung durch das Insolvenzgericht. Die zweite Beschränkung ergebe sich daraus, dass der Beschluss der Gläubigerversammlung nur aufgehoben werden könne. Die Aufhebung des Beschlusses stelle die Lage wieder her, wie sie war, bevor der dem gemeinsamen Interesse der Insolvenzgläubiger widersprechende Beschluss gefasst worden sei. Entstehe durch die Beschlussfassung eine Regelungslücke, so sei die Gläubigerversammlung dazu berufen, erneut zu entscheiden. Das Gericht sei aber nicht dazu berufen, die durch die Aufhebung des Beschlusses entstandene Lücke durch eigene Maßnahmen selbst zu schließen. Dies zeige, dass ein Rechtsschutzbedürfnis für einen Antrag nach § 78 abs. 1 InsO nur im Blick auf solche Beschlüsse angenommen werden könne, deren Aufhebung den Widerspruch zum gemeinsamen Interesse der Insolvenzgläubiger jedenfalls vorläufig beseitige. Hierzu müsse der Beschluss den Widerspruch begründen oder jedenfalls vertiefen. Das sei in der Regel nicht der Fall, wenn die Gläubigerversammlung eine Beschlussfassung lediglich ablehne. Die Ablehnung mag dem gemeinsamen Interesse der Insolvenzgläubiger widersprechen. Sie ändere jedoch nichts an der Ausgangslage, welche die nach § 78 Abs. 1 InsO in Betracht kommende Beschlussaufhebung allein wieder herzustellen vermag.

Praxishinweis

Die Aufhebung einer ablehnenden Entscheidung der Gläubigerversammlung ist auch nicht erforderlich, um eine erneute Beschlussfassung herbeizuführen. Die Gläubigerversammlung kann getroffene Beschlüsse jederzeit mit Wirkung für die Zukunft abändern oder aufheben (vgl. MünchKomm-InsO/Ehricke/Ahrens, 4. Aufl., § 76 Rn. 32). Insbesondere kann ein zunächst noch mehrheitlich abgelehnter Beschluss in einer späteren Versammlung doch noch gefasst werden. § 78 InsO verfolgt nicht das Ziel, der Gläubigerversammlung den Widerspruch gegen das gemeinsame Interesse der Insolvenzgläubiger für eine erneute Beschlussfassung vor Augen zu führen. Die Beschlussaufhebung soll allein durch Durchsetzung von Eigen- oder Sonderinteressen der (Stimmen-)Mehrheit verhindert werden. Hierauf wies der BGH nochmals ausdrücklich hin.

BGH, Beschluss vom 28.05.2020 - IX ZB 64/17 (LG Bückeburg), BeckRS 2020, 15994