Urteilsanalyse
Fehlende gegenseitige Erbeinsetzung in einem gemeinschaftlichen Testament
Urteilsanalyse
urteil_lupe
© Stefan Yang / stock.adobe.com
urteil_lupe

Zwar ist dem gemeinschaftlichen Testament der Wunsch der Eheleute zu entnehmen, dass die im Testament genannten Personen nach dem Tod des länger lebenden Ehegatten das Wohnhaus erhalten sollten, doch reicht dies - so das OLG Brandenburg - nicht aus, um das Testament dahingehend auszulegen, dass die Eheleute sich gegenseitig als Alleinerben des gesamten Nachlasses einsetzen wollten.

5. Okt 2022

Anmerkung von 
JR Dr. Wolfgang Litzenburger, Notar in Mainz
       
Aus beck-fachdienst Erbrecht 09/2022 vom 28.09.2022

Diese Urteilsbesprechung ist Teil des monatlich erscheinenden Fachdienstes Erbrecht. Neben weiteren ausführlichen Besprechungen der entscheidenden aktuellen Urteile im Erbrecht beinhaltet er ergänzende Leitsatzübersichten und einen Überblick über die relevanten neu erschienenen Aufsätze. Zudem informiert er Sie in einem Nachrichtenblock über die wichtigen Entwicklungen in Gesetzgebung und Praxis des Erbrechts. Weitere Informationen und eine Schnellbestellmöglichkeit finden Sie unter www.beck-online.de


Sachverhalt

Der Erblasser und seine Ehefrau errichteten am 04.03.2019 ein gemeinschaftliches gemeinsames Testament, das mit „Testament Den 04.03.2019 Betr. Wohnhaus + Grundstück“ überschrieben ist. Darin heißt es:

„Hiermit verfügen wir, daß unser Wohnhaus + Grundstück obiger Anschrift nach dem Tod des längerlebenden Eigentümers übergehen soll als Erbe

1.) an unsere Tochter H1.

2.) sowie an unseren Enkel …

Für evtl. Ausgleich gegenüber Geschwistern von Marco soll unsere Tochter H1. nach ihren Entscheidungen sorgen. Das Erbe geht in gleichen Teilen an o. genannte Personen und soll nach deren Vereinbarung grundbuchrechtlich eingetragen werden.

Es ist unser Wunsch, daß das Haus nicht verkauft wird und in der Familie verbleibt. Den Erben ist unsere Verfügung bekannt.“

Das Vermögen des Erblassers und seiner Ehefrau bestand zum Zeitpunkt der Errichtung des Testaments neben Eigentum an dem Grundstück, das diese nach den Angaben der Ehefrau mit ca. 500.000 EUR bewertet haben, jedenfalls noch aus Sparvermögen i.H.v. insgesamt ca. 250.000 EUR.

Der Antragsteller begehrt einen Erbschein aufgrund gesetzlicher Erbfolge, der die Ehefrau des Erblassers, zu 1/2 und deren gemeinsame Kinder zu je 1/6 als Erben ausweist.

Das Nachlassgericht hat den Antrag zurückgewiesen. Im Wege der Auslegung ergebe sich, dass der wirkliche Wille der Erblasser dahin gegangen sei, sich gegenseitig als Alleinerben für den ersten Todesfall einzusetzen.

Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Antragstellers.

Entscheidung: Die Beschwerde hat Erfolg, weil sich dem Testament nicht entnehmen lässt, dass die Eheleute sich gegenseitig als Alleinerben eingesetzt haben.

Auch wenn Ehegatten sich üblicherweise gegenseitig selbst bedenken, stellt diese Tatsache keinen ausreichenden Anhalt für eine gegenseitige Erbeinsetzung dar. Die gegenseitige Erbeinsetzung kann nicht allein aufgrund der Errichtung eines gemeinschaftlichen Testamentes angenommen werden (BGH NJW 1981, 1737, 1738).

Ob ausnahmsweise etwas anderes gelten kann, wenn die Erblasser in ihrem gemeinschaftlichen Testament Schlusserben eingesetzt haben und die testierte Schlusserbeneinsetzung ohne die für den ersten Erbfall erfolgte Erbeinsetzung des überlebenden Ehegatten rechtlich ausschiede (OLG Brandenburg BeckRS 2021, 10179; dagegen OLG München BeckRS 2019, 27683), kann hier dahinstehen. Denn es fehlt bereits an einer Einsetzung der Tochter und des Enkels der Erblasser als Schlusserben. Fehlt es aber an einer Erbeinsetzung für den zweiten Erbfall, d.h. enthält das Testament überhaupt keine Erbeinsetzung, ist auch kein Anhaltspunkt für eine gegenseitige Erbeinsetzung für den ersten Todesfall enthalten und diese nicht einmal angedeutet.

Bei der Zuwendung des Hausgrundstücks an die Tochter und den Enkel der Erblasser handelt es sich nicht um eine Erbeinsetzung. Für die Annahme einer Erbeinsetzung kann trotz Zuwendung nur einzelner Gegenstände sprechen, wenn der Erblasser sein Vermögen vollständig den einzelnen Vermögensgegenständen nach verteilt hat, wenn er dem Bedachten die Gegenstände zugewendet hat, die nach seiner Vorstellung das Hauptvermögen bilden, oder nur Vermächtnisnehmer vorhanden wären und nicht anzunehmen ist, dass der Erblasser überhaupt keine Erben berufen und seine Verwandten oder seinen Ehegatten als gesetzliche Erben ausschließen wollte. Entsprechendes kann gelten, wenn der Nachlass durch die Zuwendung des wertmäßigen Hauptnachlassgegenstands, etwa eines Hausgrundstücks, im Wesentlichen erschöpft wird oder der objektive Wert das übrige Vermögen an Wert so erheblich übertrifft, dass der Erblasser ihn als seinen wesentlichen Nachlass angesehen hat. Mithin ist zu fragen, ob der Erblasser bei Errichtung des Testaments in den zugewendeten Gegenständen im Wesentlichen seinen Nachlass erblickt hat, ihn also durch die Zuwendung hat erschöpfen wollen (OLG Saarbrücken BeckRS 2019, 4882). Dies lässt sich nicht feststellen.

Gegen eine Erbeinsetzung spricht hier auch der Wortlaut der letztwilligen Verfügung. Schon nach der Überschrift des Testamentes sollte dieses nur das Wohnhaus Grundstück H2. straße betreffen und nur eine Regelung über dieses Grundstück getroffen werden. Schon dies spricht dafür, dass die genannten Personen nicht Gesamtrechtsnachfolger des zuletzt versterbenden Erblassers werden sollten, sondern ihnen nur das Hausgrundstück zugewendet werden sollte. Dies spricht dafür, dass sie keine Verfügung über die Erbfolge insgesamt treffen wollten.

Dagegen spricht auch nicht die Bezeichnung der genannten Personen als Erben. Nicht die vom Erblasser gewählten Worte, sondern der sachliche Inhalt der letztwilligen Verfügung ist entscheidend, zumal im allgemeinen Sprachgebrauch zwischen den Worten „erben“ und „vermachen“ häufig nicht im Sinne der Terminologie des Bürgerlichen Gesetzbuches unterschieden wird.

Etwas Anderes ergibt sich auch nicht aus den Wertverhältnissen. Nach den zur Zeit der Testamentserrichtung vorliegenden Gegebenheiten kann weder davon ausgegangen werden, dass der Nachlass durch die Zuwendung des Hausgrundstücks an die genannten Personen erschöpft worden ist noch, dass der objektive Wert des Grundstücks das übrige Vermögen der Eheleute an Wert so erheblich übertroffen hat, dass sie es offensichtlich als ihren wesentlichen Nachlass angesehen haben. Die Eheleute hatten gemeinsam neben dem Grundstück, dessen Wert sie mit 500.000 € eingeschätzt hatten, Barvermögen in Höhe von 250.000 €, was insgesamt im Verhältnis zum Hausgrundstück einen erheblichen und damit nicht zu vernachlässigenden Vermögenswert darstellt. Dies lässt den Rückschluss zu, dass sie auch dem übrigen Teil ihres Vermögens einen nicht zu vernachlässigenden Wert beigemessen haben und keine umfassende Erbeinsetzung vornehmen wollten. Es spricht auch nichts dafür, dass nach dem Tod des Längstlebenden nur die genannten Personen (Schluss) erben sein sollten und die weiteren Kinder von der Erbfolge ausgeschlossen werden sollten.

Eine Andeutung, dass sich die Eheleute bereits gegenseitig für den ersten Erbfall als Alleinerben einsetzen wollten, findet sich damit im Testament unter keinen Umständen.

Praxishinweis

Die vom OLG Braunschweig gewählte Lösung ist keineswegs zwingend. Lobenswert ist allerdings, dass der Senat sich bei der ergänzenden Testamentsauslegung an die allgemein anerkannten Regeln hierfür hält und der Versuchung widersteht, auf der Grundlage allgemeiner Lebenserfahrung übliche Erbfolgegestaltungen den Beteiligten in Form einer gegenseitigen Erbeinsetzung zu unterstellen.

Auch die Annahme, dass das Testament auf der Grundlage des § 2087 BGB keine Schlusserbeneinsetzung der Tochter rechtfertigt, wird überzeugend begründet. Bei den hier gegebenen Vermögensverhältnissen zur Zeit der Testamentserrichtung erreicht der Grundbesitz nicht die für eine Auslegung gemäß § 2087 BGB als Gesamtvermögensverfügung erforderliche Mindestquote.

Allerdings hat der Senat bei der gegenüber der Auslegungsregel des § 2087 BGB vorrangigen ergänzenden Auslegung übersehen, dass nach dem Wortlaut des Testaments das Hausgrundstück „als Erbe“ übergehen sollte. Der Bezeichnung als Erbschaft kommt in einem eigenhändig und ohne fachkundigen Rat verfassten Testament zwar grundsätzlich keine zentrale Bedeutung zu, doch hat der Senat verkannt, dass mit der Wahl des Wortes „als“ die letztwillige Verfügung auch im Sinne von „als Bestandteil des (umfassenderen) Erbes“ verstanden werden kann (pars pro toto). Bei der ergänzenden Auslegung reicht es nach den anerkannten Grundsätzen nämlich aus, wenn das Gewollte irgendwie, also auch noch so geringfügig angedeutet ist. Der Senat kann zwar für seine Auslegung in Anspruch nehmen, dass das Testament mit dem einschränkenden Zusatz „Betr. Wohnhaus + Grundstück“ überschrieben ist, doch lässt sich damit allein das hier aufgezeigte Verständnis des Wortlauts nicht ohne weiteres abtun. Deshalb ist das vom Senat vertretene Auslegungsergebnis, das Testament enthalte keine Schlusserbeneinsetzung, keineswegs zwingend, sondern bestenfalls naheliegend.

Noch zweifelhafter ist jedoch, dass der Senat aus dem Fehlen einer Schlusserbeneinsetzung den Schluss zieht, dass allein deshalb das gemeinschaftliche Testament keine für ein „Berliner Testament“ übliche gegenseitige Erbeinsetzung enthalten könne. Die ergänzende Testamentsauslegung ist jedoch dadurch gekennzeichnet, dass der lückenhaft, aber formgerecht geäußerte Erblasserwille konsequent zu Ende gedacht wird, um festzustellen, was die Erblasser übereinstimmend mit dem gemeinschaftlichen Testament erreichen wollten. Dieser Umkehrschluss ist schon deshalb falsch, weil selbst im Falle eines Vermächtnisses des Längstlebenden an die Tochter eine gegenseitige Erbeinsetzung nicht nur möglich, sondern sogar zwingend ist. Der Senat hat nämlich völlig übersehen, dass das Testament die Verfügung enthält, dass „unser Wohnhaus + Grundstück obiger Anschrift nach dem Tod des längerlebenden Eigentümers … als Erbe“ übergehen soll. An dieser Formulierung ist bemerkenswert, dass das Hausgrundstück als rechtliche Einheit nach dem Tod des längerlebenden Eigentümers übergehen soll („unser Wohnhaus“). Dazu ist es aber erforderlich, dass der Miteigentumsanteil des Erblassers in toto auf seine Ehefrau übergeht und nicht nur als Miterbin zu 1/2-Anteil. Geht man jedoch mit dem Senat vom Eintritt der gesetzlichen Erbfolge nach dem Erblasser aus, so wird dieses Ergebnis verfehlt, es sei denn, man interpretiert ein entsprechendes Vorvermächtnis gemäß § 2191 BGB bezüglich des Hauses in das Testament hinein. Besonders bei der ergänzenden Auslegung ist es wichtig, sämtliche im Testament enthaltenen Formulierungen daraufhin zu untersuchen, ob sie einen nicht ausdrücklich zum Ausdruck gebrachten Erblasserwillen – wie hier - andeuten. Dabei ist grundsätzlich davon auszugehen, dass die Erblasser keine unsinnigen, widersprüchlichen oder überflüssigen Regelungen treffen wollten. Weil der Senat aber diese Formulierung unbeachtet gelassen hat, ist sein Auslegungsergebnis angreifbar. Nur dann, wenn man eine gegenseitige Erbeinsetzung im Sinne des § 2069 BGB annimmt, macht es Sinn, dass beide Beteiligten ihr Haus als rechtliche Einheit der Tochter vermachen bzw. vererben. Der Senat hingegen kann diese Formulierung nicht erklären und ignoriert sie unzulässigerweise völlig. Die vom Nachlassgericht vertretene Auslegung des Testaments, dass dieses eine gegenseitige Erbeinsetzung enthält, erweist sich demnach nicht nur als gut vertretbar, sondern auch als richtig.

Dieser Fall beweist ein weiteres Mal, wie schwierig und unsicher die Auslegung eigenhändig und ohne fachkundigen Rat verfasster Testament ist. 


OLG Brandenburg, Beschluss vom 09.08.2022 - 3 W 67/22, BeckRS 2022, 22068