Anmerkung von
Richter am Kammergericht Dr. Oliver Elzer, Berlin
Aus beck-fachdienst Zivilverfahrensrecht 22/2023 vom 03.11.2023
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Sachverhalt
K begehrt von B die Rückzahlung von abschlagsweise geleisteten Zahlungen, B verlangt widerklagend die Zahlung Restwerklohns. Das LG gibt der Klage nach einer Beweisaufnahme, insbesondere der Einholung eines Gutachtens, in Höhe von 15.750,57 EUR nebst Zinsen unter Klageabweisung im Übrigen statt. Die Widerklage weist es ab. Im Rahmen der wechselseitig eingelegten Berufungen erteilt das OLG einen an beide Parteien gerichteten Hinweis auf ein beabsichtigtes Vorgehen nach § 522 Abs. 2 ZPO, woraufhin B ihre Berufung zurücknimmt. Die Berufung der K weist das OLG gem. § 522 Abs. 2 ZPO zurück. B könne die Bezahlung derjenigen Leistungen verlangen, die unstreitig ausgeführt oder im Rahmen der Beweisaufnahme durch den Sachverständigen festgestellt worden seien. Soweit K geltend mache, dass Massen, die nach dem Ergebnis der Schlussrechnungsprüfung bereits als berechtigt bewertet worden seien, von dem Sachverständigen mit der Folge einer doppelten Berücksichtigung anderen Leistungspositionen zugeordnet worden sein könnten, zeige K eine theoretische Möglichkeit auf, ohne dass Anhaltspunkte dafür bestünden, dass sich diese konkret realisiert hätte.
Entscheidung: Das OLG hat das rechtliche Gehör der Klägerin verletzt!
Das Gebot des rechtlichen Gehörs verpflichte das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Das Gericht sei verpflichtet, den wesentlichen Kern des Vorbringens der Partei zu erfassen und – soweit er eine zentrale Frage des Verfahrens betreffe – in den Gründen zu bescheiden (Hinweis auf stRspr, ua BGH BeckRS 2023, 9513 Rn. 16). Von einer Verletzung dieser Pflicht sei auszugehen, wenn die Begründung der Entscheidung des Gerichts nur den Schluss zulasse, dass sie auf einer allenfalls den äußeren Wortlaut, aber nicht den Sinn des Vortrags der Partei erfassenden Wahrnehmung beruhe (Hinweis ua auf BGH NJW 2020, 3653 Rn. 17).
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze liege eine Verletzung des Anspruchs der K auf Gewährung rechtlichen Gehörs vor. K habe konkret und unter Bezugnahme auf einzelne Positionen vorgetragen, dass die LG-Würdigung, die teilweise auf die Begutachtung und teilweise auf die Schlussrechnungsprüfung abstelle, zu falschen Ergebnissen führe. Indem das OLG diesen Vortrag dahingehend gewürdigt hat, damit werde lediglich eine theoretische Möglichkeit aufgezeigt, ohne dass Anhaltspunkte dafür beständen, dass sich diese konkret realisiert hätte, und Vortrag zu konkret betroffenen Positionen vermisst habe, habe es Vorbringen der K zu einer zentralen Frage des Rechtsstreits nicht berücksichtigt. Die OLG-Begründung lasse nur den Schluss zu, dass es insoweit allenfalls den äußeren Wortlaut, aber nicht den Sinn des Vortrags erfasst habe. Denn mit einem durch die Darstellung in der Anlage BK 1 positionsgenau präzisierten Vorbringen habe K die aus ihrer Sicht gegebene fehlerhafte Würdigung aufgrund einer Kombination der Ergebnisse der Sachverständigenbegutachtung und der klägerischen Schlussrechnungsprüfung konkret im Einzelfall gerügt.
Praxishinweis
Das Gebot des rechtlichen Gehörs verpflichtet dazu, den wesentlichen „Kern des Vorbringens“ der Partei zu erfassen und – soweit er eine zentrale Frage des jeweiligen Verfahrens betrifft – grds. in den Gründen zu bescheiden (s. auch BGH NJW 2019, 1754 Rn. 7 = FD-ZVR 2019, 417898 mAnm Elzer; BGH NJW-RR 2018, 651 Rn. 16; BGH NZM 2018, 289 Rn. 6). Von einer Verletzung dieser Pflicht soll auszugehen sein, wenn die Begründung der Entscheidung des Gerichts nur den Schluss zulässt, dass sie auf einer allenfalls den äußeren Wortlaut, aber nicht den Sinn des Vortrags der Partei erfassenden Wahrnehmung beruht. Es ist zwar ein „weites Feld“. Im Fall liegt aber auf der Hand, dass man K’s Vortrag bescheiden musste.
BGH, Beschluss vom 27.09.2023 - VII ZR 212/22 (OLG Köln), BeckRS 2023, 28912