Urteilsanalyse
Falsche Rechtsmittelbelehrung im WEG-Verfahren führt nicht zur Fristwahrung
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Ein Rechtsanwalt unterliegt einem unverschuldeten Rechtsirrtum, wenn er die Berufung in einer WEG-Sache aufgrund unrichtiger Rechtsmittelbelehrung nicht bei dem nach § 72 Abs. 2 GVG zuständigen Berufungsgericht, sondern bei dem für allgemeine Zivilsachen zuständigen Berufungsgericht einlegt. Dies führt  aber nicht dazu, dass die Berufung die Berufungsfrist wahrt und der Rechtsstreit auf Antrag in entsprechender Anwendung des § 281 ZPO an das zuständige Gericht zu verweisen ist.

17. Dez 2020

Anmerkung von
Rechtsanwalt Prof. Dr. Wolf-Rüdiger Bub und Rechtsanwalt Nikolay Pramataroff
Rechtsanwälte Bub, Memminger & Partner, München, Frankfurt a.M.

Aus beck-fachdienst Miet- und Wohnungseigentumsrecht 24/2020 vom 17.12.2020

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Sachverhalt

Die Parteien sind Mitglieder einer Wohnungseigentümergemeinschaft. Sie streiten über die Unterlassung der Nutzung einer Terrasse und über die Pflicht zur Erstellung von Jahresabrechnungen. In der Rechtsmittelbelehrung des Urteils des Amtsgerichts Duderstadt wird das Landgericht Göttingen als zuständiges Berufungsgericht bezeichnet. Dorthin richtete der Beklagte seine Berufung. Nach einem Hinweis des Landgerichts Göttingen, zuständiges Berufungsgericht sei gemäß § 72 Abs. 2 GVG das Landgericht Braunschweig, hat der Beklagte die Verweisung dorthin beantragt. Das Landgericht Göttingen ist dem nicht nachgekommen und hat die Berufung des Beklagten durch Beschluss als unzulässig verworfen. Dagegen wendet sich dieser mit der Rechtsbeschwerde, deren Zurückweisung die Kläger beantragen.

Entscheidung

Die statthafte Rechtsbeschwerde ist unzulässig.

Das Berufungsgericht komme rechtsfehlerfrei zu dem Ergebnis, dass die Berufung unzulässig sei. Der Beklagte habe die Berufung nicht fristwahrend bei dem Landgericht Göttingen eingelegt. Dieses habe den Rechtsstreit daher zu Recht nicht in entsprechender Anwendung von § 281 ZPO an das zuständige Landgericht Braunschweig verwiesen.

Die Berufungsfrist könne in Ausnahmefällen auch durch Anrufung des funktionell unzuständigen Berufungsgerichts gewahrt und in solchen Fällen der Rechtsstreit entsprechend § 281 ZPO auf Antrag an das zuständige Gericht verwiesen werden. Ein solcher Ausnahmefall sei gegeben, wenn die Frage, ob eine Streitigkeit im Sinne von § 43 Nr. 1 bis 4 und Nr. 6 WEG vorliege, für bestimmte Fallgruppen noch nicht höchstrichterlich geklärt sei und man über deren Beantwortung mit guten Gründen unterschiedlicher Auffassung sein könne. Einer Partei könne es in einer solchen Konstellation nicht angesonnen werden, zur Meidung der Verwerfung ihres Rechtsmittels als unzulässig Berufung sowohl bei dem allgemein zuständigen Berufungsgericht einzulegen als auch bei dem des § 72 Abs. 2 GVG. Diese Voraussetzungen seien bei dem hier vorliegenden Streit um die Nutzung einer Terrasse und die Pflicht zur Erstellung von Jahresabrechnungen nicht erfüllt.

Grundsätzlich gelte aber – wie im vorliegenden Fall -, dass bei Vorliegen einer Streitigkeit im Sinne von § 43 Nr. 1 bis 4 und Nr. 6 WEG die Berufung fristwahrend nur bei dem von der Regelung des § 72 Abs. 2 GVG vorgegebenen Berufungsgericht eingelegt werden könne. Eine bei dem falschen Berufungsgericht eingelegte Berufung, die nicht rechtzeitig in die Verfügungsgewalt des richtigen Berufungsgerichts gelangt, könne daher auch nicht in entsprechender Anwendung von § 281 ZPO an dieses Gericht verwiesen werden. Vielmehr sei die Berufung als unzulässig zu verwerfen. Um eine solche Streitigkeit gehe es hier. Bei dem Streit zwischen Wohnungseigentümern über die Unterlassung der Nutzung einer Terrasse und über die Pflicht zur Erstellung von Jahresabrechnungen für die Wohnungseigentümergemeinschaft handle es sich um Streitigkeiten nach § 43 Nr. 1 und Nr. 3 WEG, für die hier das Landgericht Braunschweig gemäß § 72 Abs. 2 Satz 1 GVG zuständiges Berufungsgericht sei.

Ein Rechtsanwalt unterliege in aller Regel einem - zur Wiedereinsetzung wegen schuldloser Fristversäumung führenden - unverschuldeten Rechtsirrtum, wenn er die Berufung in einer Wohnungseigentumssache aufgrund einer unrichtigen Rechtsmittelbelehrung nicht bei dem nach § 72 Abs. 2 GVG zuständigen Berufungsgericht, sondern bei dem für allgemeine Zivilsachen zuständigen Berufungsgericht einlege. Der unverschuldete Rechtsirrtum führe aber nicht dazu, dass die bei dem funktionell unzuständigen Gericht eingelegte Berufung die Berufungsfrist wahre und der Rechtsstreit auf Antrag in entsprechender Anwendung des § 281 ZPO an das zuständige Gericht zu verweisen sei. Vielmehr werde dem unverschuldeten Rechtsirrtum dadurch Rechnung getragen, dass die mit der Berufungseinlegung bei dem unzuständigen Berufungsgericht entstandene Fristversäumnis durch erneute Berufungseinlegung bei dem zuständigen Gericht verbunden mit einem Antrag gemäß § 233 ZPO auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand behoben werden könne. Die Wiedereinsetzungsfrist nach § 234 Abs. 2 ZPO beginne regelmäßig erst zu laufen, wenn das aufgrund der Rechtsmittelbelehrung angerufene Gericht auf seine Unzuständigkeit hinweise.

Praxishinweis

Der BGH bestätigt seine bisherige Rechtsprechung (Beschluss vom 17.11.2016 - V ZB 73/16, NJW-RR 2017, 525 Rn. 14; Beschluss vom 10.12.2009 - V ZB 67/09, NJW 2010, 1818 Rn. 9), wonach grundsätzlich die Berufung bei Streitigkeiten im Sinne von § 43 Nr. 1 bis 4 und Nr. 6 WEG fristwahrend nur bei dem von der Regelung des § 72 Abs. 2 GVG vorgegebenen Berufungsgericht eingelegt werden kann. Ebenfalls bestätigt der BGH seine Rechtsprechung zu den Ausnahmefällen, bei bestimmten Fallgruppen, die höchstrichterlich noch nicht geklärt sind (zuletzt Beschluss vom 20.02.2014 - V ZB 116/13, NJW 2014, 1879 Rn. 15).

Beruht die Fristversäumnis auf eine unzutreffende Rechtsbehelfsbelehrung darf sich auch eine anwaltlich vertretene Partei im Grundsatz auf die Richtigkeit einer Belehrung durch das Gericht verlassen, ohne dass es darauf ankommt, ob diese gesetzlich vorgeschrieben ist oder nicht (BGH, Beschluss vom 12.10.2016 – V ZB 178/15, NJW 2017, 1112 Rn 11). Das gilt lediglich dann nicht, wenn die Belehrung offenkundig fehlerhaft war, was dann anzunehmen ist, wenn sie etwa nicht einmal den Anschein der Richtigkeit zu erwecken vermag (BGH, Beschluss vom 13.06.2012 − XII ZB 592/11, NJW-RR 2012, 1025). Um einen Haftungsfall zu vermeiden, muss der Rechtsanwalt nach erteiltem Hinweis des sich für unzuständig erklärenden Gerichts innerhalb von zwei Wochen (§ 234 ZPO) beim zuständigen Gericht erneut Berufung einlegen und gleichzeitig einen Antrag gemäß § 233 ZPO auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand stellen (vgl. BGH, Beschluss vom 09.03.2017 - V ZB 18/16, NJW 2017, 3002 Rn. 11 ff.). Dies ist vorliegend nicht geschehen.

BGH, Beschluss vom 22.10.2020 - V ZB 45/20 (LG Göttingen), BeckRS 2020, 32872