Urteilsanalyse
Fahrtkostenerstattung für ambulante Behandlungen
Urteilsanalyse
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Die Kosten für die Fahrt zu einer ambulanten Behandlung werden nur von der Krankenkasse übernommen, wenn der Versicherte mit einem durch die Grunderkrankung vorgegebenen Therapieschema behandelt wird, das eine "hohe Behandlungsfrequenz über einen längeren Zeitraum" aufweist. Diese ist laut LSG Nordrhein danach zu bestimmen, ob die Behandlungen mit den in der Anlage genannten anderen Behandlungsformen von ihrem zeitlichen Ausmaß her wertungsmäßig vergleichbar sind.

17. Feb 2023

Rechtsanwältin Katja Baumann-Flikschuh, Plagemann Rechtsanwälte Partnerschaft mbB, Frankfurt am Main

Aus beck-fachdienst Sozialversicherungsrecht 03/2023 vom 17.02.2023

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Sachverhalt

Der Kläger, geb. 1965, leidet seit vielen Jahren unter einer Angst- und Panikstörung, aufgrund derer er sich in ambulanter psychotherapeutischer Behandlung in einer Tagesklinik befand. In den Jahren 2009 bis 2011 waren ihm Fahrtkosten zur Behandlung erstattet worden. Den Antrag auf Erstattung der Kosten für Fahrten zur Institutsambulanz für die Jahre 2013 bis 2016 lehnte die Beklagte mit angefochtenem Bescheid ab. Die Erstattung von Fahrtkosten komme nur in Ausnahmefällen in Betracht. Voraussetzung sei, dass der Patient mit einem durch die Grunderkrankung vorgegebenem Therapieschema behandelt werde, das eine hohe Behandlungsfrequenz (maximal zweimal wöchentlich) über einen längeren Zeitraum aufweist. Im vorliegenden Fall habe der MDK in seinem Gutachten eine entsprechend hohe Behandlungsfrequenz nicht feststellen können. Gegen den Widerspruchsbescheid und den die Klage abweisenden Gerichtsbescheid des SG richtet sich die Berufung des Klägers. Die Bewilligungsbescheide in den Vorjahren würden eine bindende Zusicherung enthalten. Außerdem läge eine „Dauerbehandlung“ vor, bei der separate Genehmigungen nicht erforderlich seien.

Entscheidung

Das LSG weist die Berufung des Klägers als unbegründet zurück. Fahrtkosten werden nach § 60 Abs. 1 Satz 3 SGB V nur in besonderen Ausnahmefällen erstattet, die der Gemeinsame Bundesausschuss in Richtlinien festgelegt hat. Nach § 8 Abs. 3 der Krankentransport-Richtlinie aus dem Jahre 2005, zuletzt geändert 2016, können Fahrten zur ambulanten Behandlung für Versicherte genehmigt werden, die einen Einstufungsbescheid mindestens in Pflegegrad III oder einen Schwerbehindertenausweis mit den Merkzeichen aG, Bl oder H vorlegen. Fahrten zur ambulanten Behandlung können auf ärztliche Verordnung auch ohne einen Nachweis genehmigt werden, wenn die Versicherten von einer vergleichbaren Beeinträchtigung der Mobilität betroffen sind und einer ambulanten Behandlung über einen längeren Zeitraum bedürfen. Diese Voraussetzungen liegen im Fall des Klägers nicht vor, so dass der Anspruch allenfalls auf § 8 Abs. 2 der Richtlinie gestützt werden kann. Im Falle des Klägers kann aber nicht von einem Therapieschema mit einer hohen Behandlungsfrequenz über einen längeren Zeitraum ausgegangen werden. Die Richtlinie bezieht sich auf Dialysepatienten bzw. onkologische Strahlentherapie und Chemotherapie. Hier geht es um Zeiträume von 4 bis 7 Wochen und in fortgeschrittenen Stadien von insgesamt 4 bis 8 Monaten. Monatliche Behandlungen reichen für den Tatbestand der „hohen Behandlungsfrequenz“ auch in diesen Krankheitssituationen nicht aus. Die vom Kläger vorgelegten Bescheinigungen ergeben keine vergleichbare Häufigkeit von Behandlungen. Schon gar nicht kann man dazu auch auf telefonisch stattgefundene Behandlungstermine ergänzend verweisen.

Praxishinweis

1. Das Urteil knüpft an eine Rechtsprechung des BSG an, u.a. BSG, BeckRS 2008, 56897. Dass der Kläger möglicherweise wegen der Angststörung außer Stande ist, öffentliche Verkehrsmittel zu nutzen, reicht für den Anspruch auf Erstattung der Fahrtkosten nicht aus.

2. Der Senat befasst sich auch mit dem Argument des Klägers, es habe eine Zusage vorgelegen bzw. ein Verhalten der Kasse, welches einen Vertrauenstatbestand gesetzt hat. Die Bescheide aus den Vorjahren, mit denen die Fahrtkosten übernommen werden, enthielten jedoch keine Genehmigung für die Fahrten ab 2013. Dies ergebe sich schon aus dem Inhalt der Bescheide selbst.

3. Ab dem 01.01.2019 gilt die Genehmigung für Krankenfahrten zur ambulanten Behandlung unter bestimmten Voraussetzungen als erteilt. Eine entsprechende Genehmigungsfiktion war in § 60 SGB V in den im vorliegenden Verfahren maßgebenden Fassungen zwischen 2013 und 2016 nicht enthalten.

LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 17.08.2022 - L 10 KR 421/21, BeckRS 2022, 38816