Interview
Europäische Lösung für Cannabislegalisierung
Interview
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„Wir führen die kontrollierte Abgabe von Cannabis an Erwachsene zu Genusszwecken in ­lizenzierten Geschäften ein“ – so steht es im Koalitionsvertrag der Parteien der Ampel-­Regierung. Doch was heißt das konkret? Und wie verhalten sich völker- und europarechtliche Vereinbarungen dazu? Fragen an den Kriminologen Dr. Robin Hofmann.

19. Sep 2022

NJW: Gerade wird wieder die Legalisierung des Cannabis-Konsums diskutiert. Was konkret schwebt der Bundesregierung vor, und welche Ziele verfolgt sie damit?

Hofmann: Der Entwurf zum Cannabiskontrollgesetz wird bis Ende des Jahres erwartet. Während die Abgabe von Cannabis zu medizinischen Zwecken in Deutschland bereits legal ist, soll nun auch der Verkauf für den Freizeitkonsum erlaubt werden. Ziele sind dabei vor allem der Gesundheits- und der Jugendschutz. Verunreinigtes und hoch-potentes Cannabis soll damit verdrängt und eine bessere Aufklärung über gesundheitliche Risiken des Konsums gewährleistet werden. Zudem hofft man, den bestehenden Schwarzmarkt damit zurückzudrängen.

NJW: Gibt es schon Vorschläge, wie die Abgabe erfolgen kann? Haben wir auch in Deutschland bald Coffeeshops nach dem Vorbild unserer niederländischen Nachbarn?

Hofmann: Diskutiert wird der Verkauf in lizensierten Fachgeschäften, aber auch in Apotheken. Dort dürfen dann Erwachsene kleine Mengen von Cannabis aus kontrolliertem Anbau erwerben. Speziell ausgebildete Verkäufer sollen dabei die Abgabe an Volljährige überwachen und auch über gesundheitliche Risiken aufklären. Ein Coffeeshop-Modell, bei dem Kunden das Cannabis gleich im Geschäft bei einer Tasse Kaffee konsumieren können, wurde meines Wissens bislang nicht thematisiert. Im Grunde würde aber auch da nichts dagegensprechen.

NJW: Stichwort „kleine Mengen“: Einige Länder haben eine Obergrenze für erlaubte Kleinmengen eingeführt. Ist das auch eine Option für Deutschland? Und gilt diese Obergrenze auch in zeitlicher Hinsicht?

Hofmann: Die Mengen Cannabis, die von Kunden gekauft werden können, werden sicherlich gedeckelt sein. Wie groß diese zulässigen Mengen sein werden, ist bislang nicht durchgedrungen. Das wird das Gesetz klar regeln müssen.

NJW: Können Online-Händler lizensierte Verkäufer werden?

Hofmann: Der Cannabis-Onlinehandel wird kontrovers diskutiert. Das Gesetz wird dem aber höchstwahrscheinlich einen Riegel vorschieben. Die Risiken werden dafür schlicht als zu hoch bewertet. Wie etwa soll man den Jugendschutz gewährleisten, wenn Cannabis frei im Internet bestellt werden kann? Aber auch Sicherheitsaspekte spielen eine Rolle: Soll man das Cannabis in Panzerwagen ausliefern, um etwa Diebstahl zu vermeiden? Auf der anderen Seite gibt es aber auch gute Gründe für den Versandhandel: Schon heute lässt sich Cannabis relativ leicht über das Internet bestellen. Die Erfahrungen aus Kanada, wo Cannabis schon heute ­legal ist, haben gezeigt, dass Konsumenten ungern auf die unkomplizierte Bestellung im Internet verzichten. Will man langfristig den Schwarzmarkt effektiv austrocknen, dann muss man wohl auch über den Versandhandel diskutieren.

NJW: Wie realistisch ist es denn, dass das mit einer kontrollierten ­Abgabe tatsächlich gelingt?

Hofmann: Ich bin da eher vorsichtig optimistisch. Wir haben erste Erfahrungswerte aus Kanada und den USA, die in dieser Hinsicht relativ ernüchternd sind. Erste Studien haben gezeigt, dass dort der Schwarzmarkt seit der Legalisierung weiter bestehen bleibt und eine Verdrängung der Dealer nur sehr langsam erfolgt. Allerdings lassen sich solche Studien nicht eins zu eins auf Deutschland übertragen. Ein entscheidendes Problem muss das Gesetz jedoch lösen: Ein Großteil des heute auf dem Schwarzmarkt erhältlichen Cannabis hat nur noch wenig gemein mit einer harmlosen Hippiedroge. Es ist hochgezüchtet, um ein Vielfaches ­potenter als noch vor einigen Jahren und damit auch gefährlicher für die Gesundheit. Da der Gesetzgeber völlig zu Recht auf den Gesundheitsschutz setzt, müssen Grenzwerte für den THC-Gehalt des verkauften Cannabis festgelegt werden. Entscheidend ist, wie die Konsumenten darauf reagieren werden: Werden sie das weniger potente Cannabis akzeptieren oder lieber weiterhin auf das stärkere Gras vom Schwarzmarkt ­zurückgreifen?

NJW: Viele befürchten, dass der Verkauf über lizensierte Geschäfte zu einem zu hohen Preis führen wird mit der Folge, dass viele Konsumenten doch wieder auf den Schwarzmarkt ausweichen werden. Zu Recht?

Hofmann: Diese Befürchtung muss man tatsächlich ernst nehmen. In Deutschland Cannabis anzupflanzen, ist aufwändig und teuer. Aus Gründen der Qualitätskon­trolle und Sicherheit wird es wohl überwiegend in Gewächshäusern angebaut werden. Diese sind enorm energieintensiv. US-Wissenschaftler sprechen da von einem Strombedarf pro Kilo Cannabis, der 500 mal höher ist als für die Herstellung derselben Menge Aluminium. Ob bei steigenden Energiepreisen ein Grammpreis von etwa 10 Euro realistisch ist, bleibt abzuwarten. Noch wichtiger ist aber der mit dem Anbau verbundene CO2-Fußabdruck. Studien aus den USA schätzen, dass pro Kilo Indoor-Cannabis zwischen zwei und fünf Tonnen CO2 ausgestoßen werden. Selbst wenn diese Werte nicht ohne Weiteres auf Deutschland übertragbar sind: Sicher ist, dass sich der Indoor-Anbau bei einem geschätzten Bedarf von etwa 400 Tonnen Cannabis jährlich in Deutschland ausgesprochen negativ auf die Klimabilanz auswirken wird.

NJW: Sie erwähnten bereits den Jugendschutz. Wie kann dem Rechnung getragen werden? Ist denkbar, den Kauf erst ab 21 Jahren zu erlauben?

Hofmann: Diskutiert wird eine Altersgrenze ab 18 Jahren, aber auch eine Grenze ab 21 wäre möglich. Mediziner weisen auf die gesundheitlichen Risiken von Cannabis für das noch nicht voll entwickelte Gehirn junger Erwachsener hin. Danach gilt: Je später man mit dem Konsum beginnt, umso besser. Der Jugendschutz bleibt aber in der Tat ein neuralgischer Punkt der Legalisierung. Über 10 % der 12- bis 17-jährigen Deutschen geben an, schon mal Cannabis konsumiert zu haben. Unter den jungen Erwachsenen sind es fast die Hälfte. Man muss da realistisch bleiben: Salopp gesagt bedeutet Jugendschutz nicht, die Kids vom Kiffen abzuhalten. Doch wenn sie es schon tun, dann besser mit Gras aus kontrolliertem Anbau, weniger potent und nicht vom Dealer um die Ecke, der noch ganz andere Drogen im Angebot hat.

NJW: Was gilt für den Anbau und Besitz von Hanfpflanzen?

Hofmann: Auch dazu sind bislang kaum Details bekannt. Grundsätzlich erlaubt das europäische Recht ausdrücklich den Anbau von Cannabis für den persönlichen Konsum. In den Niederlanden und bald auch in Luxemburg sind etwa fünf bzw. vier Cannabispflanzen im heimischen Wohnzimmer erlaubt. Ich rechne mit ­einer ähnlichen Größenordnung in Deutschland.

NJW: Gegen das Vorhaben werden völker- und europa­rechtliche Bedenken geäußert. Zu Recht?

Hofmann: Völkerrechtlich steht das Gesetzesvorhaben auf wackeligen Füßen. Deutschland ist in eine Reihe von internationalen Konventionen eingebunden, die den Anbau von und Handel mit Cannabis zu medizinischen und wissenschaftlichen Zwecken erlauben. Der Freizeitkonsum ist davon explizit ausgenommen. Statt wie Kanada und Uruguay dieses als zunehmend anachronistisch empfundene Vertragsregime zu ignorieren, will Deutschland in einem komplizierten Verfahren die Legalisierung völkerrechtskonform gestalten. Ob dies gelingt, bleibt abzuwarten. Entscheidender ist aber das EU-Recht. Im Schengener Durchführungsübereinkommen etwa ist Cannabis ausdrücklich als verbotene Substanz aufgeführt, Anbau und Handel innerhalb der EU illegal. In der rechtswissenschaftlichen Diskussion wurden diese europarechtlichen Hürden bislang weitgehend ignoriert. Dabei gilt es, die Cannabislegalisierung eng mit der EU-Kommission und den EU-Partnern abzustimmen. Es braucht für einen solch wichtigen Schritt in der Drogenpolitik eine echte europäische ­Lösung. Andernfalls droht ein Vertragsverletzungsverfahren. Wie dies ausgehen würde, ist ungewiss.

Der Kriminologe und diplomierte Soziologe Dr. Robin Hofmann studierte Jura in Marburg und Köln, außerdem Soziologie an der Universität Oslo. Stationen während des Referendariats führten ihn unter anderem ins Auswärtige Amt sowie an den Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien in Den Haag. Die Promotion durch die rechtswissenschaftliche Fakultät der Ruhr-Universität Bochum erfolgte 2016. Seit Februar 2918 ist Hofmann Assistenzprofessor für Strafrecht und Kriminologie an der Universität Maastricht. Daneben berät er zu Fragen der Cannabis-Legalisierung in Europa.

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Interview: Dr. Monika Spiekermann.