NJW-Editorial
EU will Prozessfinanzierung regulieren
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Vor knapp einem Vierteljahrhundert wurde die Idee der kommerziellen Prozessfinanzierung geboren. So alt wie das Geschäftsmodell ist auch der Ruf nach ihrer Regulierung. Pünktlich zum silbernen Geschäftsjubiläum hat die EU hierzu Pläne verkündet (Entschließung des Parlaments mit Empfehlungen an die Kommission). Es ist erstaunlich, wie negativ der Rechtsausschuss darin die Prozessfinanzierung beschreibt.

6. Okt 2022

Vor knapp einem Vierteljahrhundert wurde die Idee der kommerziellen Prozessfinanzierung geboren. Die Finanzierung von Zivilprozessen (engl.: Third Party Litigation Funding) zur Unterstützung von Anspruchsinhabern, die sich die gerichtliche Geltendmachung ihrer geldwerten Forderungen entweder nicht leisten können oder wollen, fand schnell genauso viele euphorische Nachahmer wie erbitterte Gegner. „Sittenwidriges Gebaren“, „unerlaubte Erfolgsprovision“, „künftige Prozessschwemme“, „verbotene Rechtsberatung“ oder „überflüssiges Konstrukt“ waren nur einige Vorwürfe der etablierten Jurisprudenz. Keine dieser Befürchtungen sollte sich jedoch bewahrheiten. ­Weder wurde die Justiz von einer Prozesslawine überrollt, noch wurden unbedarfte Verbraucher oder Gewerbetreibende um ihre berechtigten Forderungen gebracht, noch bereicherte sich eine neue Branche in ungebührlicher Weise. Vielmehr stellte sich heraus, dass die Finanzierung und die ihr vorausgehende Einschätzung von Zivilverfahren so schwierig und risikoreich ist, dass es nur wenigen Unternehmen gelang, länger am Markt zu bestehen. Denn wer auf den Erfolg eines Gerichtsverfahrens setzt, muss viele Risiken beachten: Mandant, Anwalt, Richter, Rechtsprechung, Sachverständige, Zeugen, Zeitdauer etc. So kommt es nicht von ungefähr, dass auch heute noch kaum ein Prozessanwalt auf Erfolgshonorarbasis (§ 4a I RVG) arbeiten möchte. Dennoch wurden in den bald 25 Jahren – und auch schon vor den publikumswirksamen Dieselklagen – zahlreiche Zivilprozesse finanziert, die Verbrauchern und Unternehmern zum Erfolg verhalfen und deren Gegner von zu Unrecht einbehaltenem Vermögen befreiten.

So alt wie die Prozessfinanzierung ist auch der Ruf nach ihrer Regulierung. Es erstaunt daher nicht, dass kurz vor dem silbernen Geschäftsjubiläum der Branche das EU-Parlament der Kommission mit Vorlage vom 13.9. und dem Hinweis einer „an Bedeutung ­gewinnenden Praxis“ eine solche Regulierung nun dringend empfiehlt (www.europarl.europa.eu/doceo/document/TA-9-2022-0308_DE.html). Da jede etablierte Finanzbranche ihre Regularien hat, wirkt dies zunächst wie ein Ritterschlag. Schaut man sich aber den Vorschlag genauer an, so erinnert die Einschätzung des Rechtsausschusses, mit der er noch heute die Praxis der inzwischen europaweit tätigen Branche beschreibt, zu sehr an alte Zeiten: „intransparentes Vorgehen“, „unverhältnismäßig hohe Beteiligung“, „ungebührliche Beeinflussung“ oder „unangemessene Kontrolle“. Wenn dann jedweder Einfluss des Finanzierers auf den Prozessverlauf untersagt (s. Art. 14 II des Vorschlags), eine „Offenlegung vor Gericht“ verpflichtend (Art. 16) oder die Erlösverteilung (Art. 14 IV) zwingend vorgegeben werden soll, dann werden sich künftig kaum noch Geldgeber finden, die bereit sind, die oben genannten Risiken einzugehen. Es bleibt somit zu hoffen, dass die Prozessfinanzierung nicht vor solcher Überregulierung kapituliert, sondern die Chance nutzt, ihren Service in Brüssel so ins rechte Licht zu rücken, dass er auch reguliert erfolgversprechend bleibt.

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Dr. Gerrit Meincke ist Rechtsanwalt in Bonn.