NJW-Editorial
EU-Recht bricht nicht Völkerrecht
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Der BGH entscheidet am 27.7.​2023 in drei Verfahren zu einer strittigen Frage des internationalen Investitionsschutzrechts: Verstoßen Schiedsgerichtsverfahren nach der völkerrechtlichen ICSID-Konvention zwischen EU-Investoren und EU-Mitgliedstaaten gegen Unionsrecht? Der EuGH hat dies für Schiedsverfahren bejaht, die nicht auf der ICSID-Konvention, sondern bilateralen Investitionsschutz-Abkommen beruhen (NJW 2018, 1663 – Achmea).

7. Jul 2023

Der Gerichtshof hat aber bisher weder zu einem multilate­ralen Investitionsschutzabkommen wie dem Energy Charter Treaty (ECT) noch zur ICSID-Konvention entschieden. Die drei Verfahren werfen eine doppelte Frage auf: Spielen EU-Recht und der EuGH im Angesicht des Völkerrechts überhaupt eine Rolle? Und wenn ja: Ist der BGH an Achmea gebunden und sollte er der Entscheidung folgen? Beide Fragen sind zu verneinen.

In einem Beitrag vom 16.6.​2023 auf verfassungsblog.de hat Christian Tietje schon ausgeführt, dass Deutschland als Partei der ICSID-Konvention an diese gebunden ist, und die Konvention Interventionen der Staaten und ihrer nationalen Gerichte in die betreffenden Schiedsverfahren ausschließt. Aus Sicht der ICSID-Konvention ist der EuGH ein solches nationales Gericht, und ist EU-Recht „nationales“ Recht. Wie von Tietje dargelegt, bricht Völkerrecht in der Tat Unionsrecht, und es ist gerade heute wichtig, dass es hierbei bleibt.

Achmea fußt auf (neuen) Überlegungen Luxemburgs zur Rücksichtnahme zwischen den Mitgliedstaaten und der Alleinentscheidungsbefugnis des EuGH. Weder in diesem Urteil noch in seinen anderen Entscheidungen zum Thema befasst der EuGH sich mit den Rechten der Investoren, die im Vertrauen auf die einschlägigen Investitionsabkommen investiert haben. Völkerrechtlich vermitteln Investitionsschutzabkommen den Investoren aber subjektive öffentliche Rechte. Diese sind das Herzstück der Abkommen und lassen sich nicht beiseite schieben (Reuter ZaöRV 80 (2020), 379 ff.). Der EuGH ist demgegenüber nur auf das Innenverhältnis der Mitgliedstaaten zueinander und die Wahrung seiner eigenen Kompetenzen bedacht. Dies erhellt zweierlei: Der EuGH liegt ­erstens sachlich ganz und gar falsch. Um der Governance der EU-Organe willen dürfen nicht die Rechte der Bürger abgeschnitten werden. Es wäre widersprüchlich, wenn Staaten, die Investoren subjektive Rechte eingeräumt haben, um sie für ihre Investitionen zu gewinnen, ihre Zusagen im Nachhinein rückgängig machen könnten. Die bisherigen EuGH-Entscheide sind zweitens keine Präzedenzfälle. Der Gerichtshof hat sich mit ­Investorenrechten bisher nicht befasst. Deren völkerrechtlicher Schutz ist nach den Verfahrensregeln des EuGH ein „fresh issue of law“ (Reuter ZaöRV 80 (2020), 411 ff.). Der BGH ist also nicht gebunden; er kann und sollte sich ans Völkerrecht halten.

Prof. Dr. Alexander Reuter, M.C.J., Attorney-at-Law (New York), ist Rechtsanwalt in Köln.