Urteilsanalyse
Erweiterter Entscheidungsspielraum des Verwalters durch WEG-Beschluss
Urteilsanalyse
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Die Wohnungseigentümer können - so der BGH - durch Beschluss dem Verwalter über seine gesetzlichen Befugnisse hinausgehende Entscheidungskompetenzen für Maßnahmen der Instandhaltung und Instandsetzung sowie für die Einschaltung von Sonderfachleuten übertragen, wenn die Kompetenzverlagerung für den einzelnen Wohnungseigentümer zu einem nur begrenzten und überschaubaren finanziellen Risiko führt.

15. Sep 2021

Anmerkung von
Rechtsanwalt Prof. Dr. Wolf-Rüdiger Bub und Rechtsanwalt Nikolay Pramataroff
Rechtsanwälte Bub, Memminger & Partner, München, Frankfurt a.M.

Aus beck-fachdienst Miet- und Wohnungseigentumsrecht 18/2021 vom 09.09.2021

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Sachverhalt

Die Parteien bilden eine Wohnungseigentümergemeinschaft. Die Anlage besteht aus 70 Einheiten. Die Eigentümer haben über den Abschluss eines Verwaltervertrags beschlossen, der dem Verwalter erweiterte Befugnisse gewährt, so zB Instandhaltungs- und Instandsetzungsmaßnahmen am gemeinschaftlichen Eigentum mit einem Auftragswert bis zu EUR 4.000,00 brutto im Einzelfall, bei mehreren Aufträgen pro Wirtschaftsjahr begrenzt auf ein Gesamtvolumen in Höhe von EUR 8.000,00 brutto ohne Beschlussfassung der Eigentümergemeinschaft einzuleiten und sich zur Durchführung von größeren Instandhaltungs- und Instandsetzungsmaßnahmen, Modernisierungsmaßnahmen oder baulichen Änderungen (d.h. ab einem Auftragswert in Höhe von EUR 10.000,00 brutto im Einzelfall), namens und für Rechnung der Eigentümergemeinschaft sachkundiger Dritter (Architekten, Ingenieure, Gutachter u.a.) zu bedienen, wobei die entstehenden Kosten im Einzelfall EUR 3.000,00 brutto, begrenzt auf eine Gesamtjahressumme in Höhe von EUR 6.000,00 brutto nicht übersteigen dürfen.

Laut Vertrag soll der Verwalter hierfür eine zusätzliche Vergütung erhalten und zwar:

 - für Durchführung jeder weiteren Versammlung über die ordentliche Jahresversammlung hinaus EUR 700,00

 - für die kaufmännische Betreuung von Modernisierungs- und Sanierungsmaßnahmen am Gemeinschaftseigentum ab einer Bausumme von EUR 10.000,00 im Einzelfall ein Honorar von 4% der Bruttobausumme; das Honorar reduziert sich auf 2% der Bruttobausumme, wenn ein externer Ingenieur bzw. Architekt mit der Bauleitung beauftragt wird;

 - für sämtliche Tätigkeiten bei gerichtlichen Auseinandersetzungen einen Stundensatz in Höhe von EUR 65,00, Auslagen (z.B. für Kopien, Porto) sind zu erstatten;

 - für die Abwicklung von Versicherungsschäden 4% der Schadenssumme, max. EUR 5.000,00 p.a., wenn (auch) Sondereigentum betroffen ist; soweit der Versicherer Regiekosten der Verwaltung übernimmt, entfällt die Zahlungspflicht der Eigentümergemeinschaft; der Verwalter ist berechtigt, die erstatteten Regiekosten dem Konto der Gemeinschaft zu entnehmen.

Die gegen diesen Beschluss gerichtete Anfechtungsklage wurde vom Amts- und Landgericht abgewiesen.

Entscheidung

Die Revision hat keinen Erfolg.

Der Beschluss der Wohnungseigentümer, den als Entwurf vorliegenden Verwaltervertrag abzuschließen, entspreche den Grundsätzen ordnungsmäßiger Verwaltung. Prüfungsmaßstab sei das Wohnungseigentumsgesetz in der bis zum 30.11.2020 geltenden Fassung als dem zur Zeit der Beschlussfassung geltenden Recht.

Mit der im Vertragsentwurf vorgesehenen Ermächtigung des Verwalters zur selbständigen Einleitung von Instandhaltungs- und Instandsetzungsmaßnahmen und zur Hinzuziehung von Sonderfachleuten hätten die Wohnungseigentümer das ihnen bei der Ausgestaltung des Verwaltervertrages zustehende Ermessen nicht überschritten. Die Wohnungseigentümer hätten die Kompetenz gehabt, durch Beschluss die in dem Vertragsentwurf genannten Entscheidungsbefugnisse auf den Verwalter zu übertragen.

Die Wohnungseigentümer könnten durch Beschluss dem Verwalter über seine gesetzlichen Befugnisse hinausgehende Entscheidungskompetenzen für Maßnahmen der Instandhaltung und Instandsetzung sowie für die Einschaltung von Sonderfachleuten übertragen, wenn die Kompetenzverlagerung für den einzelnen Wohnungseigentümer zu einem nur begrenzten und überschaubaren finanziellen Risiko führe.

Die Entscheidung über die Instandhaltung und Instandsetzung des Gemeinschaftseigentums und die Hinzuziehung von Sonderfachleuten obliege als Maßnahme ordnungsmäßiger Verwaltung gemäß § 21 Abs. 1 und Abs. 5 Nr. 2 WEG aF vorrangig den Wohnungseigentümern. Der Verwalter sei nicht berechtigt, Maßnahmen der Instandhaltung und Instandsetzung, die weder dringlich seien noch zu den laufenden Maßnahmen zählten, ohne Beschlussfassung der Wohnungseigentümer zu ergreifen. Die gesetzliche Zuständigkeitsverteilung diene der selbstbestimmten Verwaltung durch die Wohnungseigentümer. Sie gewährleiste, dass jeder Wohnungseigentümer die Möglichkeit habe, bei der Entscheidung über Instandhaltungs- oder Instandsetzungsmaßnahmen auf die Willensbildung der Wohnungseigentümer und die mit der Maßnahme verbundene Kostenbelastung Einfluss zu nehmen.

Dem Selbstorganisationsrecht der Wohnungseigentümer sei aber die Befugnis immanent, den Entscheidungsprozess für Maßnahmen der Instandhaltung oder Instandsetzung von untergeordneter Bedeutung zu vereinfachen und die Entscheidungskompetenz hierfür durch Beschluss auf den Verwalter zu verlagern. Die Vorschrift des § 27 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 WEG aF, wonach dem Verwalter kraft Gesetzes die Entscheidungskompetenz für laufende Maßnahmen zugewiesen sei, mache deutlich, dass für weniger bedeutsame Maßnahmen eine eigene Entscheidungsbefugnis des Verwalters bereits im Gesetz angelegt sei. Das Selbstorganisationsrecht schließe die Kompetenz der Wohnungseigentümer ein, diesen gesetzlichen Aufgabenkreis des Verwalters in engen Grenzen durch Beschluss zu erweitern und so den Verwaltungsaufwand für nicht vorhergesehene - im Verhältnis zur Größe der Gemeinschaft - kleinere Instandhaltungs- oder Instandsetzungsmaßnahmen gering zu halten und deren zügige Erledigung sicherzustellen. Maßstab für die Beurteilung, ob sich eine Erweiterung der Befugnisse des Verwalters auf Maßnahmen von untergeordneter Bedeutung beziehe, sei das finanzielle Risiko der Wohnungseigentümer. Die Einräumung der Entscheidungskompetenz dürfe nur zu einem begrenzten und überschaubaren finanziellen Risiko für den einzelnen Wohnungseigentümer führen. Nicht erforderlich sei dagegen, dass sich die Kompetenzübertragung nur auf einen Einzelfall beziehe und die Wohnungseigentümer die maßgeblichen Kriterien für die Entscheidung des Verwalters vorschreiben, so dass dieser nur eine gebundene, nicht freie Entscheidung treffen könne. Eine solche Einschränkung trüge dem Interesse der Wohnungseigentümer an einer Vereinfachung des Verwaltungsaufwands für Maßnahmen von untergeordneter Bedeutung nicht ausreichend Rechnung.

Durch die beschlossene Wertobergrenze für die einzelne Maßnahme und eine Jahresgesamtobergrenze belaufe sich die durchschnittliche jährliche Höchstbelastung pro Einheit auf eine niedrige dreistellige Summe. Dies stelle für den einzelnen Wohnungseigentümer ein überschaubares finanzielles Risiko dar.

Praxishinweis

Der BGH entscheidet vorliegend die umstrittene Frage, ob dem Verwalter im Wege eines Beschlusses besondere Entscheidungsbefugnisse zugewiesen werden können.

Nach der wohl hM sei dies möglich, soweit hierüber eine Vereinbarung getroffen werde und wenn die Ermächtigung zu einem nur begrenzten und für den einzelnen Wohnungseigentümer überschaubaren finanziellen Risiko führt und die grundsätzliche Verantwortlichkeit für den Beschluss solcher Maßnahmen bei der Eigentümerversammlung bleibt (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 08.11.2000 - 3 Wx 253/00, NZM 2001, 390; OLG München, Beschluss vom 20.03.2008 - 34 Wx 46/07, ZWE 2009, 27).

Teilweise wird eine Beschlusskompetenz generell verneint und eine Kompetenzverlagerung auf den Verwalter nur durch Vereinbarung für wirksam gehalten (Elzer ZWE, 2012, 163, 167).

Nach anderer Ansicht haben die Wohnungseigentümer grundsätzlich die Kompetenz, Verwaltungsmacht auf den Verwalter zu übertragen. Die Möglichkeit, den Verwalter durch Beschluss zu ermächtigen, für die Gesamtheit der Eigentümer zu entscheiden, sei im Gesetz angelegt (Lehmann-Richter in Staudinger, 2018, § 21 WEG Rn. 47; Greiner in BeckOGK, 01.04.2020 , § 26 WEG Rn. 194).

Der BGH entscheidet sich richtigerweise für die erste Ansicht. Damit wird dem Interesse der Wohnungseigentümer Rechnung getragen, nicht über jede kleinere Maßnahme eine Eigentümerversammlung abzuhalten und gleichzeitig nicht übermäßig mit unvorhergesehenen Kosten belastet zu werden.

BGH, Urteil vom 11.06.2021 - V ZR 215/20 (LG Itzehoe), BeckRS 2021, 22311