Anmerkung von
RA Prof. Dr. Jobst-Hubertus Bauer, Stuttgart
Aus beck-fachdienst Arbeitsrecht 41/2021 vom 14.10.2021
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Sachverhalt
Die Klägerin war bei der Beklagten seit Ende August 2018 als Kaufmännische Angestellte beschäftigt. Am 8.2.2019 kündigte sie das Arbeitsverhältnis zum 22.2.2019 und legte der Beklagten eine auf den 8.2.2019 datierte, als Erstbescheinigung gekennzeichnete Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AUB) vor. Die Beklagte verweigerte die Entgeltfortzahlung. Der Beweiswert der AUB sei erschüttert, weil diese genau die Restlaufzeit des Arbeitsverhältnisses nach der Eigenkündigung der Klägerin abdecke. Die Klägerin hat demgegenüber geltend gemacht, sie sei ordnungsgemäß krankgeschrieben gewesen und habe vor einem Burnout gestanden.
Die Vorinstanzen haben der auf Entgeltfortzahlung für die Zeit vom 8.2. bis zum 22.2.2019 gerichteten Zahlungsklage stattgegeben.
Entscheidung
Die vom 5. Senat nachträglich zugelassene Revision der Beklagten hatte Erfolg. Die Klägerin habe die von ihr behauptete Arbeitsunfähigkeit (AU) im Streitzeitraum zunächst mit einer AUB nachgewiesen, heißt es in der bislang allein vorliegenden Pressemitteilung des Gerichts (FD-ArbR 2021, 441811). Diese sei das gesetzlich vorgesehene Beweismittel. Dessen Beweiswert könne der Arbeitgeber erschüttern, wenn er tatsächliche Umstände darlege und ggfs. beweise, dass es Anlass zu ernsthaften Zweifeln an der AU gibt. Gelinge das dem Arbeitgeber, müsse der Arbeitnehmer substanziiert darlegen und beweisen, dass er arbeitsunfähig war. Der Beweis könne insbesondere durch Vernehmung des behandelnden Arztes nach entsprechender Befreiung von der Schweigepflicht erfolgen.
Nach diesen Grundsätzen habe die Beklagte den Beweiswert der AUB erschüttert. Die Koinzidenz zwischen der Kündigung vom 8.2. zum 22.2.2019 und der am 8.2. bis zum 22.2.2019 bescheinigten AU begründe einen ernsthaften Zweifel an der bescheinigten AU. Die Klägerin sei im Prozess ihrer Darlegungslast zum Bestehen einer AU – auch nach Hinweis des Senats – nicht hinreichend konkret nachgekommen, deshalb habe die Klage abgewiesen werden müssen.
Praxishinweis
Wird ein Arbeitnehmer durch AU infolge Krankheit an seiner Arbeitsleistung verhindert, ohne dass ihn ein Verschulden trifft, so hat er gem. § 3 I 1 EFZG Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall durch den Arbeitgeber für die Zeit der AU bis zur Dauer von sechs Wochen. Nach § 5 I 1 EFZG ist der Arbeitnehmer verpflichtet, dem Arbeitgeber die AU und deren voraussichtliche Dauer unverzüglich mitzuteilen (§ 5 I 1 EFZG). Dauert die AU länger als drei Kalendertage, hat der Arbeitnehmer eine ärztliche Bescheinigung über das Bestehen der AU sowie deren voraussichtliche Dauer spätestens an dem darauffolgenden Arbeitstag vorzulegen (§ 5 I 2 EFZG). Allerdings ist der Arbeitgeber berechtigt, die Vorlage der ärztlichen Bescheinigung früher zu verlangen (§ 5 I 3 EFZG).
Der vorliegende Fall verdeutlicht einmal mehr, dass die Begleitumstände einer krankheitsbedingten AUB vielfach Anlass zu Zweifel geben, ob der Arbeitnehmer krank und/oder arbeitsunfähig ist oder nicht. Deshalb stellt sich immer wieder die Frage nach dem Beweiswert der AUB. Die ärztliche AUB ist das gesetzlich vorgesehene Nachweismittel, mit dem der Arbeitnehmer seinem Arbeitgeber die AU und deren Dauer nachweist (BAG BeckRS 1997, 30001251). Dabei kommt einer ordnungsgemäß ausgestellten AUB im Rahmen der richterlichen Beweiswürdigung gem. § 286 I ZPO ein hoher Beweiswert zu (BAG BeckRs 2003, 40835). Allerdings kann der Arbeitgeber diesen Beweiswert erschüttern, wenn er wie vorliegend unbestrittene Umstände darlegt, die Anlass zu ernsthaften Zweifeln an der AU geben.
Nicht klar ist, warum in der Pressemitteilung betont wird, die Klägerin sei im Prozess ihrer Darlegungslast zum Bestehen einer AU – auch nach Hinweis des Senats – nicht hinreichend konkret nachgekommen. Ein entsprechender neuer Vortrag wäre m.E. in der Revisionsinstanz nicht mehr möglich gewesen.