Rechtsanwalt Prof. Dr. Hermann Plagemann, Plagemann Rechtsanwälte Partnerschaft mbB, Frankfurt am Main
Aus beck-fachdienst Sozialversicherungsrecht 04/2023 vom 03.03.2023
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Sachverhalt
Die Beteiligten streiten über die Frage, ob bei der Klägerin eine Berufskrankheit oder eine sog. Wie-BK vorliegt, die durch die berufliche Einwirkung von Tonerstäuben verursacht worden ist. Die 1955 geborene Klägerin arbeitete früher als Fremdsprachenkorrespondentin und von April 2000 bis Anfang November 2013 als Chefsekretärin bei der Handwerkskammer. Nach eigenen Angaben befanden sich an diesem letzten Arbeitsplatz ein Farblaserdrucker, zwei Farblaserkopierer und ein Laserfaxgerät. Zu ihren beruflichen Aufgaben gehörte es auch, erforderlichenfalls die Tonerkartuschen zu wechseln und zu entsorgen, Papierstaus zu beheben und mindestens fünf Mal täglich den Druckerraum zu betreten.
Im August 2015 meldete sie der Beklagten, bei ihr bestehe der Verdacht auf eine Schwermetallvergiftung durch Tonerfeinstäube. Der Gesundheitszustand habe sich in den letzten Jahren schleichend verschlechtert. Es seien eine Zahnfleischentzündung mit Knochenabbau, Kopfschmerzen, Müdigkeit, Taubheitsgefühl im linken Bein und im linken Arm mit Muskelschwäche und teilweisem Einschlafen der Hände sowie Konzentrationsstörungen eingetreten.
Die Beklagte holte eine Stellungnahme des Präventionsdienstes ein, der eine Gefährdung i.S.v. § 9 Abs. 2 SGB VII verneinte, weil nach neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen keine Krankheit durch den Umgang mit Druckern und Kopierern entstehe. Dies hätten sowohl das Bundesinstitut für Risikobewertung als auch die Universität München und die Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung (BAM) ausgeschlossen. Gegen den daraufhin ablehnenden Bescheid erhob die Klägerin Widerspruch, der ebenfalls zurückgewiesen wurde. Es fehle schon an den arbeitstechnischen Voraussetzungen für eine Listen-BK. Eine BK nach § 9 Abs. 2 SGB VII könne auch nicht anerkannt werden. Es lägen keine neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse vor, aus denen sich ergibt, dass durch entsprechende berufliche Tätigkeiten in höherem Maße Gesundheitsschäden verursacht werden könnten.
Dagegen richtet sich die Klage der Klägerin. Das SG hat ein Sachverständigengutachten des Facharztes für Arbeitsmedizin und Umweltmedizin eingeholt und durch Gerichtsbescheid auf Basis des Gutachtens die Klage abgewiesen. Dagegen richtet sich die Berufung der Klägerin, mit der sie auch geltend macht, das vom SG eingeholte Gutachten sei nicht verwertbar, weil dort im Hinblick auf die untersuchten Urinproben eine Auseinandersetzung mit dem Entstehen von Krankheiten im Zusammenhang mit einer Schwermetallbelastung fehle.
Auf Antrag der Klägerin hat das LSG nach § 109 SGG ein Gutachten eingeholt. Darin heißt es, die Voraussetzungen der von der Klägerin geltend gemachten Berufskrankheiten seien nicht erwiesen. Medizinisch-wissenschaftliche Daten, die die Entstehung einer neurologischen Erkrankung in erheblich höherem Grad durch Feinstäube aus Druckern und Kopiergeräten mit hinreichender Wahrscheinlichkeit bewiesen, lägen aktuell nicht vor.
Entscheidung
Das LSG weist die Berufung als unbegründet zurück. Die Voraussetzung für die Anerkennung einer Listen-BK nach § 9 Abs. 1 SGB VII sind nicht erfüllt. Während ihrer beruflichen Tätigkeit als Fremdsprachenkorrespondentin und als Chefsekretärin war sie zwar beschäftigt und damit versichert. Es fehlt aber an der „Erkrankung“, wie sie etwa gem. BK Nr. 1101 und 4301 oder 1102 und 1103 bezeichnet ist. Dazu nimmt das Gericht Bezug auf die eingeholten medizinischen Gutachten, die nachvollziehbar ausführen, dass die Annahme einer Schwermetallvergiftung (hier: durch Blei) den Nachweis einer gesundheitlich relevanten Schwermetallkonzentration im Biomonitoring voraussetzt. Auch eine „Erkrankung durch Quecksilber oder seine Verbindungen“ im Sinne der BK Nr. 1102 ist nicht seitens der Ärzte bestätigt worden. Gleiches gilt für die „Erkrankungen durch Chrom oder seine Verbindungen“ gem. BK Nr. 1103 und die Erkrankungen durch Cadmium oder seine Verbindungen gem. BK Nr. 1104.
Die Erkrankungen der Klägerin können auch nicht als Wie-BK i.S.d. § 9 Abs. 2 SGB VII entschädigt werden. Die allgemeinen Voraussetzungen für eine solche Wie-BK sind nur erfüllt, wenn eine bestimmte Personengruppe infolge der versicherten Tätigkeit in erheblich höherem Maße als die übrige Bevölkerung besonderen Einwirkungen ausgesetzt ist, die nach den neuen Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft eine Erkrankung hervorrufen. Aktuelle Erkenntnisse dazu, dass Erkrankungen durch Tonerstaub-Einwirkungen verursacht werden können, sind von keinem medizinischen Sachverständigen vorgetragen worden. Dies gilt sowohl im Hinblick auf einzelne Stoffe, die in den Stäuben bzw. Nanopartikeln enthalten sind, als auch bezüglich des von der Klägerin geltend gemachten synergetischen Zusammenwirkens mehrerer dieser Stoffe.
Praxishinweis
1. Das Gericht hat die Revision nicht zugelassen. Es geht in der Tat um die Würdigung des Sachverhalts. Auch dann, wenn man der Frage hinsichtlich neuer medizinisch-wissenschaftlicher Erkenntnisse eine allgemeine Bedeutung beimisst, reicht dies i.d.R. für die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung nicht aus.
2. Die Klägerin klagt über vielfältige Beschwerden und Erkrankungen, u.a. MS, mittelgradige depressive Episode, Polyneuropathie, Anpassungsstörung im Rahmen eines chronischen Arbeitsplatzkonflikts sowie Zahnfleischentzündungen mit Knochenabbau, Kopfschmerzen, Müdigkeit, Taubheitsgefühl im linken Bein und im linken Arm mit Muskelschwäche. Dieses schwere Krankheitsbild im Alter von etwa 60 Jahren mit einer beruflichen Exposition mit Feinstäuben aus Tonern in Kopiergeräten in Verbindung zu bringen, dürfte der Sozialmedizin kaum gelingen. Dies auch dann nicht, wenn man mit der Klägerin argumentiert, dass sie auch als „besonders vulnerable“ Person unter Versicherungsschutz steht, ihr also nicht angelastet werden kann, dass sie möglicherweise auf den Tonerstaub stärker und schneller reagierte als dies für andere Beschäftigte galt und gilt, die unter den gleichen Bedingungen arbeiten.
3. Das LSG Hessen hat mit Urteil vom 21.01.2021 (BeckRS 2019, 7538) entschieden, dass nach dem epidemiologischen Erkenntnisstand nicht von einer generellen Eignung von Tonerpartikel- oder Laserdruckemissionen, bei Menschen Gesundheitsschäden zu verursachen, ausgegangen werden kann. Hier ging es um die Anerkennung einer Atemwegserkrankung.
LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 23.11.2022 - L 3 U 61/19, BeckRS 2022, 39136