Urteilsanalyse
Ergänzende Vertragsauslegung bei unwirksamer Einbeziehung der Versicherungsbedingungen
Urteilsanalyse
Lorem Ipsum
© Dirk-Carsten Günther

Kommt es nicht zu einer wirksamen Einbeziehung der Versicherungsbedingungen, ist eine ergänzende Vertragsauslegung gemäß §§ 133157 BGB vorzunehmen, die sich an einem objektiv generalisierenden Maßstab auszurichten hat, der sich am Willen und Interesse der typischerweise beteiligten Verkehrskreise orientiert. Der Begriff des «Wertschutzschranks» ist laut OLG Celle so zu verstehen, wie er allgemein in allen marktüblichen Hausratversicherungen aufgrund der Musterempfehlungen verwendet wird.

27. Jun 2022

Anmerkung von
Rechtsanwalt Prof. Dr. Dirk-Carsten Günther
BLD Bach Langheid Dallmayr Rechtsanwälte Partnerschaftsgesellschaft mbB, Köln

Aus beck-fachdienst Versicherungsrecht 12/2022 vom 17.06.2022

Diese Urteilsbesprechung ist Teil des zweiwöchentlich erscheinenden Fachdienstes Versicherungsrecht. Neben weiteren ausführlichen Besprechungen der entscheidenden aktuellen Urteile im Versicherungsrecht beinhaltet er ergänzende Leitsatzübersichten und einen Überblick über die relevanten neu erschienenen Aufsätze. Zudem informiert er Sie in einem Nachrichtenblock über die wichtigen Entwicklungen in Gesetzgebung und Praxis des Versicherungsrechts. Weitere Informationen und eine Schnellbestellmöglichkeit finden Sie unter www.beck-online.de

BGB §§ 133157

Sachverhalt

Der Kläger begehrt Zahlung von Entschädigung aus einer bei dem Beklagten gehaltenen Hausratversicherung. Einzelheiten im Zusammenhang damit, ob dem Kläger die VHB 2017 des Beklagten, die den Versicherungsschutz unter anderem auf 1.500 EUR Bargeld außerhalb eines anerkannten und verschlossenen Wertschutzschranks beschränken, vor Vertragsschluss zur Verfügung gestellt worden sind, sind zwischen den Parteien streitig. In dem dem Kläger unstreitig übermittelten Versicherungsschein heißt es unter der Überschrift «Darüber hinaus sind folgende Sachen versichert» unter anderem: «Wertsachen mitversichert bis 30% * [*) der Versicherungssumme] Entschädigungsgrenze (außerhalb von Wertschutzschränken) für Bargeld (und auf Geldkarte gespeicherte Beträge) 1.500 Euro (…)»

Am 05.01.2019 kam es im Haus des Klägers zu einem Einbruchdiebstahl. Der Kläger meldete gegenüber dem Beklagten den Einbruch und den Diebstahl unter anderem von Bargeld in Höhe von 19.000 EUR aus einem mitentwendeten Tresor, der nicht verankert war und rund 44 Kilogramm wog.

Der Beklagte regulierte den geltend gemachten Schaden, wobei er hinsichtlich des als gestohlen behaupteten Bargeldschadens unter Verweis auf die Entschädigungsgrenze lediglich in Höhe von 1.500 EUR regulierte und eine weitergehende Regulierung in Höhe des klageweise geltend gemachten Differenzbetrages von 17.500 EUR ablehnte.

Das Landgericht hatte der Klage stattgegeben.

Rechtliche Wertung

Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Landgerichts abgeändert und die Klage abgewiesen. Denn selbst für den Fall, dass die VHB nicht wirksam gemäß § 305 Abs. 2 BGB als Vertragsbestandteil einbezogen worden sein sollten, sei der Entschädigungsanspruch des Klägers gemäß der Regelung im Versicherungsschein auf 1.500 EUR begrenzt.

Kommt es nicht zu einer wirksamen Einbeziehung der Versicherungsbedingungen, sei umstritten, wonach sich der Vertragsinhalt richtet. § 306 Abs. 2 BGB bestimmt, dass sich in diesem Fall der Vertragsinhalt nach den gesetzlichen Vorschriften richtet. Bei der misslungenen Einbeziehung von Versicherungsbedingungen sei eine ergänzende Vertragsauslegung gemäß §§ 133157 BGB, die als Teil der gesetzlichen Vorschriften im Sinne von § 306 Abs. 2 BGB zu verstehen seien, vorzunehmen. Die ergänzende Vertragsauslegung habe sich dabei ebenso wie die Auslegung und Inhaltskontrolle Allgemeiner Geschäftsbedingungen an einem objektiv generalisierenden Maßstab auszurichten, der sich am Willen und Interesse der typischerweise beteiligten Verkehrskreise orientiere.

Gemessen hieran sei der im Versicherungsschein verwendete Begriff «Wertschutzschrank» jedenfalls nicht allein aus der Perspektive des Klägers zu definieren. Auch werde man nicht auf das Verständnis eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers abstellen können, weil es insoweit kein allgemeines, hinreichend bestimmtes Wortverständnis gebe. Allerdings enthielten sämtliche marktüblichen Versicherungsbedingungen eine entsprechende Definition. Auch Ziffer A 18.2 der Musterbedingungen des GDV (Stand: 26.05.2017) zu den VHB 2016 enthält folgende Definition:

«A 18.2.1 Wertschutzschränke sind Sicherheitsbehältnisse, die durch anerkannt sind.

A 18.2.2 Zusätzlich gilt:

Freistehende Wertschutzschränke müssen ein Mindestgewicht von kg aufweisen.

Bei geringerem Gewicht müssen sie nach den Herstellervorschriften fachmännisch verankert oder in der Wand oder im Fußboden bündig eingelassen sein.»

Die Auslegung führe daher zu dem Ergebnis, dass der im Versicherungsschein verwendete Begriff des «Wertschutzschranks» in dem Sinne zu verstehen sei, wie er allgemein in allen marktüblichen Hausratversicherungen aufgrund der Musterempfehlungen des Verbandes verwendet wird.

Unstreitig habe der Tresor des Klägers über keinerlei «Anerkennung» von einer Prüfstelle verfügt. Die Einbeziehung dieser Definition entspreche dem auch für Versicherungsnehmer erkennbaren Versicherungsrisiko des Beklagten, der eine hohe Wertgegenstandssumme nur bei Bestehen besonderer Sicherungsmaßnahmen versichern möchte. Dies stelle auch keine unbillige Benachteiligung des Versicherungsnehmers dar. Wertschutzschränke, die durch eine oder zwei Personen ohne Weiteres aus der Wohnung getragen werden können, stellten auch aus Sicht des Versicherungsnehmers keine derart sicheren Maßnahmen dar, dass er mit einem besonderen Versicherungsschutz bis zur Höhe von 30% der Versicherungssumme rechnen dürfe.

Praxishinweis

Ist eine Einbeziehung von AVB gescheitert, ist die Lücke nach dem ursprünglichen Regelungsplan der Parteien zu schließen. Dies folgt nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung aus der allgemeinen Vorschrift des § 306 Abs. 2 BGB. Danach bestimmt sich, ob die Ergänzung durch dispositives Gesetzesrecht im Sinne einer konkreten materiell-rechtlichen Regelung, nach den Grundsätzen der ergänzenden Vertragsauslegung oder durch ersatzlosen Wegfall der Klausel vorzunehmen ist (BGH, Urteil vom 12.10.2005 – IV ZR 162/03).

Das OLG Celle stellt folgerichtig für den Fall, dass kein VVG-spezifisches dispositives Gesetzesrecht existiert, auf die Regelungen in den marktüblichen Versicherungsbedingungen als objektiv generalisierenden Maßstab ab.

OLG Celle, Urteil vom 17.03.2022 - 8 U 260/21 (LG Lüneburg), BeckRS 2022, 12531