Anmerkung von
Rechtsanwalt beim BGH Dr. Guido Toussaint, Toussaint & Schmitt, Karlsruhe
Aus beck-fachdienst Zivilverfahrensrecht 23/2020 vom 13.11.2020
Diese Urteilsbesprechung ist Teil des zweiwöchentlich erscheinenden Fachdienstes Zivilverfahrensrecht. Neben weiteren ausführlichen Besprechungen der entscheidenden aktuellen Urteile im Zivilverfahrensrecht beinhaltet er eine ergänzende Leitsatzübersicht. Zudem informiert er Sie in einem Nachrichtenblock über die wichtigen Entwicklungen in Gesetzgebung und Praxis des Zivilverfahrensrechts. Weitere Informationen und eine Schnellbestellmöglichkeit finden Sie unter www.beck-online.de
Sachverhalt
Der Prozessbevollmächtigte der vor dem ArbG unterlegenen Beklagten hat am Tag vor Ablauf der Berufungsfrist aus seinem beA eine Berufungsschrift unter Verwendung des Briefbogens seiner Kanzlei an das LAG ohne qualifizierte Signatur übermittelt. Am Ende des Schriftsatzes ist das Wort „Rechtsanwalt“ aufgeführt, jedoch nicht der Name des Absenders. Auf der ersten Seite des Schriftsatzes ist links oben unter „Unser Zeichen“ das Aktenzeichen der Kanzlei „SB564/19/ns“ und „RA B“ aufgeführt. Durch richterliche Verfügung vom Folgetag, vom Vorsitzenden um 14:02 Uhr elektronisch signiert, wurde den Parteien der Eingang der Berufung am Vortag und das Aktenzeichen mitgeteilt und auf die Berufungsbegründungsfrist hingewiesen. Die Berufungsbegründung wurde vom Beklagtenvertreter ebenfalls über das beA versandt; am Ende dieses Schriftsatzes ist über dem Wort „Rechtsanwalt“ der Name des Prozessbevollmächtigten maschinenschriftlich wiedergegeben.
Monate später wies das LAG darauf hin, dass Bedenken an der formgerechten Einlegung der Berufung wegen des Fehlens einer einfachen Signatur der Berufungsschrift bestünden, weshalb beabsichtigt sei, die Berufung ohne mündliche Verhandlung als unzulässig zu verwerfen. In seiner Stellungnahme hierzu vertrat der Beklagtenvertreter die Auffassung, die Berufungsschrift sei auch ohne einfache Signatur dem diesen Schriftsatz verantwortenden Rechtsanwalt zuzuordnen, weil der Beklagtenvertreter bereits eingangs genannt werde und der Schriftsatz über dessen beA-Postfach eingereicht worden sei. Vorsorglich hat er Wiedereinsetzung beantragt; diese sei zu gewähren, weil der Prozessbevollmächtigte mangels entgegenstehender Rechtsprechung davon habe ausgehen können, dass die Kombination aus Namensnennung im Eingang und einer darauf bezogenen Bestätigung am Ende des Schriftsatzes durch die Nennung „Rechtsanwalt“ eine ausreichende einfache Signierung gemäß § 130a ZPO darstelle.
Das LAG hat die Berufung der Beklagten unter Zurückweisung des Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand im Beschlusswege als unzulässig verworfen (LAG Baden-Württemberg NZA-RR 2020, 377). Die Berufungsschrift genüge nicht den Anforderungen des § 130a III 1 Alt. 2 ZPO. Sie sei zwar über einen sicheren Übermittlungsweg eingereicht, jedoch nicht – auch nicht einfach – signiert, weil der Name des Beklagtenvertreters am Ende des Schriftsatzes nicht wiedergegeben sei. Es könne auch nicht aufgrund sonstiger Umstände von einer ordnungsgemäßen Einlegung der Berufung ausgegangen werden, denn die Identifizierung des Urhebers des Schriftsatzes sei nicht zweifelsfrei möglich. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sei nicht zu gewähren, weil das Fristversäumnis auf einem der Beklagten zuzurechnenden Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten beruhe. Der Irrtum über die Notwendigkeit einer zumindest einfachen Signatur sei nicht unverschuldet. Ein Hinweis auf den Formmangel von Seiten des LAG nach Eingang der Berufung hätte das Fristversäumnis nicht verhindert.
Entscheidung
Auf die vom LAG zugelassene Revisionsbeschwerde (§ 77 ArbGG) hat das BAG den Beschluss des LAG aufgehoben, dem Beklagten gegen die Versäumung der Berufungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das LAG zurückverwiesen.
Allerdings war der Schriftsatz nicht ordnungsgemäß signiert
Die von der Beklagten eingereichte Berufungsschrift wahre nicht die nach § 64 VI 1 ArbGG, § 519 IV ZPO iVm § 130a I, III 1 ZPO erforderliche Form. Die Berufungsschrift sei zwar über das beA und damit einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht worden, jedoch mangele es an der erforderlichen Signatur und damit an einem von Amts wegen zu prüfenden zwingenden und unverzichtbaren Formerfordernis der Berufungsschrift als bestimmender Schriftsatz. Die Berufungsschrift sei nach den Feststellungen des LAG nicht qualifiziert signiert. Sie sei aber auch nicht mit der erforderlichen einfachen elektronischen Signatur versehen. Diese erfordere die einfache Wiedergabe des Namens am Ende des Textes zB durch maschinenschriftlichen Namenszug unter dem Schriftsatz oder eine eingescannte Unterschrift. Hier sei zwar am Ende der Berufungsschrift das Wort „Rechtsanwalt“ aufgeführt, doch fehle der Name des Prozessbevollmächtigten der Beklagten. Es könne auch nicht aufgrund sonstiger Umstände von einer ordnungsgemäßen Berufungseinlegung ausgegangen werden. Eine der einfachen Signatur vergleichbare Gewähr für die Urheberschaft des Prozessbevollmächtigten der Beklagten und dessen Willen, die Berufungsschrift in den Rechtsverkehr zu bringen, böten weder die Verwendung des Briefbogens seiner Kanzlei noch die maschinenschriftliche Wiedergabe seines Namens oben auf der ersten Seite des Schriftsatzes oder das Namenskürzel „SB“ im Aktenzeichen der Kanzlei. Die Nennung des Nachnamens bzw. des Namenskürzels im Kopf des Schriftsatzes zeige lediglich den zuständigen Sachbearbeiter in der Kanzlei auf, treffe jedoch keine Aussage darüber, ob dieser für den sodann folgenden Inhalt der Berufungsschrift auch die Verantwortung übernehmen wolle. Auch lasse sich ohne einfache Signatur nicht feststellen, ob die als Absender ausgewiesene Person identisch mit der den Inhalt des Schriftsatzes verantwortenden Person sei.
Hierauf hätte der Vorsitzende aber bereits in seiner Verfügung hinweisen müssen, daher Wiedereinsetzung
Dem Beklagten sei aber die fristgerecht beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist zu gewähren; die gegenteilige Entscheidung des LAG verletze die Beklagte in ihrem verfassungsrechtlich gewährleisteten Anspruch auf ein faires Verfahren (vgl. Art. 2 I GG iVm dem Rechtsstaatsprinzip). Zwar spreche einiges dafür, dass der Prozessbevollmächtigte der Beklagten bei der Übermittlung des Berufungsschriftsatzes ohne einfache Signatur im Hinblick auf die Ausführungen in den Gesetzesmaterialien und der bisher vorliegenden Literatur trotz der höchstrichterlich noch nicht geklärten Rechtslage nicht mit der erforderlichen Sorgfalt gehandelt habe. Dies könne aber offenbleiben, denn ein etwaiges Verschulden sei jedenfalls nicht ursächlich dafür gewesen, dass die Beklagte die Frist des § 66 I 1 ArbGG aufgrund Formmangels nicht gewahrt habe. Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sei unabhängig vom Verschulden der Partei gemäß Art. 2 I iVm Art. 20 III GG zu gewähren, wenn sie geboten sei, weil das Gericht seine prozessuale Fürsorgepflicht und damit das allgemeine Prozessgrundrecht auf ein faires Verfahren verletzt habe. Der Anspruch auf ein faires Verfahren könne eine gerichtliche Hinweispflicht auslösen, wenn ein Rechtsmittel nicht in der vorgesehenen Form übermittelt worden sei; eine Partei könne erwarten, dass dieser Vorgang in angemessener Zeit bemerkt werde und innerhalb eines ordnungsgemäßen Geschäftsgangs die notwendigen Maßnahmen getroffen würden, um eine drohende Fristversäumnis zu vermeiden. Dies sei hier der Fall gewesen, weil der Vorsitzende der Berufungskammer den Prozessbevollmächtigten der Beklagten noch so rechtzeitig auf die fehlende einfache Signatur am Ende der Berufungsschrift hätte hinweisen können und müssen, dass die Beklagte die Berufung noch vor Fristablauf formgerecht hätte einlegen können. Zwar dürften Rechtsuchende nicht erwarten, dass die Gerichte die Formalien eines elektronischen Dokuments sofort prüften. Hier bestehe jedoch die Besonderheit, dass dem Vorsitzenden der zuständigen Kammer des LAG ausweislich der von ihm signierten Verfügung am Tag des Fristablaufs die Akte mit der Berufungsschrift vorgelegen und er diese bearbeitet habe. Der Unterschriftsmangel sei im vorliegenden Fall für den zuständigen Richter – anders als etwa eine fehlende Zuständigkeit des Gerichts – ohne nähere Lektüre der zweiseitigen Berufungsschrift ohne weiteres erkennbar.
Praxishinweis
Werden Schriftsätze als elektronisches Dokument bei Gericht eingereicht, bedürfen sie zur Wahrung der prozessualen Schriftform einer (elektronischen) Signatur. Die prozessualen Vorschriften unterscheiden dabei zwischen
- einer sog. qualifizierten elektronischen Signatur (§ 130a III 1 Fall 1 ZPO, § 46c III 1 Fall 1 ArbGG, § 65 III 1 Fall 1 SGG, § 55a III 1 Fall 1 VwGO, § 52a III 1 Fall 1 FGO), die von einer qualifizierten elektronischen Signaturerstellungseinheit erstellt wurde und auf einem qualifizierten Zertifikat für elektronische Signaturen beruht (Art. 3 Nr. 12 eIDAS-VO),
- und einer sog. einfachen Signatur (§ 130a III 1 Fall 2 ZPO, § 46c III 1 Fall 2 ArbGG, § 65 III 1 Fall 2 SGG, § 55a III 1 Fall 2 VwGO, § 52a III 1 Fall 2 FGO), die aber nur genügt, wenn der Schriftsatz auf einem sicheren Übermittlungsweg (insbes. aus dem – eigenen, BAG NJW 2020, 2351 mwN auch zur Gegenansicht! – beA an die elektronische Poststelle des Gerichts, § 130a IV Nr. 2 ZPO, § 46c IV Nr. 2 ArbGG, § 65 IV Nr. 2 SGG, § 55a IV Nr. 2 VwGO, § 52a IV Nr. 2 FGO) eingereicht wird.
Die einfache Signatur besteht in der Wiedergabe des Namens des Rechtsanwalts, der den Inhalt des Schriftsatzes verantwortet, am Ende des Textes (vgl. § 130 Nr. 6 ZPO), sei es durch maschinenschriftliche Wiedergabe, sei es durch eingescannte Unterschrift. Wie die besprochene Entscheidung zeigt, genügt die bloße Bezeichnung „Rechtsanwalt“ (die nicht einmal erforderlich ist) hingegen nicht. Ob es genügt, dass sich aus dem Schriftsatz iÜ (eindeutig) ergibt, wer der den Schriftsatz verantwortende Rechtsanwalt ist, hat das BAG im Ergebnis offengelassen. Dies dürfte indessen regelmäßig zu verneinen sein, weshalb unbedingt darauf geachtet werden sollte, dass der verantwortliche Rechtsanwalt am Ende des Schriftsatzes namentlich genannt wird. Auf die „Wiedereinsetzungslösung“ des BAG kann nicht gebaut werden, denn sie beruht letztlich ausschließlich darauf, dass das elektronische Dokument noch vor Fristablauf dem Vorsitzenden selbst vorlag.
BAG, Beschluss vom 14.09.2020 - 5 AZB 23/20, BeckRS 2020, 26568