Urteilsanalyse
Erforderliche Klarheit über die Person des Berufungsklägers
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Die erforderliche Klarheit über die Person des Berufungsklägers ist nicht ausschließlich durch dessen ausdrückliche Bezeichnung zu erzielen. Sie kann nach Ansicht des Bundesgerichtshofs auch im Wege der Auslegung der Berufungsschrift und der etwa sonst vorliegenden Unterlagen gewonnen werden. Hierbei seien alle Umstände zu berücksichtigen.

9. Apr 2021

Anmerkung von
Richter am KG Dr. Oliver Elzer, Berlin

Aus beck-fachdienst Zivilverfahrensrecht 07/2021 vom 01.04.2021

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Sachverhalt

K klagt gegen B auf Werklohn. Das AG gibt der Klage statt und verurteilt B, 4.124,30 EUR nebst Zinsen sowie vorgerichtlicher Rechtsanwaltsgebühren iHv 413,64 EUR zu zahlen; die Kosten des Rechtsstreits legt es der B auf. Dieses Urteil wird B’s Rechtsanwälten X am 25.1 zugestellt. Am 19.2 geht beim LG die von Rechtsanwältin Y verfasste zweiseitige Berufungsschrift vom 17.2 ein, der eine Ablichtung des erstinstanzlichen Urteils beiliegt. Die Berufungsschrift enthält im Eingang auf der ersten Seite ein volles Rubrum. Dort ist B als „Beklagte und Berufungsklägerin“ sowie als ihre Prozessbevollmächtigte Y bezeichnet. K ist als „Kläger und Berufungsbeklagte[r]“aufgeführt. Auf Seite 2 der Berufungsschrift heißt es demgegenüber, Y lege namens und in Vollmacht des „Klägers und Berufungsklägers“ Berufung ein. Das LG verwirft die Berufung aus diesem Grunde als unzulässig. Aus der Berufungsschrift ergebe sich nicht zweifelsfrei, für welche Partei das Rechtsmittel von Y eingelegt worden sei. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde. Mit Erfolg! 

Entscheidung: Der angefochtene Beschluss verletzt B’s Verfahrensgrundrecht aus Art. 103 I GG

Schilderung der Maßstäbe

Gem. § 519 II ZPO gehöre zum notwendigen Inhalt der Berufungsschrift die Angabe, für und gegen welche Partei das Rechtsmittel eingelegt werde. Aus der Berufungsschrift müsse entweder für sich allein oder mit Hilfe weiterer Unterlagen, etwa einer der Berufungsschrift beigefügten Ablichtung des angefochtenen Urteils (Hinweis auf BGH NJW-RR 2004, 862, Rn. 19 ­– juris), bis zum Ablauf der Rechtsmittelfrist eindeutig zu erkennen sein, wer Berufungskläger und wer Berufungsbeklagter sein solle. Dabei seien va an die eindeutige Bezeichnung des Rechtsmittelführers strenge Anforderungen zu stellen. Bei verständiger Würdigung des gesamten Vorgangs der Rechtsmitteleinlegung müsse jeder Zweifel an der Person des Rechtsmittelklägers ausgeschlossen sein. Dies bedeute allerdings nicht, dass die erforderliche Klarheit über die Person des Berufungsklägers ausschließlich durch dessen ausdrückliche Bezeichnung zu erzielen sei; sie könne auch im Wege der Auslegung der Berufungsschrift und der etwa sonst vorliegenden Unterlagen gewonnen werden. Hierbei seien, wie auch im Übrigen bei der Ausdeutung von Prozesserklärungen, alle Umstände des jeweiligen Einzelfalls zu berücksichtigen (Hinweis auf BGH NJW-RR 2011, 281 Rn. 10 und BGH NJW-RR 2011, 359 Rn. 11). 

Anwendung der Maßstäbe 

Gemessen hieran sei innerhalb der Berufungsfrist erkennbar gewesen, für wen Berufung eingelegt worden sei. Das LG habe die Unzulässigkeit der Berufung allein daraus hergeleitet, dass die von Rechtsanwältin Y eingereichte Berufungsschrift einen Widerspruch insoweit enthalte, als dort im Eingang des (vollständigen) Rubrums B als Berufungsklägerin bezeichnet worden sei, während auf der zweiten Seite die Berufungseinlegung für K mitgeteilt und Rechtsanwältin Y als seine Prozessbevollmächtigte benannt werde. Dieser Zweifel sei wegen des Umstandes, dass der Berufungsschrift die angefochtene Entscheidung beigefügt war, nicht berechtigt gewesen. Dem LG habe sich aufdrängen müssen, dass Y die Berufung als (neue) anwaltliche Vertreterin der B eingelegt hatte, als deren zweitinstanzliche Prozessbevollmächtigte sie im Rubrum der Berufungsschrift ausdrücklich aufgeführt worden sei. Aus dem erstinstanzlichen Urteil habe sich zum anderen ergeben, dass K in vollem Umfang obsiegt hatte. Weshalb K Anlass hätte haben sollen, ein Rechtsmittel einzulegen, sei nicht ersichtlich und werde vom LG auch nicht nachvollziehbar dargetan.

Praxishinweis

Die BGH-Entscheidung ist ein „Klassiker“, bei dem die bekannten Grundsätze angewandt werden (siehe nur die Hinweise bei Elzer FD-ZVR 2021, 437139 sowie Vossler MDR 2021, 342 Rn. 6). Ferner zeigt sie auf, wie man bei der Auslegung von Prozesshandlungen vorzugehen hat. Hier gilt: Prozesserklärungen sind der Auslegung fähig und der Auslegung bedürftig (siehe etwa Elzer FD-ZVR 2017, 387551, FD-ZVR 2016, 381297, FD-ZVR 2013, 349611 oder FD-ZVR 2012, 337593), va, aber nicht nur, der Klageantrag (siehe etwa BGH BeckRS 2017, 103266 Rn. 13). Bei der Auslegung ist zwar auf den Wortlaut einer Prozesserklärung abzustellen. Eine Partei darf aber nicht am buchstäblichen Sinn ihrer Wortwahl festgehalten werden (BVerfG NJW 2014, 291 Rn. 17 = BeckRS 2013, 56020). Vielmehr ist stets davon auszugehen, dass die Partei mit ihrer Prozesshandlung das erreichen will, was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und ihrer recht verstandenen Interessenlage entspricht (BVerfG NJW 2014, 291 Rn. 17 = BeckRS 2013, 56020; BGH BeckRS 2016, 14014 Rn. 12 mAnm Elzer FD-ZVR 2016, 381297; BGH BeckRS 2016, 13174 Rn. 24 mAnm Elzer FD-ZVR 2016, 380686). Vor diesem Hintergrund konnte man kaum annehmen, dass B keine Berufung einlegen wollte.

BGH, Beschluss vom 24.02.2021 - VII ZB 8/21, BeckRS 2021, 4029