Urteilsanalyse
Equal Pay Grundsatz erstreckt sich auch auf Urlaub und Urlaubsabgeltung
Urteilsanalyse
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Art. 5 I Unterabs. 1 i.V.m. Art. 3 I f der RL 2008/104/EG steht nach einem Urteil des EuGH einer nationalen Regelung entgegen, nach der die Urlaubsabgeltung und das entsprechende Urlaubsgeld für Leiharbeitnehmer geringer ist als die Urlaubsabgeltung und das Urlaubsgeld auf das sie Anspruch hätten, wenn sie von dem Entleiher für den gleichen Arbeitsplatz und für die gleiche Beschäftigungsdauer eingestellt worden wären.

18. Jul 2022

Anmerkung von
RAin Dr. Doris-Maria Schuster, Gleiss Lutz, Hamburg

Aus beck-fachdienst Arbeitsrecht 27/2022 vom 14.07.2022

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Sachverhalt

Die portugiesische Zeitarbeitsfirma Luso Temp - Empresa de Trabalho Temporário SA überließ von Oktober 2017 bis Oktober 2019 zwei Arbeitnehmer an ein Unternehmen. Das portugiesische Arbeitsgesetzbuch sieht für Leiharbeitnehmer in Art. 185 VI, einer Spezialregelung für Leiharbeitnehmer, eine anteilige Berechnung des Urlaubs und des Urlaubsgeldes nach der Dauer ihrer Beschäftigung vor. Bei Anwendung dieser Spezialregelung kamen die beiden Arbeitnehmer auf einen Urlaubsanspruch von 44 Tagen. Bei Arbeitnehmern, die in dem einleihenden Unternehmen direkt angestellt sind, kommt diese Spezialregelung nicht zum Tragen. Ihnen hätte bei Zugrundelegung derselben Beschäftigungsdauer und bei Beschäftigung auf denselben Arbeitsplätzen Anspruch auf 65 bzw. 67 Tage bezahltem Urlaub zugestanden. Nach der Beendigung des Leiharbeitseinsatzes verlangten die beiden Leiharbeitnehmer von ihrem Leiharbeitgeber unter Berufung auf den Gleichbehandlungsgrundsatz Urlaubsabgeltung in einem Umfang, der ihnen bei einer Festanstellung bei dem Entleiher zugestanden hätte (65 bzw. 67 Tage statt 44 Tage). Das zuständige portugiesische Arbeitsgericht, das Tribunal Judicial da Comarca de Braga, zweifelte an der Vereinbarkeit von Art. 185 Abs. 6 mit der Leiharbeits-Richtlinie 2008/104/EG und legte die Frage dem EuGH zur Entscheidung vor.

Entscheidung

Der EuGH bestätigte die Zweifel des portugiesischen Arbeitsgerichts. Der in Art. 5 I Unterabs. 1 der RL 2008/104 kodifizierte Grundsatz der Gleichbehandlung gebiete es, Leiharbeitnehmern für die Dauer ihrer Überlassung die gleichen wesentlichen Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen zu gewähren, wie Arbeitnehmern, die als Stammbelegschaft auf diesen Arbeitsplätzen arbeiten. Bei den Regeln zum Urlaub und der Urlaubsabgeltung handele es sich um wesentliche Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen i.S.d. Leiharbeits-Richtlinie. Das leitet der EuGH aus dem Sinn und Zweck und dem Ziel der Leiharbeits-Richtlinie her. Diese soll unter anderem die uneingeschränkte Einhaltung von Art. 31 der Charta der Grundrechte gewährleisten. Art. 31 der Charta der Grundrechte verbürge sich für gesunde, sichere und würdige Arbeitsbedingungen für jeden Arbeitnehmer. Dazu gehöre auch der Urlaub. Die Leiharbeits-RL 2008/104 verfolge nämlich nicht nur das Ziel, die Qualität der Leiharbeit durch den zur Anwendung kommenden Grundsatz der Gleichbehandlung zu verbessern. Vielmehr diene sie auch dazu, den Leiharbeitnehmern den Zugang zu unbefristeter Arbeit zu ermöglichen. Um den Zugang der Leiharbeitnehmer zu unbefristeter Beschäftigung zu fördern, müsse der Grundsatz der Gleichbehandlung „vollumfänglich“ gewahrt werden. Nur so sei es möglich, die Leiharbeitsbedingungen den normalen Arbeitsverhältnissen anzunähern.

Praxishinweis

Der EUGH hatte sich in diesem Vorabentscheidungsverfahren u.a. mit der Frage auseinander zu setzen, ob der Jahresurlaub, das Urlaubsgeld und auch die Urlaubsabgeltung zu den „wesentlichen Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen“ i.S.d. RL 2008/14 gehören und damit dem Grundsatz der Gleichbehandlung unterfallen. Diese Frage ist nun klar bejaht worden. Das BAG hatte sich mit dieser Frage bereits 2017 auseinandergesetzt und festgestellt, dass das im AÜG normierte Gebot des „equal pay“ sich auch auf Urlaub erstreckt (BAG, ArbRAktuell 2017, 144).


EuGH, Urteil vom 12.05.2022 - C-426/20, BeckRS 2022, 10287