Neulich war in meiner „beA-Post“ ein Urteil eines Amtsgerichts in Zivilsachen. Das Ungewöhnliche an dieser Entscheidung: Das Verfahren musste knapp drei Jahre dauern, bis es zur mündlichen Verhandlung kam. Und das Gericht entschied entgegen der im Termin noch angekündigten Beweisaufnahme unter Verzicht auf die wirklich zwingende Vernehmung von sieben Zeugen und das wohl auch noch gebotene Sachverständigengutachten einfach durch. Wer glaubt, dass es sich hier um einen tragischen Einzelfall handelt, irrt. Die Fälle, in denen die Tatgerichte „durchentscheiden“, um dann nach einiger Zeit die Akte gem. § 538 II 1 ZPO mit manchmal recht deutlichen Worten der Berufungsgerichte wieder auf dem Tisch vorzufinden, häufen sich.
Ohne eine Lanze für die angesichts der Aktenmassen oft verzweifelten Tatrichterinnen und Tatrichter brechen zu wollen – klar ist, dass die Zunahme solcher Fälle – die sich allesamt als Grundrechtsverletzungen (Art. 103 I GG) darstellen – jedenfalls ein Indiz für die Überlastung der erstinstanzlichen Zivilgerichte ist. Nun ist das Thema kein neues, und es gibt Versuche, hier etwas zu verbessern. Doch auch der „Pakt für den Rechtsstaat“ hat in der Kürze der Zeit noch nicht viel verändern können. Zudem folgt die Pensionierungswelle in den nächsten Jahren.
Die bisherigen Maßnahmen genügen nicht. Nach wie vor ist das Tempo der sachlichen Ausstattung – Stichwort „E-Akte“ – ganz überwiegend zu gering. Schon die zahllosen prozessualen Folgen der „Coronawellen“ für alle Gerichtsbarkeiten werden dazu führen, dass die Justiz weiter in Arbeit erstickt. Neben einer deutlich verbesserten Nachwuchsgewinnung inklusive wirtschaftlicher Anreize für frisch geprüfte Assessorinnen und Assessoren wird man darüber nachdenken müssen, die Altersgrenze für Richterinnen und Richter auf freiwilliger Basis weiter Richtung 70 zu schieben – wer möchte, der/die darf. Ebenso muss diskutiert werden, ob nicht Anwältinnen und Anwälte, die an den Ruhestand denken, motiviert werden können, auf ihre „alten Tage“ noch einige Jahre in der Justiz zu unterstützen. Solche Vorschläge sind nicht beliebt – aber sie würden schnell helfen, um das Vertrauen der Bevölkerung in diesen Rechtsstaat nicht noch mehr zu untergraben.
Nachdenken muss man auch über andere unbeliebte Maßnahmen – obligatorische Streitschlichtungen iSv § 15a EGZPO etwa bei Streitigkeiten bis zu 5.000 Euro dürfen ebenso wie ein Verzicht auf die Voraussetzung der „Schwere der Schuld“ des § 153a I 1 StPO kein Tabu sein. Nur: Es muss schnell passieren. Denn ein Amtsgericht, das Anklagen in Jugendsachen – wie gerade erlebt – mit einer Vorlaufzeit von zwei Jahren terminieren muss, weil fast alle Werktage im Jahr bereits dicht sind, wird weder seinem eigenen noch dem gesetzlichen Anspruch gerecht. Nochmals: Es muss schnell etwas passieren.