Anmerkung von
RA Dr. Matthias Böglmüller, Gleiss Lutz, München
Aus beck-fachdienst Arbeitsrecht 45/2021 vom 11.11.2021
Diese Urteilsbesprechung ist Teil des wöchentlich erscheinenden Fachdienstes Arbeitsrecht. Neben weiteren ausführlichen Besprechungen der entscheidenden aktuellen Urteile im Arbeitsrecht beinhaltet er ergänzende Leitsatzübersichten und einen Überblick über die relevanten neu erschienenen Aufsätze. Zudem informiert er Sie in einem Nachrichtenblock über die wichtigen Entwicklungen in Gesetzgebung und Praxis des Arbeitsrechts. Weitere Informationen und eine Schnellbestellmöglichkeit finden Sie unter www.beck-online.de.
Sachverhalt
Der Kläger ist der geschiedene Ehemann der Arbeitnehmerin. Die Beklagte ist Arbeitgeberin der Arbeitnehmerin. Die Arbeitnehmerin wurde im Rahmen eines Scheidungsverfahrens durch das FamG zur Zahlung von 22.679 EUR an den Kläger verpflichtet. Aufgrund dieses Beschlusses erwirkte der Kläger einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss (PfÜB) über das gegenwärtige und zukünftige Arbeitseinkommen der Arbeitnehmerin, welcher der Beklagten im November 2015 zugestellt wurde. Im Mai 2016 vereinbarten die Arbeitnehmerin und die Beklagte eine Entgeltumwandlung zu einer betrieblichen Altersversorgung im Wege einer Direktversicherung. Die Beklagte zahlte als Versicherungsnehmerin monatlich 248 EUR vom Bruttogehalt der Arbeitnehmerin in die Direktversicherung ein. In der Folgezeit leistete die Beklagte an den Kläger Zahlungen aufgrund des PfÜB, wobei sie bei der Berechnung des pfändbaren Einkommens den Betrag von 248 EUR abzog. Mit seiner Klage begehrt der Kläger eine Erhöhung der monatlichen Zahlungen. Nach Ansicht des Klägers habe die Arbeitnehmerin nach Zustellung des PfÜB die Verwertungszuständigkeit über ihre Forderungen verloren.
Entscheidung
Nachdem das ArbG die Klage abgewiesen hatte, gab das LAG der Klage zunächst teilweise statt. Die Revision der Beklagten hatte vor dem 8. Senat des BAG Erfolg.
Den Anteil des Arbeitsentgelts, der aufgrund einer Entgeltumwandlungsvereinbarung zwischen den Arbeitsvertragsparteien in eine Direktversicherung eingezahlt wird, habe die Beklagte bei der Berechnung des pfändbaren Einkommens zu Recht nicht berücksichtigt. Nach Abschluss einer Entgeltumwandlungsvereinbarung liege kein pfändbares Einkommen im Sinne des § 850 II ZPO mehr vor. Daran ändere grundsätzlich auch nichts, dass die Entgeltumwandlungsvereinbarung erst nach der Zustellung des PfÜB an den Arbeitgeber getroffen wurde. Dies gelte, da die Arbeitnehmerin von ihrem Recht aus § 1a I 1 BetrAVG Gebrauch mache und der dort vorgesehene Betrag in Höhe von 4 Prozent der jeweiligen Beitragsbemessungsgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung nicht überschritten wurde. Eine solche Entgeltumwandlungsvereinbarung sei keine den Gläubiger benachteiligende Verfügung im Sinne des § 829 I 2 ZPO. Dies zeige eine an § 1a I 1 BetrAVG orientierte normative Betrachtung. Entgegen der Ansicht des Klägers könne auch kein Rückgriff auf den Rechtsgedanken des § 850h ZPO erfolgen. Es war nicht zu entscheiden, ob bei einer höheren als der in § 1a I 1 BetrAVG vorgesehenen Entgeltumwandlung eine abweichende Entscheidung ergehen müsse.
Praxishinweis
Das BAG erweitert seine Rechtsprechung zur Unpfändbarkeit von Direktversicherungsbeiträgen nach einer Entgeltumwandlung (vgl. BAG, BeckRS 1998, 30008075) auf Fälle, in denen die Entgeltumwandlung erst nach Zustellung eines PfÜB vereinbart wird. Es weicht dabei im Ergebnis und in der Begründung von der Entscheidung im Fall der Verbraucherinsolvenz des Schuldners ab (vgl. BAG, BeckRS 2008, 57038).
Mit dem Urteil stärkt das BAG den Stellenwert der betrieblichen Altersversorgung, indem es in seiner Begründung auf das Recht des Arbeitnehmers auf eine Entgeltumwandlung zur betrieblichen Altersversorgung abstellt. Es bleibt abzuwarten, wie sich die Rechtsprechung zur Höhe der Unpfändbarkeit umgewandelter Beträge entwickelt. Eine an dem in § 1a I 1 BetrAVG vorgesehen Betrag orientierte Begrenzung erscheint sachgerecht. Die schützenswerten Interessen von Gläubiger und Schuldner werden unter Berücksichtigung der gesetzlichen Wertung in Ausgleich gebracht. Der Schuldner sowie möglicherweise beeinträchtigte Unterhaltsberechtigte wären vor missbräuchlichen Gestaltungen nicht nur über das Institut der Sittenwidrigkeit gemäß § 138 BGB geschützt (vgl. Höfer, BetrAVG, Entgeltumwandlung und Pfändbarkeit, Rn. 265), sondern auch über die betragsmäßige Begrenzung der Unpfändbarkeit anhand § 1a I 1 BetrAVG. Insbesondere würde dies auch zur Rechtssicherheit für Arbeitgeber führen, die sich in einem Spannungsfeld zwischen der Forderung des Schuldners und berechtigten Ansprüchen seines Arbeitnehmers auf Entgeltumwandlung befindet.
Die Anmerkung beruht auf der Pressemitteilung des BAG (FD-ArbR 2021, 442774).