Anmerkung von
Rechtsanwalt Prof. Dr. Wolf-Rüdiger Bub und Rechtsanwalt Nikolay Pramataroff
Rechtsanwälte Bub, Memminger & Partner, München, Frankfurt a.M.
Aus beck-fachdienst Miet- und Wohnungseigentumsrecht 11/2021 vom 03.06.2021
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Sachverhalt
Die Parteien sind Eigentümer benachbarter Grundstücke. Das eine Grundstück steht im Eigentum des Klägers und einer weiteren Person, die zusammen eine Wohnungseigentümergemeinschaft bilden. Ihr Grundstück grenzt in dem Bereich des Gartens, an welchem dem weiteren Wohnungseigentümer ein Sondernutzungsrecht zusteht, unmittelbar an das Grundstück der Beklagten an. 2011 pflanzten die Beklagten auf ihrem Grundstück entlang dieser Grenze vier Zypressen mit einem Grenzabstand von unter vier Metern. Der Kläger verlangt deren Beseitigung, hilfsweise den Rückschnitt auf eine Höhe von maximal 3,5 Metern.
Das Amtsgericht hat der Klage im Hauptantrag stattgegeben. Das LG hat die Berufung der Beklagten im November 2019 zurückgewiesen. Mit der Revision begehren die Beklagten die Abweisung der Klage; sie sind der Ansicht, der Kläger sei nicht (mehr) aktivlegitimiert.
Entscheidung
Die Revision hat keinen Erfolg.
Für die bereits vor dem 01.12.2020 bei Gericht anhängigen Verfahren bestehe die Prozessführungsbefugnis des Wohnungseigentümers über diesen Zeitpunkt hinaus in Anwendung des Rechtsgedankens des § 48 Abs. 5 WEG fort, bis dem Gericht eine schriftliche Äußerung des nach § 9b WEG vertretungsberechtigten Organs (z.B. des Verwalters) über einen entgegenstehenden Willen der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer zur Kenntnis gebracht werde.
Die Übergangsvorschrift des § 48 Abs. 5 WEG enthalte insoweit eine planwidrige Regelungslücke. Ein - zur Unzulässigkeit der Klage führender - Wegfall der Prozessführungsbefugnis des Wohnungseigentümers während des laufenden gerichtlichen Verfahrens hätte zur Folge, dass das Verfahren, selbst wenn es - wie im vorliegenden Fall - schon seit Jahren anhängig und über mehrere Instanzen geführt worden sei, für beide Parteien gänzlich nutzlos gewesen wäre und im Ergebnis nur erheblichen Aufwand und Kosten verursacht hätte. Gegen die Annahme, dass dies dem Plan des Gesetzgebers entspreche und er dies bewusst hinnehmen wollte, spreche, dass die Gesetzesbegründung hierzu keine Erläuterung enthalte, was bei einem Eingriff dieses Ausmaßes und der Vielzahl der betroffenen Verfahren zu erwarten wäre. Dies gelte umso mehr, als § 9a Abs. 2 WEG für Verfahren, in denen ein Wohnungseigentümer vor Inkrafttreten der Vorschrift Klage erhoben habe und das Verfahren noch nicht abgeschlossen sei, bei einem Wegfall der Prozessführungsbefugnis eine so genannte unechte Rückwirkung entfalten würde. Hätte der Gesetzgeber der Regelung für bereits anhängige Verfahren eine solche Wirkung beimessen wollen, hätte es nahegelegen, dass er die Gründe hierfür anhand des gesetzgeberischen Ziels erläutert und darstellt, warum dem Vertrauen des Wohnungseigentümers auf den Fortbestand seiner Prozessführungsbefugnis ein geringeres Gewicht zukomme.
Die Regelungslücke hätte der Gesetzgeber, hätte er sie denn erkannt, nach seinem Plan mit einer Regelung geschlossen, die sich an der Vorschrift des § 48 Abs. 5 WEG orientiert, zugleich aber auch den Rechtsgedanken des § 9a Abs. 2 WEG einbezieht, der die Durchsetzung der dort genannten Ansprüche der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer zuordnet.
Der Übergangsregelung in § 48 Abs. 5 WEG liege die Vorstellung des Gesetzgebers zugrunde, dass Änderungen des Verfahrensrechts bereits anhängige Verfahren unberührt ließen. Im Hinblick auf den (auch) verfahrensrechtlichen Charakter von § 9a Abs. 2 WEG sei daher anzunehmen, dass es dem Plan des Gesetzgebers entspreche, die Prozessführungsbefugnis eines Wohnungseigentümers in einem bei Gericht bereits anhängigen Verfahren nicht schon durch das bloße Inkrafttreten der Neuregelung entfallen zu lassen. Er hätte aber zugleich auch den Rechten der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer Rechnung getragen, der er in § 9a Abs. 2 WEG die alleinige Ausübungsbefugnis für die sich aus dem gemeinschaftlichen Eigentum ergebenden Rechte zugewiesen hat. Dementsprechend hätte er das Recht der Gemeinschaft, über die Fortführung des Verfahrens eigenverantwortlich zu entscheiden, unangetastet gelassen. Daraus folge, dass die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer das bereits anhängige Verfahren selber als Partei übernehmen oder aber dem Wohnungseigentümer die Fortführung des Verfahrens untersagen könne, etwa, weil sie den Konflikt auf andere Weise als durch einen gerichtlichen Rechtsstreit beilegen wolle.
Solange dem Gericht ein entgegenstehender Wille der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer aber nicht zur Kenntnis gebracht werde, bestehe für ein bereits vor dem 01.12.2020 anhängiges Verfahren die Prozessführungsbefugnis des Wohnungseigentümers fort. Dies rechtfertige sich aus der Überlegung, dass die Geltendmachung und Durchsetzung von sich aus dem gemeinschaftlichen Eigentum ergebenden Rechten, insbesondere die Verfolgung von Ansprüchen wegen einer Beeinträchtigung des gemeinschaftlichen Eigentums typischerweise im Interesse der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer liege.
Danach sei die Revision der Beklagten nicht erfolgreich. Der Kläger sei weiterhin prozessführungsbefugt, da ein entgegenstehender Wille der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer nicht belegt sei. Das Berufungsgericht habe auch zu Recht einen Anspruch des Klägers gemäß § 16 Abs. 1 Nr. 4 NRG BW auf Beseitigung der Zypressen bejaht.
Praxishinweis
Der Entscheidung, die bisher nur als Pressemitteilung vorliegt, ist zuzustimmen.
Die vorliegende Frage, ob bei Inkrafttreten des WEMoG zum 01.12.2020 bei bereits anhängigen Verfahren der einzelne Wohnungseigentümer auch weiterhin prozessführungsbefugt ist, hat aufgrund der Vielzahl der betroffenen Verfahren erhebliche praktische Relevanz. Eine Übergangsregelung für das materielle Recht enthält § 48 WEG nicht, da § 9b WEG nicht im dritten Teil des WEG verortet ist (vgl. § 48 Abs. 5 WEG), sodass fraglich war, ob es hier eine planwidrige Regelungslücke gab.
In der Rechtsprechung und Literatur war diese Frage höchst umstritten. AG Heidelberg (Verfügung vom 05.01.2021 – 45 C 108/19, NJW 2021, 643) und ein Teil der Literatur (Bruns NZM 2020, 909, 911; Wicke in Palandt, 80. Auflage, 2021, § 48 WEG Rn 5) nahmen eine analoge Anwendung des § 48 Abs. 5 WEG auch auf das materielle Recht an. Hingegen lehnte das LG Frankfurt a. M. (Urteil vom 28.01.2021 – 2-13 S 155/19, NJW 2021, 643; ebenso Lehmann-Richter/Wobst, WEG-Reform 2020, Rn. 2027) eine analoge Anwendung des § 48 Abs. 5 WEG mangels Regelungslücke ab. Begründet wurde dies u.a. damit, dass der Kläger die Möglichkeit hätte, kostengünstig die laufende Klage für erledigt zu erklären oder einen Parteiwechsel anzustreben. Mit guter Argumentation schließt sich der BGH der ersten Ansicht an. Hinzu kommt, dass ein etwaiger Parteiwechsel selbst einen jahrelangen Rechtsstreit auslösen kann und damit die Verjährung des Anspruchs droht (vgl. § 204 Abs. 2 BGB). Dies hätte nur verhindert werden können, wenn in solchen Fallkonstellationen § 148 ZPO analog angewandt würde, um das Gebot des effektiven Rechtsschutzes zu wahren (vgl. BGH Urteil vom 26.10.2018 – V ZR 328/17, NJW 2019, 1216). Das Problem der langen Verfahrensdauer wäre dadurch aber nicht behoben worden. Die Entscheidung ist somit auch vor dem Hintergrund des Beschleunigungsgrundsatzes zu begrüßen.