Interview
Einwilligung macht Corona-App nicht freiwillig
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Eine private Debattengruppe von Datenschutzexperten hat einen Gesetzentwurf zur Regelung einer Corona-Tracing-App formuliert. Die Resonanz aus der Politik ist durchaus positiv, auch wenn der Entwurf die „strengste Maximallösung“ darstellt. Wir haben bei Dr. Malte Engeler, einem der Initiatoren der Gruppe, nachgefragt.

20. Mai 2020

NJW: Sie haben einen Gesetzentwurf zur Regelung einer Corona-Tracing-App formuliert. Warum braucht es aus Ihrer Sicht eine gesetzliche Grundlage für die App?

Engeler: Die Antwort ist eigentlich ziemlich formell-juristisch: Weil wir eine datenschutzrechtliche Erlaubnis brauchen. Das betrifft nicht nur Deutschland, sondern in Umsetzung der DS-GVO alle Mitgliedstaaten der EU. Ein solches Gesetz muss Rahmen, Umfang und Zweck der Datenverarbeitung regeln. Die Verfasserinnen des Entwurfs gehen ganz einhellig davon aus, dass eine Einwilligung als Rechtsgrundlage nicht ausreicht. Aber für uns war auch noch eine zweite, ganz entscheidende Motivation, dass die Grenzen der Corona-App über ein Gesetz viel besser geregelt werden können als über eine Einwilligung. Da sind in dem Entwurf ja ganz viele, sehr strenge Grenzen eingezogen worden, von einer Geltungsdauer der App bzw. des Gesetzes über eine ganz klare Zweckbindung bis hin zu Bußgeldvorschriften, um die Freiwilligkeit zu garantieren. Selbst wenn man der Auffassung wäre, dass wir kein Gesetz bräuchten, halten wir ein Gesetz für politisch sehr sinnvoll, um maximale Sicherheit für alle Beteiligten zu gewährleisten, wozu die App benutzt werden darf und wozu nicht.

NJW: Unabhängig von der politischen Motivation für ein solches Gesetz – wieso ist eine Einwilligung der Nutzer als Rechtsgrundlage ungeeignet?

Engeler: Die DS-GVO sagt im Erwägungsgrund 43 S. 1, dass eine Einwilligung gegenüber Behörden in der Regel nicht freiwillig ist. Dann gibt es in der juristischen Fachdebatte auch noch Unterscheidungen; im Falle der Eingriffsverwaltung soll eine Einwilligung keine Rechtsgrundlage sein, sondern nur im Fall der Leistungsverwaltung. Wir sind in der Autorenschaft der Meinung, dass die Corona-App immer im Kontext von Eingriffen steht. Eine solche App bietet der Staat ja nicht als Mehrwert, wie etwa Spielplätze. Das ist eine Maßnahme, die auf einer Stufe steht mit allen anderen Corona-Maßnahmen, also Kontaktbeschränkungen, Ausgehverboten, Schließung von Geschäften und so weiter. Die Corona-App ist nichts, was man sich freiwillig installiert, sondern schlicht und ergreifend eine weitere Maßnahme, für die der Staat sich entscheidet, um die Pandemie zu bewältigen. Das ist ein Grundrechtseingriff, der so nicht erforderlich und auch niemals vertreten worden wäre, wenn wir nicht die Corona-Pandemie bewältigen müssten. Die Einwilligung in die Nutzung dieser App wäre nicht freiwillig, weil die Bürgerinnen sich in einem klaren Über-Unterordnungsverhältnis zu dem staatlichen Betreiber sehen. Der Kontext ist ja immer: App nutzen oder Lockdown kommt zurück oder wird verlängert. App nutzen oder wir müssen uns überlegen, ob wir vielleicht doch wieder die Frisöre schließen. Diese Kulisse im Hintergrund bleibt, und deswegen halten wir es für schwer vertretbar, dass wir hier wirklich bevölkerungsweit von einer freiwilligen Nutzung reden.

NJW: Ihr Entwurf setzt eine dezentrale Infrastruktur voraus. Warum ist das wichtig?

Engeler: Unsere Gruppe hatte sich zunächst gefunden als Debattengruppe um die Frage Pepp-PT (zentraler Kontakteabgleich) oder DP3T (lokaler Kontakteabgleich auf dem Smartphone). Nachdem dann, auch für uns sehr überraschend, die Bundesregierung auf einen dezentralen Ansatz umgeschwenkt ist, war das für uns eine sehr positive Nachricht. Denn lokales Matching der Kontaktbegegnung auf dem Smartphone ist zwar immer noch ein Eingriff, aber im Vergleich zum zentralen Matching das geringere Übel. Nachdem diese Debatte erledigt war, sind wir auf die Idee gekommen, diesen Gesetzentwurf vorzulegen. Deswegen haben wir das in den Entwurf mit aufgenommen, sowohl als Bekenntnis zum dezentralen Ansatz als auch als Anerkenntnis, dass es ohnehin nicht anders geht, weil Apple und Google nur die technischen Voraussetzungen für eine dezentrale Lösung anbieten.

NJW: Was ist nach der Veröffentlichung des Gesetzentwurfs passiert?

Engeler: Wir haben sehr schnell Feedback von den Fraktionen bekommen. So hat Die Linke wohl tatsächlich überlegt, den Entwurf so oder ähnlich in das Gesetzgebungsverfahren mit einzubringen. Die Grünen hatten, das haben wir dann erfahren, ohnehin vor zu beantragen, dass die Bundesregierung einen Gesetzesvorschlag erarbeitet, das ist ja mittlerweile auch passiert. Von der FDP haben wir nicht so viel gehört, außer dass sie den Gesetzentwurf grundsätzlich für zustimmungsfähig hielt, und ich glaube, die SPD kämpft noch so ein bisschen damit, ob sie nicht doch bei der Einwilligung bleibt oder ein Gesetz will. Ansonsten haben die bekannten Datenschutz-Twitterer per Mail oder Twitter großes Interesse bekundet, Feedback gesandt, den Entwurf teilweise im Änderungsmodus kommentiert, Notizen geschickt. Falls also eine zweite Version notwendig sein wird, hätten wir genug Material.

NJW: Wird es denn eine zweite Version geben? Oder anders gefragt: Wie geht es nun mit Ihrem Gesetzesvorschlag weiter?

Engeler: Wie es mit dem Gesetzentwurf weitergeht, hängt aus unserer Sicht davon ab, wie sich die ganze Entwicklung gestaltet. Aktuell sieht es so aus, dass die App nicht vor Juni kommt. Wir haben seit einigen Wochen nur noch eine Debatte über Lockerung von Maßnahmen, wir haben aktuell eine sinkende Reproduktionszahl. Ich persönlich wäre nicht überrascht, wenn die App kommt – und man merkt, man braucht sie nicht mehr! Das ist ein Szenario, mit dem ich durchaus rechne. Wenn die App aber kommt und sich herausstellt, dass die Diskussion um einen gesetzlichen Rahmen immer noch sehr vielfältig geführt wird, dann werden wir das Feedback in den Gesetzesvorschlag einarbeiten, also eine „Version zwei“ machen, wobei die Grundpfeiler unverändert blieben. Wir haben dann aber auch unseren zivilgesellschaftlichen Beitrag geleistet, und der Rest wird dann vielleicht über eine persönliche Beratung der Fraktion laufen, wenn sie denn darauf zugreifen wollen.

NJW: Trotz allem: Eine Umsetzung des Entwurfs ist unwahrscheinlich, oder?

Engeler: Also, dass unser Entwurf mal ein Aktenzeichen als Bundestagsdrucksache kriegt, davon gehen wir alle nicht aus. Wir wollten aber schon Rechtfertigungsdruck auslösen. Denn dieser Entwurf stellt die strengste Maximallösung dar. Und wenn die Politik das, was sie bisher vertreten und versprochen hat, umsetzen würde, dann sähe ein Gesetz so aus. Falls die Große Koalition aber tatsächlich einen Entwurf vorlegt, der zum Beispiel bei der Zweckbindung nicht ganz so streng formuliert ist oder etwa bei der Freiwilligkeit mittelbaren Zwang doch nicht ausschließt, dann ist der mahnende Gegenentwurf in der Welt und hält den Spiegel vor: Wenn Ihr das wirklich wollt, dann macht das so.

NJW: Abschließende Frage: Sind solche privaten Gesetzesinitiativen ein Modell für die Zukunft?

Engeler: Tatsächlich halte ich das bei Einzelfragen, die sich runterbrechen lassen, für einen sehr guten Weg. Es gibt zwar immer offene Briefe und Forderungen von NGOs, das ist alles schön und gut. Für die Tracing-App hat der Chaos Computer Club zum Beispiel einen Zehn-Punkte-Plan gemacht. Aber im Betrieb des Bundestags hat ein von Anfang bis Ende ausformulierter Entwurf, bei dem von Gegenstand bis Inkrafttreten alles ausformuliert wird, ein anderes Gewicht. Da ist die Hürde und Schwelle für die Verantwortlichen viel geringer. Es ist, das kenne ich aus meiner Arbeit, immer einfacher, aufzubauen, als komplett neu zu entwickeln, und deshalb kann so ein Gesetzentwurf im Einzelfall sehr attraktiv sein. Besonders außergewöhnlich finde ich dieses Vorgehen jedoch nicht. •

Dr. Malte Engeler war zunächst vier Jahre im Bereich der nationalen und europäischen Datenschutzaufsicht tätig. Seit 2017 ist er Richter am Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgericht. Er betreibt einen Technikblog und gehört zu den Administratoren der Plattform „Legal.Social“.

Interview: Dr. Susanne Reinemann.