Urteilsanalyse

Ei­ni­gungs­ge­bühr in Sor­ge­rechts­ver­fah­ren
Urteilsanalyse
SM_urteil_CR_FM2_adobe
© Stefan Yang / stock.adobe.com
SM_urteil_CR_FM2_adobe

Eine Ei­ni­gung im kos­ten­recht­li­chen Sinne liegt nach An­sicht des OLG Braun­schweig vor, wenn die El­tern in einem sor­ge­recht­li­chen Ver­fah­ren über­ein­stim­men­de Er­le­di­gungs­er­klä­run­gen ab­ge­ben, nach­dem sie sich zuvor dar­über ver­stän­digt haben, dass dem einen El­tern­teil eine um­fas­sen­de Sor­ge­rechts­voll­macht er­teilt wer­den und es des­halb bei der ge­mein­sa­men el­ter­li­chen Sorge ver­blei­ben soll.

10. Aug 2023

An­mer­kung von
Rechts­an­walt Dr. Hans-Jo­chem Mayer, Fach­an­walt für Ver­wal­tungs­recht und Fach­an­walt für Ar­beits­recht, Bühl

Aus beck-fach­dienst Ver­gü­tungs- und Kos­ten­recht 16/2023 vom 10.08.2023

Diese Ur­teils­be­spre­chung ist Teil des zwei­wö­chent­lich er­schei­nen­den Fach­diens­tes Ver­gü­tungs- und Kos­ten­recht. Neben wei­te­ren aus­führ­li­chen Be­spre­chun­gen der ent­schei­den­den ak­tu­el­len Ur­tei­le im Ver­gü­tungs- und Kos­ten­recht be­inhal­tet er er­gän­zen­de Leit­satz­über­sich­ten und einen Über­blick über die re­le­van­ten neu er­schie­ne­nen Auf­sät­ze. Zudem in­for­miert er Sie in einem Nach­rich­ten­block über die wich­ti­gen Ent­wick­lun­gen in Ge­setz­ge­bung und Pra­xis des Ver­gü­tungs- und Kos­ten­rechts. Wei­te­re In­for­ma­tio­nen und eine Schnell­be­stell­mög­lich­keit fin­den Sie unter www.​beck-​online.​de

Sach­ver­halt

Die Kin­des­mut­ter be­an­trag­te die Über­tra­gung der al­lei­ni­gen el­ter­li­chen Sorge für die bei­den ge­mein­sa­men min­der­jäh­ri­gen Töch­ter. Ihr wurde Ver­fah­rens­kos­ten­hil­fe für die erste In­stanz unter Bei­ord­nung ihrer An­wäl­tin be­wil­ligt. Im Ter­min wur­den die Be­tei­lig­ten per­sön­lich an­ge­hört. Fer­ner wurde aus­weis­lich des Sit­zungs­pro­to­kolls die Sach- und Rechts­la­ge hin­sicht­lich einer güt­li­chen Ei­ni­gung und Er­tei­lung einer Sor­ge­rechts­voll­macht an die Mut­ter er­ör­tert. An­schlie­ßend un­ter­zeich­ne­te der Vater eine Ge­ne­ral­voll­macht, die als An­la­ge zu Pro­to­koll ge­nom­men wurde. Die Mut­ter er­klär­te, sie werde die Voll­macht bei der Schu­le und beim Kin­der­arzt hin­ter­le­gen und den Vater un­ter­rich­ten, wenn sie von der Voll­macht Ge­brauch mache. Dar­auf­hin er­klär­ten die Be­tei­lig­ten über­ein­stim­mend die Er­le­di­gung des Ver­fah­rens. Das Ge­richt pro­to­kol­lier­te, dass auf­grund der Ei­ni­gung der Be­tei­lig­ten und der Er­tei­lung der Voll­macht von einer ver­gleichs­wei­sen Re­ge­lung aus­ge­gan­gen werde. Fer­ner be­schloss es, die der Kin­des­mut­ter be­wil­lig­te Ver­fah­rens­kos­ten­hil­fe auch auf die ver­gleichs­wei­se Ei­ni­gung zu der Ge­ne­ral­voll­macht zu er­stre­cken.

Die An­wäl­tin der Kin­des­mut­ter be­an­trag­te in der Folge die Fest­set­zung ihrer aus der Staats­kas­se zu zah­len­den Ver­gü­tung. Dabei mach­te sie auch eine Ei­ni­gungs­ge­bühr nach Nr. 1003 VV RVG gel­tend. Das AG setz­te die Ei­ni­gungs­ge­bühr zu­nächst ab, be­rück­sich­tig­te sie dann aber auf Er­in­ne­rung der An­wäl­tin doch, da sich die Be­tei­lig­ten im Ter­min dahin ver­gli­chen hät­ten, dass eine Sor­ge­rechts­voll­macht er­teilt und das Ver­fah­ren dann über­ein­stim­mend für er­le­digt er­klärt wer­den solle. Der Be­zirks­re­vi­sor legte da­ge­gen Be­schwer­de ein. Er mein­te, eine Ei­ni­gungs­ge­bühr könne nicht al­lei­ne da­durch an­fal­len, dass das Ge­richt pro­to­kol­lie­re, dass es sich um eine ver­gleichs­wei­se Re­ge­lung han­deln solle. Für die ab­ge­ge­be­ne Er­le­di­gungs­er­klä­rung ent­ste­he keine Ei­ni­gungs­ge­bühr.

Ent­schei­dung: Ei­ni­gungs­ge­bühr nach Nrn. 1003, 1000 VV RVG an­ge­fal­len

Die Be­schwer­de hatte kei­nen Er­folg.

Die Ei­ni­gungs­ge­bühr gemäß Nrn. 1003, 1000 VV RVG sei hier an­ge­fal­len. Gemäß Nr. 1000 Nr. 1 VV RVG ent­ste­he die Ge­bühr für die Mit­wir­kung beim Ab­schluss eines Ver­tra­ges, durch den der Streit oder die Un­ge­wiss­heit über ein Rechts­ver­hält­nis be­sei­tigt werde. In Kind­schafts­sa­chen ent­ste­he die Ge­bühr gemäß Nr. 1003 Anm. Abs. 2 Alt. 2 VV RVG auch für die Mit­wir­kung an einer Ver­ein­ba­rung, über deren Ge­gen­stand nicht ver­trag­lich ver­fügt wer­den könne, wenn hier­durch eine ge­richt­li­che Ent­schei­dung ent­behr­lich wird oder die Ent­schei­dung der ge­trof­fe­nen Ver­ein­ba­rung folgt. Er­for­der­lich sei daher ein Ver­trag oder - im Fall der feh­len­den Ver­fü­gungs­be­fug­nis über den Ver­fah­rens­ge­gen­stand - eine ge­mein­sa­me Emp­feh­lung für die Re­ge­lung des Ver­fah­rens­ge­gen­stan­des an das Ge­richt. Nicht aus­rei­chend seien dem­ge­gen­über eine Be­en­di­gung des Rechts­streits durch An­er­kennt­nis oder Ver­zicht im Sinn von Nr. 1000 Anm. Abs. 1 VV RVG oder eine ein­sei­ti­ge Er­le­di­gungs­er­klä­rung ohne vor­aus­ge­hen­de Ei­ni­gung.

Hin­ge­gen liege eine Ei­ni­gung im kos­ten­recht­li­chen Sinn vor, wenn sich die El­tern vor einer Er­le­di­gungs­er­klä­rung dar­über ver­stän­digt hät­ten, dass dem einen El­tern­teil eine um­fas­sen­de Sor­ge­rechts­voll­macht er­teilt werde und es des­halb künf­tig bei der ge­mein­sa­men el­ter­li­chen Sorge ver­blei­ben solle. So liege es auch hier. Aus dem aus­weis­lich des Ver­hand­lungs­pro­to­kolls er­folg­ten Ab­lauf der münd­li­chen Ver­hand­lung er­ge­be sich, dass die Be­tei­lig­ten sich vor der Ab­ga­be der Er­le­di­gungs­er­klä­run­gen dar­über ge­ei­nigt hat­ten, dass es auf­grund der Er­tei­lung der Voll­macht bei der ge­mein­sa­men el­ter­li­chen Sorge blei­ben solle. Damit hät­ten sie einen Ver­trag über den Ver­fah­rens­ge­gen­stand ge­schlos­sen, der sich nicht le­dig­lich auf ein An­er­kennt­nis oder einen Ver­zicht be­schrän­ke. Dass die El­tern eine Ei­ni­gung im kos­ten­recht­li­chen Sinne er­zielt hät­ten, werde zudem da­durch be­stä­tigt, dass die ver­hand­lungs­füh­ren­de Rich­te­rin aus­drück­lich im Pro­to­koll fest­ge­hal­ten habe, dass auf­grund der Ei­nung der Be­tei­lig­ten und der Er­tei­lung der Voll­macht von einer ver­gleichs­wei­sen Re­ge­lung aus­ge­gan­gen werde.

Pra­xis­hin­weis

Die be­rich­te­te Ent­schei­dung zeigt, dass bei einer Ver­fah­rens­be­en­di­gung durch über­stim­men­de Er­le­di­gungs­er­klä­run­gen dem Sit­zungs­pro­to­koll ent­schei­den­de Be­deu­tung zu­kommt. Wird näm­lich nicht le­dig­lich eine Kla­g­rück­nah­me pro­to­kol­liert ohne sons­ti­ge Ver­ein­ba­rung oder ein An­er­kennt­nis, ent­steht in aller Regel die Ei­ni­gungs­ge­bühr (Klees in Mayer/Kroiß, RVG, 8. Aufl. 2021, VV 1000 Rn. 45). Im be­rich­te­ten Fall ergab sich aus dem Sit­zungs­pro­to­koll, dass sich die Be­tei­lig­ten über den Ver­fah­rens­ge­gen­stand ge­ei­nigt hat­ten (vgl. in die­sem Zu­sam­men­hang aber auch OLG Celle, Be­schluss vom 08.04.2013 - 10 WF 105/13, BeckRS 2013, 14461 m. Anm. Mayer FD-RVG 2013, 350772).

OLG Braun­schweig, Be­schluss vom 19.06.2023 - 1 WF 65/23 (AG Braun­schweig), BeckRS 2023, 15757