Urteilsanalyse
Einigungsgebühr in Sorgerechtsverfahren
Urteilsanalyse
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Eine Einigung im kostenrechtlichen Sinne liegt nach Ansicht des OLG Braunschweig vor, wenn die Eltern in einem sorgerechtlichen Verfahren übereinstimmende Erledigungserklärungen abgeben, nachdem sie sich zuvor darüber verständigt haben, dass dem einen Elternteil eine umfassende Sorgerechtsvollmacht erteilt werden und es deshalb bei der gemeinsamen elterlichen Sorge verbleiben soll.

10. Aug 2023

Anmerkung von
Rechtsanwalt Dr. Hans-Jochem Mayer, Fachanwalt für Verwaltungsrecht und Fachanwalt für Arbeitsrecht, Bühl

Aus beck-fachdienst Vergütungs- und Kostenrecht 16/2023 vom 10.08.2023

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Sachverhalt

Die Kindesmutter beantragte die Übertragung der alleinigen elterlichen Sorge für die beiden gemeinsamen minderjährigen Töchter. Ihr wurde Verfahrenskostenhilfe für die erste Instanz unter Beiordnung ihrer Anwältin bewilligt. Im Termin wurden die Beteiligten persönlich angehört. Ferner wurde ausweislich des Sitzungsprotokolls die Sach- und Rechtslage hinsichtlich einer gütlichen Einigung und Erteilung einer Sorgerechtsvollmacht an die Mutter erörtert. Anschließend unterzeichnete der Vater eine Generalvollmacht, die als Anlage zu Protokoll genommen wurde. Die Mutter erklärte, sie werde die Vollmacht bei der Schule und beim Kinderarzt hinterlegen und den Vater unterrichten, wenn sie von der Vollmacht Gebrauch mache. Daraufhin erklärten die Beteiligten übereinstimmend die Erledigung des Verfahrens. Das Gericht protokollierte, dass aufgrund der Einigung der Beteiligten und der Erteilung der Vollmacht von einer vergleichsweisen Regelung ausgegangen werde. Ferner beschloss es, die der Kindesmutter bewilligte Verfahrenskostenhilfe auch auf die vergleichsweise Einigung zu der Generalvollmacht zu erstrecken.

Die Anwältin der Kindesmutter beantragte in der Folge die Festsetzung ihrer aus der Staatskasse zu zahlenden Vergütung. Dabei machte sie auch eine Einigungsgebühr nach Nr. 1003 VV RVG geltend. Das AG setzte die Einigungsgebühr zunächst ab, berücksichtigte sie dann aber auf Erinnerung der Anwältin doch, da sich die Beteiligten im Termin dahin verglichen hätten, dass eine Sorgerechtsvollmacht erteilt und das Verfahren dann übereinstimmend für erledigt erklärt werden solle. Der Bezirksrevisor legte dagegen Beschwerde ein. Er meinte, eine Einigungsgebühr könne nicht alleine dadurch anfallen, dass das Gericht protokolliere, dass es sich um eine vergleichsweise Regelung handeln solle. Für die abgegebene Erledigungserklärung entstehe keine Einigungsgebühr.

Entscheidung: Einigungsgebühr nach Nrn. 1003, 1000 VV RVG angefallen

Die Beschwerde hatte keinen Erfolg.

Die Einigungsgebühr gemäß Nrn. 1003, 1000 VV RVG sei hier angefallen. Gemäß Nr. 1000 Nr. 1 VV RVG entstehe die Gebühr für die Mitwirkung beim Abschluss eines Vertrages, durch den der Streit oder die Ungewissheit über ein Rechtsverhältnis beseitigt werde. In Kindschaftssachen entstehe die Gebühr gemäß Nr. 1003 Anm. Abs. 2 Alt. 2 VV RVG auch für die Mitwirkung an einer Vereinbarung, über deren Gegenstand nicht vertraglich verfügt werden könne, wenn hierdurch eine gerichtliche Entscheidung entbehrlich wird oder die Entscheidung der getroffenen Vereinbarung folgt. Erforderlich sei daher ein Vertrag oder - im Fall der fehlenden Verfügungsbefugnis über den Verfahrensgegenstand - eine gemeinsame Empfehlung für die Regelung des Verfahrensgegenstandes an das Gericht. Nicht ausreichend seien demgegenüber eine Beendigung des Rechtsstreits durch Anerkenntnis oder Verzicht im Sinn von Nr. 1000 Anm. Abs. 1 VV RVG oder eine einseitige Erledigungserklärung ohne vorausgehende Einigung.

Hingegen liege eine Einigung im kostenrechtlichen Sinn vor, wenn sich die Eltern vor einer Erledigungserklärung darüber verständigt hätten, dass dem einen Elternteil eine umfassende Sorgerechtsvollmacht erteilt werde und es deshalb künftig bei der gemeinsamen elterlichen Sorge verbleiben solle. So liege es auch hier. Aus dem ausweislich des Verhandlungsprotokolls erfolgten Ablauf der mündlichen Verhandlung ergebe sich, dass die Beteiligten sich vor der Abgabe der Erledigungserklärungen darüber geeinigt hatten, dass es aufgrund der Erteilung der Vollmacht bei der gemeinsamen elterlichen Sorge bleiben solle. Damit hätten sie einen Vertrag über den Verfahrensgegenstand geschlossen, der sich nicht lediglich auf ein Anerkenntnis oder einen Verzicht beschränke. Dass die Eltern eine Einigung im kostenrechtlichen Sinne erzielt hätten, werde zudem dadurch bestätigt, dass die verhandlungsführende Richterin ausdrücklich im Protokoll festgehalten habe, dass aufgrund der Einung der Beteiligten und der Erteilung der Vollmacht von einer vergleichsweisen Regelung ausgegangen werde.

Praxishinweis

Die berichtete Entscheidung zeigt, dass bei einer Verfahrensbeendigung durch überstimmende Erledigungserklärungen dem Sitzungsprotokoll entscheidende Bedeutung zukommt. Wird nämlich nicht lediglich eine Klagrücknahme protokolliert ohne sonstige Vereinbarung oder ein Anerkenntnis, entsteht in aller Regel die Einigungsgebühr (Klees in Mayer/Kroiß, RVG, 8. Aufl. 2021, VV 1000 Rn. 45). Im berichteten Fall ergab sich aus dem Sitzungsprotokoll, dass sich die Beteiligten über den Verfahrensgegenstand geeinigt hatten (vgl. in diesem Zusammenhang aber auch OLG Celle, Beschluss vom 08.04.2013 - 10 WF 105/13, BeckRS 2013, 14461 m. Anm. Mayer FD-RVG 2013, 350772).

OLG Braunschweig, Beschluss vom 19.06.2023 - 1 WF 65/23 (AG Braunschweig), BeckRS 2023, 15757