NJW: Für welche Fälle soll die bisher nur von der Finanzverwaltung genutzte Identifikationsnummer künftig auch von anderen Behörden genutzt werden?
Lewinski: Es gibt etwa 200 Register der Öffentlichen Hand, in der Daten gespeichert werden. In der Anlage des nun geplanten IDNrG (Identifikationsnummerngesetz) sind 56 Register aufgelistet, für die die neue Identifikationsnummer genutzt werden soll. Sicherlich aber ist geplant und konsequent, diese Liste noch zu erweitern. Es entspricht der Logik einer solchen vereinheitlichenden Nummer, dann auch umfassend eingesetzt zu werden.
NJW: Wie setzt sich die Nummer eigentlich zusammen? Und ist gewährleistet, dass es keine Datenzwillinge gibt?
Lewinski: Die insgesamt elfstellige Nummer setzt sich aus einer zufälligen Zahlenfolge zusammen, die keine Merkmale des Betroffenen enthält oder auf ihnen beruht. Sie ist eine Zufallszahl, bei der die Ziffern so verwürfelt sind, dass auch keine "Vanity-Nummer" entstehen kann. Und dann hat sie noch eine Prüfziffer. Bei der Einführung der Steueridentifikationsnummer freilich hatte es nach Zeitungsberichten Doppelvergaben gegeben, die aber wohl nicht auf einem Systemfehler, sondern auf menschlichem Versagen beruhten. Bei der (Um-)Nutzung der Steueridentifikationsnummer als allgemeine Identifikationsnummer sind diese Kinderkrankheiten also bereits ausgestanden.
NJW: In welchem Kontext zu anderen Gesetzen für die Digitalisierung der Verwaltung (E-Government) steht das Vorhaben?
Lewinski: Die Registermodernisierung erfasst eine große Anzahl von Registern und muss mit deren gesetzlichen Grundlagen vertaktet werden. Das Herz des Vorhabens ist das IDNrG, das wiederum auf § 139b AO aufsetzt. In der Abgabenordnung ist die Steuer-Identifikationsnummer geregelt, die durch das Registermodernisierungsgesetz zur allgemeinen Identifikationsnummer werden soll. So sollen dann Daten durch den sogenannten Portalverbund zwischen den Verwaltungen von Bund und Ländern gepumpt werden, der durch das OZG (Onlinezugangsgesetz) geschaffen wurde (wenngleich noch nicht umfänglich in Betrieb gegangen).
NJW: Bringt das Gefahren für den Datenschutz bzw. das Recht auf informationelle Selbstbestimmung?
Lewinski: Die Identifikationsnummer rührt an der Urangst der Datenschützer vor einer "Vollverdatung". Diese Suppe von Bedenken kann man noch nachwürzen mit den Plänen einer Reichspersonalnummer aus der NS-Zeit und der Personenkennziffer in der DDR. Und darin schwimmt auch ein wahrer Kloß: Zwar sind Personenkennzeichen als solche persönlichkeitsrechtlich ziemlich trivial; sie sind aber der Schlüssel zu gehaltvollen Informationen über eine Person. Und nicht nur irgendein Schlüssel, sondern der Generalschlüssel. Anhand von Personenkennziffern können umfassende Persönlichkeitsprofile erstellt werden.
NJW: Was ist daran problematisch?
Lewinski: Das ist in der Tat der Kern der gegenwärtigen Debatte. Nicht die Identifikationsnummer ist der eigentlich zu hütende Schatz, sondern die Persönlichkeit bzw. deren datenbankmäßiges Abbild, das Persönlichkeitsprofil. Ein solches Profil besteht aus einer Vielzahl von Einzelinformationen über eine Person, es ist aber in deren Verknüpfung größer als die Summe der Einzeldaten. Und heute sind es auch nicht mehr nur die Verknüpfungen der Datensätze, die man mit Sorge betrachten kann. Sondern im Zeitalter von Big Data können Datensätze mit Datensätzen anderer korreliert werden, was dann noch Aussagen über den Einzelnen in Bezug auf eine Personengesamtheit ermöglicht. Man kann also in der Profilerstellung eine Bedrohung in zweierlei Hinsicht sehen: einmal die Ermöglichung umfassender Profile und damit der Einblick in die Persönlichkeit als die Essenz des Individuums. Und dann die Abgleichbarkeit der Profile, die gerade umgekehrt zur Entindividualisierung und zu einer Vermassung führen kann.
NJW: Kann sich der Einzelne dagegen rechtlich wehren?
Lewinski: Der Rechtsschutz allgemein und im Datenschutzrecht im speziellen wird in Deutschland sehr von der individuellen Rechtsverletzung her gedacht. Damit bleiben systemische Fragestellungen eher unterbelichtet - das Problem vom Wald, den man vor lauter Bäumen nicht sieht. Kollektive Rechtsschutzmöglichkeiten etc. sind im deutschen Recht selten und, soweit sie durch die DS-GVO eingeführt wurden, noch recht unerprobt.
NJW: Das BVerfG hat mehrfach, etwa im Volkszählungsurteil, Vorbehalte gegen eine Durchnummerierung der Bevölkerung geäußert. Weshalb?
Lewinski: Karlsruhe geht es sehr stark um den Schutz der Autonomie des Einzelnen. Diese Autonomie ist natürlich nicht unmittelbar durch die Zuteilung einer Identifikationsnummer betroffen, wohl aber durch die beiden eben genannten Aspekte: Durchleuchtung der Individualität und Vermassung durch Verdatung. In der Rechtsprechung hatte das seinen Ausdruck darin gefunden, dass die Bildung von Persönlichkeitsprofilen verfassungsrechtlich gesperrt sei.
NJW: Ist diese Rechtsprechung auf die Identifikationsnummer übertragbar?
Lewinski: Ja, insoweit die Bildung von Persönlichkeitsprofilen die Schranken-Schranke für informationelle Eingriffe bildet, auch auf der systemischen Ebene.
NJW: Welche Vorteile winken den Betroffenen durch eine Identifikationsnummer?
Lewinski: Wie bei einer smarten Internetplattform müssen nicht bei jeder kleinen Interaktion mit dem Staat alle Daten immer wieder eingegeben werden. In den 1970 er Jahren, als der Innenminister noch von der FDP kam, hatte man das in den Slogan gepackt: "Die Daten sollen laufen, nicht der Bürger." Heute heißt das schick und denglisch "Once-only-Grundsatz". Tatsächlich würde das wiederholte Ausfüllen vieler Milliarden Formulare entfallen; im Rahmen der Gesetzesfolgenabschätzung wird die volkswirtschaftliche Ersparnis auf einen Milliardenbetrag beziffert.
NJW: Bürger sollen selbst überprüfen können, welche Behörden welche Informationen über sie miteinander austauschen. Mindert das die Bedenken?
Lewinski: Transparenz ist nach der Logik des Datenschutzrechts immer gut. Allerdings muss sich erst in der Praxis erweisen, ob das Datencockpit nach § 9 OZG - nicht einmal jeder Jurist kennt dieses Gesetz - leicht auffindbar, einfach verständlich und intuitiv zu bedienen sein wird. Und hierbei kommt es nicht nur auf eine Nutzerschnittstelle (User-Interface) von der Güte des Datenschutz-Dashboards eines großen Suchmaschinenanbieters an, sondern auch, die dahinterstehenden über fünfzig Dienste und Datenbanken verständlich zu machen. Ob hierbei der Standard von Art. 12 I DS-GVO erreicht wird, beobachten alle Interessierten sicherlich mit Interesse.
NJW: Ihr Fazit?
Lewinski: Im Parlament muss debattiert und entschieden werden, ob und wie weit man den Datenschutz bei der Registermodernisierung absolut setzen will. Dass die politische Entscheidung für eine Hochpriorisierung von Datenschutz auch Kosten und Risiken birgt, sehen wir an der Corona-Warn-App und werden wir sehen, wenn die US-Internetgiganten ihre Geschäftsmodelle auf eine monetäre Bepreisung umstellen (müssen), wenn und weil die Nutzer aufgrund der Durchsetzung des DS-GVO nicht mehr mit ihren Daten bezahlen können und dürfen. .
Prof. Dr. Kai von Lewinski lehrt seit 2014 Öffentliches Recht, Medien- und Informationsrecht an der Universität Passau. Zuvor war er Wissenschaftlicher Leiter bei der (Bundes-)Stiftung Datenschutz. Nach dem Studium der Rechtswissenschaften und später auch der Geschichte in Heidelberg, Berlin (FU) und Freiburg sowie dem Referendariat in Berlin, Speyer und London war er zunächst Anwalt in einer internationalen Großkanzlei. Im Anschluss an seine Tätigkeit als Wissenschaftlicher Assistent an der Humboldt-Universität wurde er dort mit dem Thema "Öffentlichrechtliche Insolvenz und Staatsbankrott" habilitiert.