Urteilsanalyse
Eingeschränkte Anwaltshaftung im rechtsschutzversicherten Mandat
Urteilsanalyse
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In Anwaltsmandaten, in denen die Abgrenzung zwischen äußerst geringen Erfolgsaussichten und völliger Aussichtslosigkeit schwierig ist, stellt es nach einem Urteil des Oberlandesgerichts München keine anwaltliche Pflichtverletzung dar, wenn der Anwalt die Frage einer Klageerhebung in Abstimmung mit dem Mandanten von einer Deckungszusage des Rechtsschutzversicherers abhängig macht.

19. Feb 2021

Anmerkung von
Rechtsanwalt Holger Grams, Kanzlei GRAMS Rechtsanwälte, Fachanwalt für Versicherungsrecht, München

Aus beck-fachdienst Versicherungsrecht 2/2021 vom 28.01.2021

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VVG § 86; BRAO § 43a IV

Sachverhalt

Die Klägerin, ein Rechtsschutzversicherer, nimmt einen Rechtsanwalt aus nach § 86 VVG übergegangenem Recht ihres Versicherungsnehmers auf Schadensersatz wegen unzureichender anwaltlicher Beratung in Anspruch. Der Versicherer macht geltend, der Anwalt habe für seinen Mandanten, den Versicherungsnehmer der Klägerin, einen aussichtslosen Prozess geführt, für den die Klägerin Deckungszusage erteilt hatte, und begehrt den Ersatz der Prozesskosten, weil der Anwalt dem Mandanten nicht von der Prozessführung abgeraten habe. Bei dem Vorprozess handelte es sich um eine Unterlassungs- und Schadensersatzklage gegen einen Staatsanwalt (sic!), der gegen den Mandanten des Anwalts ein Ermittlungsverfahren eingeleitet hatte, das nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt wurde.

Der Anwalt macht geltend, er habe den Mandanten darüber aufgeklärt, dass eine persönliche Haftung des Staatsanwalts grundsätzlich nach § 839 BGB in Verbindung mit Art. 34 GG ausgeschlossen sei und ein Anspruch allenfalls auf ein schikanöses Verhalten des Staatsanwalts gestützt werden könne. Er habe auch von der Einholung einer Deckungszusage bei der Rechtsschutzversicherung abgeraten. Der Mandant habe aber auf der Einholung der Deckungszusage bestanden. Als diese von der jetzigen Klägerin erteilt wurde, habe er dem Anwalt Klageauftrag erteilt.

Die Klage gegen den Staatsanwalt wurde abgewiesen, für eine Berufung verweigerte die Klägerin die Deckungszusage. Das Landgericht gab der Regressklage des Versicherers gegen den Anwalt statt. Auf die Berufung des Anwalts wurde die Klage abgewiesen.

Rechtliche Wertung

Grundsätzlich seien an die anwaltliche Belehrungspflicht gegenüber einem rechtsschutzversicherten Mandanten keine geringeren Anforderungen zu stellen als an einen ohne Rechtsschutzversicherung, so das OLG. Hinsichtlich der anwaltlichen Beratungspflichten gegenüber dem Mandanten sei zu differenzieren zwischen einer nur risikobehafteten und einer von Anfang an aussichtslosen Rechtsverfolgung (in letzterem Fall besteht eine Abratepflicht). Eine Belehrung, dass die Klage gegen den Staatsanwalt völlig aussichtslos sei, habe der Anwalt nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht erteilt.

Der Anwalt habe aber andererseits als Interessenvertreter des Mandanten dessen Wunsch nach einer Rechtsverfolgung (hier: gegen den Staatsanwalt persönlich wegen angeblich schikanösen Verhaltens) zu berücksichtigen und soweit möglich umzusetzen. In einer solchen Konstellation stelle es keine anwaltliche Pflichtverletzung dar, beim Rechtsschutzversicherer des Mandanten wegen einer Kostendeckungszusage anzufragen. Dem Mandanten könne bei diesem Vorgehen von vornherein kein Schaden entstehen. Gerade bei Fällen, in denen die Abgrenzung zwischen äußerst geringen Erfolgsaussichten und völliger Aussichtslosigkeit schwierig sei, sei es zulässig, die Frage einer Klageerhebung in Abstimmung mit dem Mandanten von einer Deckungszusage des Versicherers abhängig zu machen.

Entscheidend sei, dass der Anwalt ausschließlich die Interessen seines Mandanten zu vertreten habe und daher z. B. kostenwahrende Gesichtspunkte der Beurteilung des Rechtsschutzversicherers bei der Prüfung der Deckungszusage überlassen dürfe. Die Beurteilung der Erfolgsaussichten einer Rechtsverfolgung obliege im Rahmen der Erteilung der Deckungszusage allein dem Versicherer. Der Mandant und Versicherungsnehmer und damit auch sein Anwalt hätten gegenüber dem Versicherer keine Aufklärungspflichten in rechtlicher Hinsicht. Daher sei hier bereits eine anwaltliche Pflichtverletzung zu verneinen.

Zudem fehle es an einer – hypothetischen – Kausalität des vom Versicherer gegen den Anwalt geltend gemachten Schadens. Das Landgericht habe zu Unrecht aus der Zeugenaussage des Mandanten in erster Instanz den Schluss gezogen, dieser hätte bei einem Abraten von der Klage gegen den Staatsanwalt keinen Klageauftrag erteilt. Dies habe der Zeuge so nicht ausgesagt. Gerade bei der Frage nach einem hypothetischen Verhalten eines Mandanten sei das Vorliegen einer Rechtsschutzdeckung von Bedeutung. Es gebe keinen Grund für einen Mandanten, von einer Deckungsanfrage bei seiner Versicherung abzusehen. Dies sei auch nicht unredlich (a.A. OLG Düsseldorf, Urteil vom 03.06.2013 - 9 U 147/12, BeckRS 2013, 10654, m. krit. Besprechung von Grams, FD-VersR 2013, 348085).

Zudem fehle es überhaupt an einem Schaden des Mandanten. Dieser habe den Anwalt nur unter der Bedingung der Erteilung einer Deckungszusage durch den Versicherer beauftragt. Da er durch die Deckungszusage hinsichtlich der Kosten einen Freistellungsanspruch gegen den Versicherer erlangt habe, sei es bei ihm zu keiner Zeit zu einem Vermögensschaden gekommen.

Praxishinweis

Die Zahl der Fälle, in denen Rechtsschutzversicherer nach negativem Ausgang eines von ihnen finanzierten Prozesses die Prozesskosten durch eine auf § 86 VVG gestützte Regressklage gegen den Anwalt ihres Versicherungsnehmers wieder hereinholen wollen, ist in den letzten Jahren stark angestiegen. Die obergerichtliche Rechtsprechung hat sich dabei zunehmend zu Lasten der Anwälte verfestigt (s. Übersichten über die Rechtsprechung von Dallwig, r+s 2020, 181, sowie – mit zu Recht kritischer Bewertung – von Weinbeer, AnwBl. 2020, 26). Weinbeer zitiert einen nicht namentlich genannten Richter, der sogar von einem «Geschäftsmodell» der Rechtsschutzversicherer gesprochen habe. Das Urteil des OLG München setzt sich mit der bisherigen Rechtsprechung berechtigterweise kritisch auseinander.

Rechtsschutzversicherer haben nach § 128 VVG das Recht, eine Kostendeckung wegen fehlender Erfolgsaussichten abzulehnen. Dazu müssten sie die Erfolgsaussichten prüfen. Dem können sie sich nicht mit dem stillen Vorbehalt entziehen, im Misserfolgsfall den Anwalt des Versicherungsnehmers in Regress zu nehmen.

Zwischen dem Anwalt und dem Versicherer besteht keine Vertragsbeziehung. Das Mandat entfaltet auch keine Schutzwirkung zugunsten des Rechtsschutzversicherers (OLG Koblenz, Urteil vom 16.02.2011 – 1 U 358/10, NJW-RR 2011, 761). Der Versicherer kann Ansprüche nur über die cessio legis nach § 86 VVG erheben. Diese Voraussetzung wurde bislang in der Rechtsprechung problemlos bejaht. Das OLG München weist aber zu Recht darauf hin, dass dann, wenn der Mandant einen kostenauslösenden Auftrag an den Anwalt nur unter der Bedingung einer Kostendeckungszusage erteilt, gar kein Vermögensschaden entsteht, der auf den Versicherer übergehen kann (ebenso Cornelius-Winkler, r+s 2020, 432).

Wie das OLG München – aus Anwaltssicht höchst erfreulich – bestätigt, muss und darf der Anwalt ausschließlich die Interessen seines Mandanten vertreten (vgl. § 43a Abs. 4 BRAO). Zwar muss der Anwalt, wenn er die Korrespondenz mit der Rechtsschutzversicherung führt, die Obliegenheiten des Mandanten und Versicherungsnehmers dem Versicherer gegenüber beachten, insbesondere die zur vollständigen und wahrheitsgemäßen Unterrichtung – aber nur über die tatsächlichen Umstände des Falles (vgl. § 17 I b ARB 2010). Zu einer rechtlichen Bewertung gegenüber dem Versicherer ist der Versicherungsnehmer nicht verpflichtet, insbesondere nicht zu seinen Ungunsten. Für den Anwalt des Versicherungsnehmers kann nichts anderes gelten.

Die Entscheidung des OLG München ist rechtskräftig. Die Revision wurde nicht zugelassen und die Wertgrenze für eine Nichtzulassungsbeschwerde nicht erreicht.

OLG München, Urteil vom 25.11.2020 - 15 U 2415/20 Rae (LG München I), BeckRS 2020, 39342