Interview
Einfrieren russischen Vermögens
Interview
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Die Europäische Union will Russland mit scharfen Sanktionen zum Einstellen der Kampfhandlungen gegen die Ukraine bewegen. Dabei werden unter anderem auch Vermögenswerte russischer Staatsbürger eingefroren. Wir haben Rechtsanwalt Dr. Stephan Fischer zu den Rechtsgrundlagen des Einfrierens, den Auswirkungen auf die jeweiligen Vermögensgegenstände und den Möglichkeiten von Beschlagnahmen befragt.

 

14. Apr 2022

NJW: Im Zusammenhang mit den EU-Sanktionen gegen Russland wird immer wieder über das Einfrieren von Vermögen gesprochen. Was heißt das, und nach welchen Vorschriften richten sich diese Maßnahmen?

Fischer: EU-Sanktionen gelten nach deren Inkrafttreten in Deutschland unmittelbar. In Art. 2 I der Verordnung (EU) Nr. 269/2014 des Rates vom 17. 3.2014 ist geregelt, dass „sämtliche Gelder und wirtschaftliche Ressourcen“ gelisteter Personen oder Unternehmen eingefroren werden. Unter dem Einfrieren von wirtschaftlichen Ressourcen, also von Vermögenswerten jeder Art, ist in Kurzform die Verhinderung der Verwendung solcher Ressourcen für den Erwerb von Geldern, Waren oder Dienstleistungen zu verstehen. Beim Einfrieren von Geldern geht es im Grundsatz um die Verhinderung jeglicher Form der Bewegung, des Transfers, der Veränderung und der Verwendung von Geldern sowie des Zugangs zu oder eines Einsatzes von ihnen.

NJW: Welche rechtlichen Folgen haben derartige Maßnahmen?

Fischer: Sie führen zu Verfügungsverboten. So ist es den gelisteten russischen Personen oder Unternehmen beispielsweise untersagt, in ihrem Eigentum stehende und in der EU befindliche Ressourcen zu veräußern oder zu belasten. Die gelisteten Personen haben insbesondere auch keinen Zugriff auf ihre Konten innerhalb der EU. Solche Verfügungsverbote erfassen darüber hinaus auch die Vermögenswerte, die von den gelisteten Personen oder Unternehmen kontrolliert werden. Dies hat daher eine direkte Auswirkung auf die Vermögenswerte nicht gelisteter Unternehmen, die unter der Kontrolle einer sanktionierten Person stehen.

NJW: Welche Folgen hat das Einfrieren für das Eigentum an dem betroffenen Gegenstand bzw. für die Rechte Dritter, die daran bestellt wurden?

Fischer: Die gelisteten Personen und Unternehmen bleiben weiterhin Eigentümer der eingefrorenen Vermögenswerte. Wie soeben ausgeführt, gehen hiermit lediglich Verfügungsverbote einher. Somit bleiben auch Rechte Dritter grundsätzlich bestehen. Die zuständige Behörde kann dann im Einzelfall die Freigabe von eingefrorenen Geldern oder wirtschaftlichen Ressourcen für Zahlungen genehmigen, die von den gelisteten Personen oder Unternehmen gegenüber Dritten geschuldet werden, sofern damit nicht gegen die sogenannten Bereitstellungsverbote im Sinne von Art. 2 II der eingangs genannten Verordnung verstoßen wird. Geschuldete Zahlungen für bereits erbrachte Leistungen können also gefordert werden, aber die Gegenleistung zu Gunsten der gelisteten Person darf nicht erbracht werden.

NJW: Jüngst war zu lesen, dass in Deutschland eingefrorenes Vermögen russischer Oligarchen von diesen weiter genutzt werden könne. Ist das so? Oder anders gefragt: Was „darf“ der Eigentümer mit seiner Yacht, die in einem deutschen Hafen festgesetzt wurde, noch machen?

Fischer: Eine private Nutzung der wirtschaftlichen Ressourcen bleibt grundsätzlich möglich, solange damit kein Einkommen erzielt werden soll. Die Yacht eines russischen Oligarchen kann also im Hafen liegenbleiben; ihre Vermietung wäre allerdings nicht erlaubt. Zu denken ist beispielsweise auch an eine Villa, die von einem gelisteten Oligarchen weiterhin zu privaten Zwecken bewohnt werden kann. Dagegen würde der Verkauf der Immobilie gegen das Verfügungsverbot verstoßen.

NJW: Inwiefern unterscheidet sich das Einfrieren von der Beschlagnahme?

Fischer: Mit einer Beschlagnahme wird das Ziel verfolgt, Verstöße gegen die Verfügungsverbote mit Blick auf die eingefrorenen Vermögenswerte zu verhindern. Ob eine Beschlagnahme zulässig ist, hängt allerdings vom Recht des jeweiligen EU-Mitgliedstaats ab. Deutsche Behörden sind nicht automatisch zur Vornahme einer Beschlagnahme berechtigt. Erst wenn konkrete Anzeichen dafür bestehen, dass eine gelistete Person etwas tut, das gegen das Verfügungsverbot verstößt, kann von den zuständigen Behörden zur Sicherheit eine Beschlagnahme vorgenommen werden.

NJW: Welche Möglichkeiten hat der Betroffene, sich gegen eine solche Maßnahme zu wehren?

Fischer: Der Beschluss der EU darüber, ob beispielsweise ein russischer Oligarch auf die Sanktionsliste der bereits genannten Verordnung gesetzt wird, muss immer auch die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit wahren. Eine vorherige Anhörung erfolgt in der Regel nicht. Wenn aber die jeweils gelistete Person der Ansicht ist, dass das Einfrieren ihrer Vermögenswerte im Einzelfall nicht gerechtfertigt ist, und in diesem Rahmen etwa Beurteilungsfehler gemacht worden sind, kann eine Klage beim zuständigen EU-Gericht eingereicht werden.

NJW: Wer kontrolliert die Um- und Durchsetzung dieser Sanktionen? Und vor allem wie?

Fischer: Zunächst ist das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) zu nennen, das die Einhaltung der vor allem technologiebezogenen Sanktionen überwacht und Ausfuhren freigeben kann. Die Einhaltung der Sanktionsvorgaben durch Unternehmen wird oft auch Gegenstand der Zollprüfungen sein, und Verstöße gegen Sanktionen können strafrechtlich verfolgt werden. Zur Kontrolle der Um- und Durchsetzung der EU-Sanktionen wurde von der Bundesregierung außerdem eine Taskforce eingerichtet. Aufgrund der großen Bandbreite an EU-Sanktionen ist eine fortlaufende Koordination zwischen der Bundesregierung und den Ländern sowie den zuständigen Behörden unabdingbar. Insbesondere auch die zur Einhaltung der EU-Sanktionen verpflichteten Banken spielen dabei eine zentrale Rolle, damit der Zugriff auf oder Verfügungen über eingefrorene Gelder oder Konten durch die gelisteten Personen verhindert werden. Für die zunächst erforderliche Ermittlung der betroffenen Konten kann beispielsweise auf bestimmte Software zurückgegriffen werden. Gegenüber der Bundesbank bestehen in diesem Zusammenhang auch Berichtspflichten.

NJW: Kann die EU-Kommission in die Überwachung der Sanktionen eingreifen?

Fischer: Ja, das ist möglich. Dafür hat sie auf EU-Ebene die sogenannte Taskforce „Freeze and Seize“ etabliert. Teil dieser Taskforce sind neben der Kommission die jeweiligen nationalen Kontaktstellen der EU-Mitgliedstaaten sowie verschiedene Behörden innerhalb der EU, wie zum Beispiel Europol. Auch über diese Taskforce, die insbesondere eine zentrale Koordinierung und Absprache mit den einzelnen Mitgliedstaaten zu den bereits getroffenen oder noch zu treffenden Maßnahmen ermöglicht, soll unter anderem das Einfrieren der Vermögenswerte der gelisteten russischen Personen und Unternehmen gezielt sichergestellt werden. Zudem wird hierüber auch die internationale Zusammenarbeit der EU mit anderen Ländern in diesem Bereich maßgeblich gesteuert.

NJW: Die Betroffenen dürfte es wohl am meisten interessieren, ob und wie das eingefrorene Vermögen auch wieder „aufgetaut“ werden kann. Was können Sie uns dazu sagen?

Fischer: Tatsächlich ist denkbar, dass eingefrorene Gelder oder wirtschaftliche Ressourcen sprichwörtlich wieder aufgetaut werden. Das ist aber grundsätzlich nur dann der Fall, wenn die betroffene Person von der Sanktionsliste gestrichen wird oder die relevante Verordnung generell nicht mehr in Kraft ist. Daher dürfte es im wirtschaftlichen Interesse der betroffenen Oli­garchen liegen, dass der Krieg in der Ukraine beendet und die Sanktionen wieder aufgehoben werden. 

Bereits während des Jura-Studiums an der ­Universität Freiburg i. Br. entdeckte Dr. Stephan Fischer seine Vor­liebe für das Wirtschaftsrecht. Seine Dissertation, die er im Anschluss an das Erste Staatsexamen schrieb, widmet sich der Business Judgment Rule. Während des Referendariats sammelte er erste Erfahrungen in Großkanzleien in London und München; seit Januar 2020 ist er als Rechtsanwalt im Freiburger Büro von Friedrich Graf von Westphalen tätig und berät unter anderem im Handels- und Gesellschaftsrecht sowie im Internationalen Wirtschaftsrecht. Seine Tätigkeit umfasst daneben insbesondere auch Zoll- und Außenwirtschaftsrecht.

Interview: Dr. Monika Spiekermann.