Urteilsanalyse
Eine Jacke kann ein gefährliches Werkzeug i.S.d. § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB sein
Urteilsanalyse
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Für die Qualifizierung eines Gegenstandes als gefährliches Werkzeug i.S.d. § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB kommt es nach einem Urteil des KG maßgeblich auf den gefährlichen Gebrauch eines solchen Werkzeuges und nicht auf dessen objektive Beschaffenheit an.

17. Nov 2022

Anmerkung von Rechtsanwalt, Fachanwalt für Strafrecht, Dr. Manuel Lorenz, Knierim & Kollegen Rechtsanwälte, Mainz

Aus beck-fachdienst Strafrecht 23/2022 vom 17.11.2022

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Sachverhalt

Das AG verurteilte den A wegen gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Nach den getroffenen Feststellungen schlug und würgte der A die G, seine damalige Lebensgefährtin, die sich zuvor von ihm getrennt hatte, in deren Wohnung bis zur Bewusstlosigkeit. Als sie das Bewusstsein wiedererlangte, trat er mit seinen mit Sportschuhen beschuhten Füßen auf Kopf, Bauch und Unterleib der G ein. Da Nachbarn an die Wohnungstür klopften, verließ der A zunächst die Wohnung, kehrte aber etwa 50 Minuten später wieder zurück, verschaffte sich mit dem entwendeten Wohnungsschlüssel Zutritt zur Wohnung und schlug der G so wuchtig in das Gesicht, dass mehrere Gesichtsknochen brachen. Als sie um Hilfe rief, presste der A seine Jacke auf ihr Gesicht, wodurch sie abermals für kurze Zeit das Bewusstsein verlor. Daraufhin ließ der A von der G ab und verließ die Wohnung. Durch die Misshandlungen erlitt die G neben den Knochenbrüchen im Gesicht, die operativ durch Einsetzen eines Metallimplantats behandelt werden mussten, ein Schädel-Hirn-Trauma ersten Grades, punktförmige Hauteinblutungen im Augenbereich sowie diverse Hämatome.

Gegen das Urteil legte die StA Berufung ein und beschränkte diese auf den Rechtsfolgenausspruch. Das LG verwarf die Berufung und führte aus, dass der Schuldspruch und die den Schuldspruch tragenden Feststellungen des AG infolge der wirksamen Berufungsbeschränkung bindend geworden sind. Weiter heißt es in dem Urteil unter anderem: Der A hat sich der gefährlichen Körperverletzung in zwei, zueinander im Verhältnis der Tatmehrheit stehenden Fällen schuldig gemacht (§§ 224 Abs. 1 Nr. 5, 53 StGB). Im Rahmen der Erörterung eines minderschweren Falls führte es zu den aus seiner Sicht zumessungsrelevanten Tatsachen unter anderem aus, dass straferschwerend zu bewerten war, dass der A die Geschädigte jeweils in die konkrete Gefahr des Todes gebracht hatte.

In der auf die Sachrüge gestützten Revision bemängelte die StA, dass das LG in seinen Strafzumessungserwägungen unter Missachtung der auch insoweit wirkenden Teilrechtskraft des amtsgerichtlichen Urteils lediglich § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB, nicht aber den vom AG angewandten § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB berücksichtigt hatte. Die Strafzumessung sei deswegen rechtsfehlerhaft erfolgt. Die Gesamtstrafenbildung genüge nicht den Anforderungen vertiefter Auseinandersetzung. Daneben rügt die Revision die Begründung der Strafaussetzung zur Bewährung, die im Widerspruch zu den Erwägungen des LG steht, mit denen es die Annahme eines minderschweren Falls verneint hat.

Entscheidung

Auf die Revision der StA wird das Urteil des LG Berlin mit den getroffenen Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des LG zurückverwiesen. Die zulässige Revision ist begründet.

Die Strafzumessung sei grundsätzlich Sache des Tatrichters. Ein Eingriff des Revisionsgerichts sei nur möglich, wenn die Zumessungserwägungen in sich fehlerhaft seien, von unzutreffenden Tatsachen ausgingen, das Tatgericht gegen rechtlich anerkannte Strafzwecke verstoße oder wenn sich die verhängte Strafe nach oben oder unten von ihrer Bestimmung, gerechter Schuldausgleich zu sein, so weit löse, dass sie nicht mehr innerhalb des dem Tatrichter eingeräumten Spielraums liege. Nur in diesem Rahmen könne eine Verletzung des Gesetzes nach § 337 Abs. 1 StPO vorliegen. Eine ins Einzelne gehende Richtigkeitskontrolle sei ausgeschlossen. In Zweifelsfällen müsse das Revisionsgericht die vom Tatgericht vorgenommene Bewertung bis an die Grenze des Vertretbaren hinnehmen. Dabei sei der Tatrichter nicht nur verfahrensrechtlich, sondern auch materiell-rechtlich verpflichtet, in den Urteilsgründen die für die Strafzumessung bestimmenden Umstände darzulegen. Die Bewertungsrichtung und das Gewicht der Strafzumessungstatsachen bestimme zwar in erster Linie das Tatgericht, dem hierbei von Rechts wegen ein weiter Entscheidungs- und Wertungsspielraum unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalls eröffnet sei. Jedoch müssten die für die Entscheidung maßgeblichen Tatsachen in den Urteilsgründen so dargestellt werden, dass dem Revisionsgericht eine Überprüfung in dem vorstehend dargelegten Umfang möglich sei.

Auf der Grundlage dieses eingeschränkten Prüfungsmaßstabs halte die Strafzumessung des LG der Revision nicht stand. Zutreffend weise die StA darauf hin, dass die Annahme des LG, der A habe sich in zwei tatmehrheitlichen Fällen nach § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB schuldig gemacht, unvollständig sei. Denn das AG habe zumindest die erste Tat erkennbar auch als gefährliche Körperverletzung mittels Verwendung eines gefährlichen Werkzeugs nach § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB bewertet. Daran sei auch das LG gebunden, denn die (Teil-) Rechtskraft erstrecke sich nicht nur auf die getroffenen Feststellungen, sondern auch auf ihre rechtliche Einordnung.

Dieser Fehler wirke sich auf die Strafzumessung aus. Das Tatgericht habe zu berücksichtigen, wenn der Täter mehrere Tatbestandsvarianten erfüllt habe. Dass das LG diesen Umstand in seine Würdigung einbezogen habe, könne nicht festgestellt werden. Die im Rahmen der Prüfung eines minder schweren Falls aufgeführten Gesichtspunkte, die das LG in seine Abwägung eingestellt habe, ließen lediglich erkennen, dass es sich mit dem Merkmal einer das Leben gefährdenden Behandlung auseinandergesetzt habe, nicht aber mit (strafschärfenden) Gesichtspunkten, die sich aus der Verwendung (auch) eines gefährlichen Werkzeugs ergeben hätten, weswegen der Senat ein bloßes Fassungsversehen ausschließe. Zudem ließen die getroffenen Feststellungen besorgen, dass das LG bei seiner Strafzumessung nicht ausreichend zwischen den beiden Taten differenziert, sondern seine Erwägungen zur Strafzumessung zu pauschal auf beide Taten angewendet habe.

Zur weiteren Sachbehandlung weise der Senat auf folgendes hin: Als gefährliches Werkzeug werde ein Gegenstand bezeichnet, der unter Berücksichtigung seiner objektiven Beschaffenheit und Art seiner Benutzung konkret geeignet ist, erhebliche körperliche Verletzungen herbeizuführen. Für die ganz hM komme es maßgeblich auf den gefährlichen Gebrauch eines solchen Werkzeuges und nicht zusätzlich auf dessen objektive Beschaffenheit an. Daran gemessen sei auch eine Jacke in der im amtsgerichtlichen Urteil festgestellten Verwendung als gefährliches Werkzeug zu qualifizieren. Fehlende Feststellungen zur objektiven Beschaffenheit der Jacke stünden dem nicht entgegen. Denn nach den Urteilsausführungen sei ihr Gebrauch (festes Drücken auf das Gesicht der Geschädigten) geeignet, erhebliche Verletzungen herbeizuführen (Atemnot und kurzfristiger Verlust des Bewusstseins).

Praxishinweis

Die Ausführungen des KG zur Einstufung einer Jacke als gefährliches Werkzeug gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB stellen sich als konsequente gerichtliche Rechtsfortbildung dar. Zwar gab es zuvor noch keine Entscheidung, die sich explizit mit der Frage beschäftigte, ob eine Jacke taugliches Tatmittel des § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB sein kann, jedoch wurden vergleichbare Fälle abgeurteilt, in denen die Gerichte wie auch in der vorliegenden Entscheidung auf die Gefährlichkeit der konkreten Art der Verwendung und nicht auf die objektive Beschaffenheit des Werkzeugs abstellten.

So stufte der BGH ein rein objektiv ungefährliches Kissen als gefährliches Werkzeug ein, da sich die Gefährlichkeit aus der konkreten Art der Verwendung (dem festen Pressen des Kissens auf das Gesicht) ergab (BeckRS 2014, 23010). Dadurch wurden dem Opfer erhebliche Verletzungen wie Atemnot und daraus resultierende Einblutungen im Gesicht sowie ein drohender Bewusstseinsverlust zugefügt.

In einer vergleichbaren Entscheidung wurde die Tauglichkeit einer Plastiktüte, die dem Opfer lediglich bis zur Nase über den Kopf gestülpt wurde, nur aus dem Grund verneint, dass das Atmen weiterhin durch den Mund möglich war. Jedoch legte auch hier der BGH denselben Maßstab zugrunde und stellte auf die konkrete Art der Verwendung ab (NStZ 2002, 594).


KG, Urteil vom 25.07.2022 - 161 Ss 93/21 (LG Berlin), BeckRS 2022, 29838