NJW-Editorial
Ein verwundbares Verfassungsorgan
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Die Nachbesetzung von Richterstellen am BVerfG scheint gegenwärtig reibungslos (obgleich verzögert) zu funktionieren. Die Gefahr einer Politisierung des Gerichts und seiner Demontage durch Gesetzesänderung bleibt gleichwohl latent bestehen. Eine Verfassungsänderung sollte dies beheben, findet Prof. Dr. Klaus Ferdinand Gärditz in unserem Editorial.

7. Dez 2023

Am 24.11.2023 hat der Bundesrat einstimmig den amtierenden Generalbundesanwalt Peter Frank als Nachfolger von Peter Müller zum Richter des BVerfG gewählt. Eine glanzvolle Personalentscheidung, die die Leistungsfähigkeit des politischen Wahlverfahrens belegt, den Versuchungen einer Politisierung auf Kosten von personeller Qualität und institutionellem Ansehen des Gerichts zu widerstehen. Ende gut, alles gut? Vielleicht nicht ganz, denn die Polarisierungen und Verschiebungen in der Parteienlandschaft gefährden den traditionsreichen Comment politischer Selbstverständlichkeiten. Dazu gehört eine bislang recht gut funktionierende Praxis, das BVerfG im parteiübergreifenden Interesse personell ausgewogen zu besetzen und handlungsfähig zu halten. Verfassungsgerichte sind vor allem dort vulnerabel, wo es um weiche Faktoren wie Besetzung der Richterbank, Wahlverfahren und Amtszeiten geht. Zuletzt hat Andreas Voßkuhle (Die Zeit vom 16.11.2023, S. 8) eindringlich hierauf hingewiesen.

Die wirkungsvollsten Barrieren gegen eine politisierte Besetzung des BVerfG waren bislang die Wahl der Richterinnen und Richter mit Zweidrittelmehrheit, die Begrenzung der Richterbank auf acht Köpfe pro Senat und der Ausschluss der Wiederwahl nach einer gesetzlich begrenzten Amtsperiode. Keine dieser für die praktische Arbeit entscheidenden Parameter ist verfassungsrechtlich garantiert. Und abgesehen von der qualifizierten Wahlmehrheit war auch unter dem Grundgesetz früher schon Abweichendes vorgesehen: Senate mit zwölf Richterinnen und Richtern, was das Gericht heute arbeitsunfähig machen würde; Wiederwahl; Amtszeiten bis zur Pensionsgrenze. Die Wahl mit einer Zweidrittelmehrheit macht es erforderlich, sich überparteilich auf Persönlichkeiten zu verständigen, die akzeptabel sind. Dass dies immer auch das Risiko birgt, von Sperrminoritäten in Geiselhaft genommen zu werden, spielte bislang glücklicherweise keine Rolle.

Vieles spricht dafür, wenigstens diese Kernelemente der institutionellen Gerichtsverfas­sung des BVerfG im Grundgesetz festzuschreiben und damit der Disposition einfacher Mehrheiten zu entziehen. Man hat aus Desinteresse und Opportunismus zu viel Zeit vergeudet, das Gericht auch für demokratische Krisen wetterfest zu machen. Solange man Zweidrittelmehrheiten für eine Verfassungsänderung mobilisieren kann, sollte man diese nutzen. Eine funktionierende Verfassungsgerichtsbarkeit dient hierbei allen politischen Kräften, ganz besonders denjenigen, die gerne gegen eine liberale Verfassungsgerichtsbarkeit polemisieren, sie zugleich aber bei jedem Anlass anrufen.

Prof. Dr. Klaus Ferdinand Gärditz lehrt Öffentliches Recht an der Universität Bonn.