Urteilsanalyse
Eigentumsschutz bei verunfallter Ware
Urteilsanalyse
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Der zu den Fällen des „Containerns“ in der Rechtsprechung aufgestellte Grundsatz, dass die Wertlosigkeit einer Sache als solche Dritten nicht das Recht zur Wegnahme gewährt, gilt auch für das (leicht verderbliche) Transportgut eines verunfallten Lastkraftwagens, so das Oberlandesgericht Zweibrücken.

12. Sep 2022

Anmerkung von Prof. Dr. Annika Dießner, HWR Berlin und Of Counsel bei Ignor & Partner GbR, Berlin

Aus beck-fachdienst Strafrecht 18/2022 vom 08.09.2022

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Sachverhalt

Im Jahr 2019 verunglückt ein Sattelschlepper auf der Autobahn, der 1.100 Käsekartons à 20 kg in einem Kühlcontainer transportiert. Der Fahrer des Lkw wird durch den Unfall verletzt und in ein Krankenhaus gebracht. Infolge des Unfalls ist der Kühlcontainer aufgebrochen; einige Kartons sind auf die Autobahn gefallen und beschädigt, andere befinden sich noch unbeschädigt im Container. Unfallbedingt ist die Kühlkette unterbrochen und witterungsbedingt droht der schnelle Verderb der Ware. Die Autobahnpolizei (Polizeibeamte A und B) erscheint und sichert die Unfallstelle. Die Eigentümerin des Inhalts des Containers beauftragt ein Unternehmen mit der Bergung der Ware. Nachdem die Polizei die Sicherungsmaßnahmen abgeschlossen hat, fährt A mit B mit einem Polizeitransporter in die Nähe der Unfallstelle und fordert einen Mitarbeiter der vor Ort befindlichen Bergungsfirma auf, ihm mehrere Kartons zu reichen, die sich noch unbeschädigt im Kühlcontainer befinden. Der Mitarbeiter übergibt ihm daraufhin mindestens sechs dieser Kartons im Gesamtwert von 369 Euro. B schichtet die Kartons in den Polizeitransporter, und A transportiert sie zur Dienststelle. Zwei der Kartons stellt A den Kollegen zum Verzehr im Sozialraum zur Verfügung, einen Karton erhält B, der Verbleib der restlichen Kartons kann nicht aufgeklärt werden. A hatte bei dem gesamten Geschehen eine mit Munition geladene Dienstwaffe getragen.

Am folgenden Tag sichtet der Havariekommissar die Ware, die sich außerhalb bzw. innerhalb des Kühlcontainers befindet. Die Eigentümerin entscheidet in der Folge, dass die beschädigte Ware vernichtet werden soll, ein anderer Teil soll veräußert werden. Das AG verurteilt den A wegen Diebstahls mit Waffen zu einer Geldstrafe und ordnet die Einziehung an. A legt Berufung ein und wird aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Die Kammer billigt A einen zum Vorsatzausschluss führenden Irrtum über die Rechtswidrigkeit der Zurechnung zu. A sei zwar war bewusst gewesen, dass der Käse sich im Eigentum eines anderen befand. Er habe allerdings mit der Überzeugung gehandelt, dass der Eigentümer der Kartons angesichts der Umstände des Einzelfalls kein Interesse mehr an der Ware haben würde, keinen Wert darauf legte, vor der Ansichnahme gefragt zu werden und bei Nachfrage der Mitnahme der Käsekartons zugestimmt hätte. Dies begründe einen Tatbestandsirrtum nach § 16 Abs. 1 StGB analog.

Gegen das Urteil der Berufungskammer wendet sich die StA mit der Revision.

Entscheidung

Die zulässige Revision hat in der Sache Erfolg und führt zur Aufhebung des freisprechenden Urteils und zur Zurückverweisung an eine andere Kammer.

Der Senat teilt auf der Basis der getroffenen Feststellungen die Auffassung der Kammer, die irrige Annahme eines mutmaßlichen Einverständnisses schließe den Vorsatz des A vorliegend aus, nicht. Das zum Ausschluss des Vorsatzes führende mutmaßliche Einverständnis des Gewahrsamsinhabers könne nicht allein aus dem fehlenden wirtschaftlichen Wert der Käsekartons gefolgert werden, denn das Eigentum daran werde durch § 242 StGB unabhängig vom Wert der Sache geschützt. Diese Auffassung sei zuletzt durch die Entscheidung des BVerfG zum „Containern“ bestätigt worden.

Vielmehr dürfe der Gewahrsamsinhaber nach der Vorstellung des Beschuldigten keinerlei Interesse an der (weiteren) Verwendung der Sache haben. Ein solches Interesse könne sich beispielsweise aus der Verkehrssicherungspflicht bzw. aus der Pflicht zur ordnungsgemäßen Entsorgung ergeben. Wende man diese Anforderungen auf den vorliegenden Fall an, dann fehle es an dem Anknüpfungspunkt für die Annahme eines mutmaßlichen Einverständnisses. Die Feststellungen seien insoweit widersprüchlich. Die Eigentümerin habe die nicht mehr verkehrsfähige Ware nicht „irgendwie“ loswerden wollen, sondern ein objektives Interesse an der vollständigen Sichtung der Ware und der Verwendung der Ware entsprechend der Empfehlungen des Havariekommissars gehegt. Dies folge bereits aus den einschlägigen Versicherungsbedingungen, die mit Blick auf die Beweissicherung und die Feststellung des Restwerts entsprechende Obliegenheiten vorsehen. Auch hätten aus dem unkontrollierten In-Verkehr-Gelangen des Käses Haftungsrisiken erwachsen können. Die Situation entspreche damit derjenigen, in der ein Container mit nicht mehr verkaufsfähigen Lebensmitteln abgesperrt werde.

Praxishinweis

Dass A sich hier in dem vorstehend geschilderten Fall nicht korrekt verhalten hat, dürfte nicht zweifelhaft sein. Die wenig überraschende Erkenntnis, die man aus der Entscheidung ableiten kann: (Auch) für Beamte der Autobahnpolizei begründet das Ladegut havarierter Fahrzeuge keinen Selbstbedienungsladen.

Im amtlichen Leitsatz nimmt das Gericht auf strafgerichtliche Entscheidungen zum „Containern“ Bezug. Diese Konstellationen (vorrangig zur Wegnahme von Lebensmitteln, die von Supermärkten zur Entsorgung bereitgestellt sind) werfen die grundlegende Frage nach den Grenzen des strafrechtlichen Schutzes des Eigentums auf, weil sie Anlass geben, sich dazu zu positionieren, ob ein rein negatives Ausschluss- ohne ein positives Nutzungsinteresse dem Schutzbereich des § 242 StGB unterfällt (dazu ausführlich Dießner, StV 2020, 256).

Mit den Entscheidungen und Stellungnahmen zum „Containern“, die der Senat anführt, hat das geschilderte Geschehen freilich nur den Begriff des Containers gemein. Die damit verbundene grundlegende Rechtsfrage, ob das für § 242 Abs. 1 StGB erforderliche Tatobjekt - eine fremde bewegliche Sache - vorliegt, ist hier zu bejahen. Unter Zugrundelegung der tatsächlichen Feststellungen war - für den A erkennbar - nicht zweifelhaft, dass der Eigentümerin an der (zeitweisen) Bewahrung des Status quo der Ware gelegen war, war doch der Mitarbeiter, den A zur Herausgabe der Ware aufforderte, zur Bergung (nicht zur Entsorgung) der Ware eingesetzt. Hinzu kommt, dass A nach den Feststellungen sein Herausgabeverlangen auf Ware bezog, die sich zu diesem Zeitpunkt noch im Kühlcontainer (nicht auf der Straße) befand. Selbst wenn dem A nicht bekannt gewesen sein sollte, dass die Sicherung der gesamten Ware aus versicherungsrechtlichen Gründen erforderlich war, hätte ihm jedenfalls der Umstand, dass er Ware forderte, die sich zu diesem Zeitpunkt noch unbeschädigt im Container befand, Anlass geben müssen, an dem mutmaßlichen Einverständnis mit der Mitnahme der Ware zu zweifeln.

Interessante Fragen, die anhand der mitgeteilten Feststellungen nicht beantwortet werden können: Hatte der Mitarbeiter der Bergungsfirma (oder eine andere Person?) den A in irgendeiner Weise in seiner Überzeugung bestärkt, zu dem Vorgehen berechtigt zu sein? Wie hatte A das Herausgabeverlangen ihm gegenüber konkret begründet? Die zweite Frage dürfte die Entscheidung, ob ein Trickdiebstahl oder ein Betrug vorlag, beeinflussen. Vor dem Hintergrund der mitgeführten Waffe (§ 244 Abs. 1 Nr. 1a), 3 StGB!), des unstreitig geringen Vermögensschadens und nicht zuletzt für die dienstrechtliche Sanktionierung des Verhaltens nicht ganz unwichtige Aspekte.


OLG Zweibrücken, Urteil vom 11.07.2022 - 1 OLG 2 Ss 7/22 (LG Detmold), BeckRS 2022, 20727