Interview

Effektiver Rechtsschutz in angemessener Zeit
Interview

Die Verwaltungsgerichtsbarkeit in Rheinland-Pfalz gilt in Sachen Verfahrensdauer als das Maß aller Dinge. Während sich Verwaltungsrichterinnen und -richter in anderen Bundesländern für eine Entscheidung bis zu knapp zwei Jahre Zeit lassen, sind die rheinland-pfälzischen Kollegen deutlich schneller, vor allem in Asylverfahren. Woran liegt das? Fragen an den Präsidenten des VG Trier, Heribert Kröger.

7. Mai 2025

NJW: In Rheinland-Pfalz ergeht ein Urteil in einem verwaltungsgerichtlichen Verfahren im Durchschnitt bereits nach knapp vier Monaten. Selbst in Bayern braucht man dafür fast doppelt so lang. Was machen Sie sowie Ihre Kolleginnen und Kollegen anders als die Verwaltungsrichterinnen und -richter in den übrigen Bundesländern?

Kröger: Der von Ihnen genannte Wert von knapp vier Monaten entspricht der durchschnittlichen Laufzeit von Asyl-Hauptsacheverfahren im Jahr 2023 (3,9 Monate) und umfasst nicht nur Urteile, sondern auch andere Arten der Erledigung. Dieser Wert ist 2024 bei steigenden Eingangszahlen auf 5,5 Monate angewachsen. Die Dauer von Asyl-Eilverfahren pendelt bereits seit vielen Jahren zwischen 0,3 und 0,4 Monaten. In den von uns ebenfalls zu bearbeitenden allgemeinen Verfahren lagen die Laufzeiten in Klageverfahren – auch während der Asylwelle seit 2015 – im Jahresdurchschnitt stets unter sechs Monaten, in Eilverfahren in der Regel unter einem Monat. Zur Tätigkeit anderer Verwaltungsgerichte möchte ich mich nicht äußern, da ich die jeweiligen Verhältnisse dafür nicht gut genug kenne.

NJW: Das verstehen wir natürlich. Gleichwohl werden bei Ihnen schon seit Jahren allen voran Asylverfahren überdurchschnittlich schnell erledigt. Wie gelingt das?

Kröger: Ein wesentlicher Faktor ist die Konzentration von Asylverfahren beim Verwaltungsgericht Trier. Diese führt zu einem hohen Spezialisierungsgrad bei der Bearbeitung der verschiedenen Herkunftsländer sowie bei der Bearbeitung spezieller Verfahrenskonstellationen wie etwa Dublin- und Drittstaatenverfahren. Sie ermöglicht auch, auf Veränderungen des Aufkommens von Verfahren aus bestimmten Herkunftsländern rasch durch Änderungen der Geschäftsverteilung zu reagieren. Zudem trat Rheinland-Pfalz der im Jahr 2015 einsetzenden neuen Asylwelle umgehend mit der erheblichen Aufstockung des richterlichen und nichtrichterlichen Personals sowie der Verbesserung der technischen Ausstattung entgegen. Entsprechend den sinkenden Bestandszahlen wurde Personal seit dem Jahr 2020 mit Augenmaß reduziert, wächst mittlerweile allerdings im Zuge des erneuten Anstiegs der Verfahrenszahlen wieder an. Nicht zu unterschätzen sind schließlich die extrem hohe Motivation und Leistungsbereitschaft aller Bediensteten des Gerichts.

NJW: Was meinen Sie damit konkret?

Kröger: Wir haben alles darangesetzt, die uns zur Verfügung stehenden Mittel möglichst effektiv einzusetzen. Hier nur einige Stichpunkte: in Asylverfahren nahezu ausnahmslos Entscheidungen durch (auch konsentierte) Einzelrichter, Protokollführung und Erstellung von Entscheidungen durch die Richter mittels Spracherkennungssoftware, Fokussierung mündlicher Verhandlungen und Entscheidungen auf entscheidungserhebliche Fragen, ohne berechtigte Anliegen der Beteiligten zu übergehen oder das Rechtsgespräch zu vernachlässigen, angemessen enge Taktung von Verhandlungsterminen, (wo sinnvoll) Entscheidungen durch Urteile ohne mündliche Verhandlungen oder Gerichtsbescheide.

NJW: Dann lassen Sie uns mal über Zahlen reden: Wie viele Asylverfahren werden beim VG Trier pro Richter bzw. Richterin in einem Jahr im Durchschnitt erledigt?

Kröger: Im vergangenen Jahr wurden im Durchschnitt etwa 215 Verfahren je Richter-Arbeitskraftanteil erledigt, davon rund 32 allgemeine (Nichtasyl-)Verfahren. Zur Hochzeit der Asylwelle nach 2015 war die Zahl der erledigten Asylverfahren sogar deutlich höher. Der seinerzeit außerordentliche Einsatz der Angehörigen des richterlichen wie auch des nichtrichterlichen Dienstes ließ sich selbstverständlich nicht auf Dauer durchhalten.

NJW: Verständlich, zumal ja auch die Gefahr besteht, dass diese Schnelligkeit zu Lasten der Qualität der Entscheidungsfindung geht, oder?

Kröger: Natürlich darf Schnelligkeit sich nicht zu Lasten der Qualität auswirken. Es ging uns beim Verwaltungsgericht Trier auch nie darum, in einen Wettbewerb um die kürzesten Laufzeiten einzutreten. Unser Ziel war aber immer und muss auch weiterhin sein, auch bei hohem Verfahrensaufkommen effektiven Rechtsschutz in angemessener Zeit zu gewährleisten und hierdurch zum Funktionieren des Gemeinwesens beizutragen. Dass die Qualität unserer Rechtsprechung nicht unter unserer Effizienz gelitten hat, wurde uns im Übrigen immer wieder – insbesondere von Angehörigen der Rechtsanwaltschaft – bestätigt und schlägt sich auch in den Ergebnissen der Rechtsmittelverfahren nieder.

NJW: Lassen sich überhaupt Rückschlüsse von der Schnelligkeit des Verfahrensabschlusses auf die Qualität der Arbeit eines (Verwaltungs-)Gerichts ziehen?

Kröger: Effektiver Rechtsschutz bedeutet auch Rechtsschutz in angemessen kurzer Zeit. Wird dieser Anspruch nicht erfüllt, unterminiert dies das Vertrauen in die Funktionsfähigkeit des Rechtsstaats. Daher müssen Gerichte die ihnen zur Verfügung stehenden Instrumente nutzen, um Verfahren zügig zu betreiben und zum Abschluss zu bringen. Andererseits müssen natürlich auch die Bedingungen, unter denen die jeweiligen Gerichte agieren – etwa die Personal- und Sachausstattung –, in den Blick genommen werden.

NJW: Es heißt immer wieder, dass die Verwaltungsgerichte mittlerweile in Asylverfahren vor die Verfahrenswelle gekommen seien. Können Sie das bestätigen?

Kröger: Auch hier kann ich nur für das Verwaltungsgericht Trier sprechen: Wir sind im Jahr 2018 vor die Verfahrenswelle gekommen, das heißt wir erledigten seither mehr Verfahren, als in dem jeweiligen Jahr neu eingingen. Dieses Verhältnis hat sich seit dem Jahr 2023 angesichts des Anstiegs der Eingangszahlen umgekehrt. Aufgrund der in Gang gesetzten erneuten Aufstockung des Personals gehe ich aber davon aus, dass wir den Anstieg der Zahl anhängiger Verfahren zumindest abmildern können.

NJW: Wie nachhaltig sind diese Effekte? Werden sie durch einen Anstieg bei anderen Verfahren wieder nivelliert? Wir denken da etwa an Klagen gegen Maßnahmen zur Erreichung der Klimaneutralität und/oder gegen Infrastrukturprojekte.

Kröger: Bei den allgemeinen Verfahren sind die Eingangszahlen im ersten Quartal des laufenden Jahres deutlich höher als im ersten Quartal des vergangenen Jahres. Vermehrte Eingänge gab es hauptsächlich im Rundfunkbeitrags- und Ausländerrecht. Ob dieser Trend in den kommenden Monaten anhalten wird, ist derzeit nicht absehbar.

NJW: CDU/CSU und SPD haben sich im Koalitionsvertrag im Asylrecht unter anderem auf die Geltung des Beibringungs- statt des Amtsermittlungsgrundsatzes verständigt. Können auf diese Weise Asylverfahren bald (deutlich) schneller erledigt werden?

Kröger: Ich bezweifele das. Was genau die Vertragspartner hierunter verstehen und wie dieser Wechsel umgesetzt werden soll, ist bislang unklar.

NJW: Wo sehen Sie darüber hinaus noch Raum, verwaltungsgerichtliche Verfahren zu straffen?

Kröger: Wir haben Asylverfahren auch unter Geltung der bisherigen Regelungen zügig bearbeitet. Wie sich die anstehende Umsetzung des GEAS-Reformpakets auf die gerichtlichen Verfahren auswirken wird, bleibt abzuwarten.

Seit 1.9.​2022 steht Heribert Kröger als Präsident an der Spitze des VG Trier. Seine Karriere in der rheinland-pfälzischen Justiz begann im September 1991 beim VG Koblenz. Vier Jahre später wurde er nach einer Abordnung nach Trier versetzt. Im Januar 2008 wurde er zum Richter am OVG Koblenz befördert. Drei Jahre später übernahm er den Vorsitz einer Kammer am VG Trier. Im Mai 2017 wurde Kröger zum Vizepräsidenten des Gerichts ernannt. 

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Interview: Monika Spiekermann.