Glosse

Geblitzt
Glosse
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Normalerweise kennen unsere Gerichte Rasern gegenüber keine Gnade. Da hilft kein noch so kreativer Erklärungsversuch, etwa man befinde sich wegen des drohenden Besuchs der Schwiegermutter auf der Flucht oder chauffiere den kranken Hamster der Tochter, der umgehend tierärztlichen Beistands bedarf, um das Unvermeidliche abzuwenden. Umso mehr verwundert es, dass ausgerechnet das OLG Stuttgart ein Herz für besonders eilige Verkehrsteilnehmer zu haben scheint. 

14. Feb 2025

Zumindest könnte man einen Beschluss vom 15.1.​2024 (2 Orbs 23 Ss 769/23) dahingehend missverstehen. Aber bevor sich der Gerichtssprengel der baden-württembergischen Landeshauptstadt in den entsprechenden Kreisen zur heimlichen Raser-Hochburg mausert, klären wir auf.

Der Betroffene in dem Fall hatte Ende Oktober 2022 einen rabenschwarzen Tag. Erst wurde er in Ludwigsburg innerorts mit 80 km/h geblitzt, sehr kurz darauf mit gut 150 km/h außerorts. Für den ersten Verstoß kassierte er im Dezember 2022 eine Geldbuße von 180 EUR; beim zweiten Verstoß wurde es beim AG Ludwigsburg mit 1.800 EUR ein bisschen teurer; außerdem verhängte das Gericht ein dreimonatiges Fahrverbot. Die dagegen erhobene Beschwerde sollte es wieder richten, immerhin habe das AG mit seinem Richterspruch gegen das Doppelbestrafungsverbot verstoßen. Die Generalstaatsanwaltschaft winkte ab und verließ sich dabei ganz auf die Ortskenntnisse des Spruchkörpers. Immerhin hatte das AG trotz der identischen Tatzeiten festgestellt, beide Tatorte lägen „wenige Minuten“ auseinander. Anders hingegen das OLG Stuttgart, das das Urteil kassierte und das Verfahren einstellte. Zwar stellten sich nicht alle Vorgänge, die sich auf einer Fahrt ereigneten, als einheitlicher Lebenssachverhalt dar; im vorliegenden Fall brauche es aber deutlich mehr als nur ein wenig Fantasie, um die beiden Blitzer als zwei Lebenssachverhalte zu bewerten. So sei der Betroffene innerhalb von maximal 59 Sekunden zwei Mal geblitzt worden, was schon mal für sich genommen eine echte Leistung sei, wenn auch keine meisterliche. Beide Verstöße habe er ohne Änderung der Fahrtrichtung begangen, sondern lediglich das Gaspedal noch ein bisschen mehr durchgedrückt, nachdem er in die erste Radarfalle getappt war. Das allein mache aber aus einem einheitlichen Lebenssachverhalt bzw. Verkehrsvorgang noch nicht zwei, zumal beide Verstöße auch in subjektiver Hinsicht aufs engste miteinander verbunden seien.

Gehört dieser Beschluss nun ins Handschuhfach einer jeden Freundin, eines jeden Freundes des flotten Fahrstils? Wir wären da eher skeptisch. Denn Hand aufs Herz: Wann wurden Sie zuletzt innerhalb von 59 Sekunden zweimal geblitzt? (Die Entscheidung ist im Volltext abrufbar unter BeckRS 2024, 3036).

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Dr. Monika Spiekermann ist Redakteurin der NJW.