Glosse

Gestochen
Glosse
Daphne / Adobe (KI-generiert)

Eine der vielen Fragen, die sich die Verfasserin dieser Zeilen immer wieder stellt, ist die, weshalb so viele Zeitgenossen und -genossinnen es so wahnsinnig schick finden, sich bunte oder Schwarz-Weiß-Bildchen auf die Haut stechen zu lassen, die sich, wenn überhaupt, nur mit einem erheblichen Aufwand entfernen lassen. 

25. Jul 2025

Warum erfreut sich das, was vor gar nicht so langer Zeit ausschließlich bei Vertretern der Halb- und Unterwelt zu finden war, selbst bei Leuten, die vom Ballermann, sozialen Brennpunkten und dem Justizvollzug so weit entfernt sind wie die Erde vom Mond, so großer und stetig wachsender Beliebtheit, dass sie sich selbst heldenhaft unter die Nadel legen, um mit einem mehr oder weniger fantasievollen Motiv bzw. Spruch – etwa „Mia san Mia“ – auf einer mehr oder weniger edlen Körperstelle für was auch immer zu sorgen?  Wir werden es an dieser Stelle nicht ergründen. Und sollte sich tatsächlich einer aus dem Kreis unserer geschätzten Leserinnen und Leser mit dem Gedanken tragen, sich die Lieblingsnorm oder gar einen Mini-Schönfelder stechen zu lassen, dann möge man im Vorfeld berücksichtigen, dass eine Krankschreibung im Nachgang einer Tätowierung die Lohnfortzahlung kosten kann. Das meint zumindest das LAG Schleswig-Holstein (Urt. v. 22.5.​2025 – 5 Sa 284a/24).

Die Klägerin war bei der Beklagten als Pflegekraft beschäftigt. Eines Tages ließ sie sich ein Tattoo auf den Unterarm applizieren. Über das Motiv lassen uns die Entscheidungsgründe im Ungewissen, es spielte für den zu entscheidenden Fall auch keine Rolle. Viel wichtiger war hingegen, dass sich der Körperschmuck schnell so heftig entzündete, dass diese Hautreaktion nur mit einer ordentlichen Antibiotikagabe sowie einer mehrtägigen Krankschreibung wieder eingefangen werden konnte. Für den fraglichen Zeitraum rechnete die Pflegekraft fest mit der Lohnfortzahlung, doch die Arbeitgeberin weigerte sich. Begründung: Die Arbeitsunfähigkeit sei selbst verschuldet, und das koste das Gehalt für den maßgeblichen Zeitraum, § 3 I 1 EFZG. Wenig überraschend befasste die Tätowierte die Arbeitsgerichte mit ihrem Fall und erlitt im Mai auch beim LAG Schleswig-Holstein juristischen Schiffbruch. Dabei war es die Klägerin selbst, die sich zwar nicht um Kopf um Kragen, aber immerhin um die Entgeltfortzahlung redete. Denn ihren Vortrag, so eine Entzündung sei überaus selten, trete sie doch nur bei maximal 5 % aller Tätowierten auf, parierte das LAG mit einem Hinweis auf die Arzneimittelsicherheit. Fielen nämlich bei einem Medikament bei mehr als 1 % und weniger als 10 % der Patienten etwa die Haare aus oder die Ohren ab oder seien andere Nebenwirkungen zu beobachten, würden diese als häufig qualifiziert. Zwar sei ein Tattoo kein Medikament, gleichwohl alles andere als risikoarm, wie die Klägerin selbst vorgetragen habe. Wenn sie aber eine nicht ganz fernliegende Komplikation billigend in Kauf nehme, weil ihr ein Leben ohne Tattoo möglich, aber sinnlos erscheine, müsse sie, und nicht ihre Arbeitgeberin, finanziell dafür einstehen, wenn sich das mit der Stecherei einhergehende Risiko tatsächlich realisiere. Und damit sich nicht auch noch das BAG mit der Körperverzierung beschäftigen muss, ließ das Gericht die Revision erst gar nicht zu (die Entscheidung ist im Volltext abrufbar unter BeckRS 2025, 14500). 

Dieser Inhalt ist zuerst in der NJW erschienen. Sie möchten die NJW kostenlos testen? Jetzt vier Wochen gratis testen inkl. Online-Modul NJWDirekt.

Dr. Monika Spiekermann ist Redakteurin der NJW.