Glosse

Konzentrationsprobleme
Glosse
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So eine Hauptverhandlung kann schon mal ganz schön zäh sein. Deshalb ist guter Rat teuer, um zum einen nicht auffällig vom Stuhl unter den Verhandlungstisch zu rutschen und zum anderen das Konzentrationslevel möglichst hochzuhalten. Bewährt hat sich dabei ganz generell das sinnfreie Rumkritzeln. 

21. Mrz 2025

Einfach mal einen Stift in der Lieblingsfarbe schnappen und dann mit eben jenem übers Papier Kreise, Schleifen oder Vierecke ziehen, schon schaltet unser Hirn auf „Fokus“, vorausgesetzt, man dreht seine zeichnerischen Pirouetten möglichst entspannt bis meditativ. Gelingt das, dann stehen die Chancen gut, dass unsere rechte Gehirnhälfte aktiviert und die linke zugleich entlastet wird, die dadurch ihre kognitiven PS wieder auf die Straße bringen und beispielsweise einer ausgiebigen Verlesung von Chatprotokollen um bis zu 30 %, so die Neurowissenschaft, besser folgen kann. Und ja, grundsätzlich ist es dem Stammhirn egal, was man so kritzelt. Am einfachsten gelingt der Einstieg mit einfachen geometrischen Figuren. Beherrscht man die, kann man sich an Anspruchsvolleres heranwagen. To-Do-Listen sollten es aber nicht sein. Das meint jetzt zwar nicht die Neurowissenschaft, dafür aber die 45. Kleine Strafkammer des LG Dortmund (Beschl. v. 8.11.​2024 – 45 Ns 131/22 250).

In dem Fall hatte eine Schöffin so ihre liebe Not, der Verlesung eines Extraktionsberichts durch den Vorsitzenden mit der gebotenen Aufmerksamkeit zu folgen. Irgendwann schnappte sie sich ihr Notizbuch und begann damit, darin verschiedene Dinge untereinander aufzulisten, wie man es üblicherweise bei Einkaufslisten tue, wie die Verteidigung später meinte. Nun wäre es für die Laienrichterin ein Leichtes gewesen, sich damit rauszureden, sie habe sich Stichworte zum verlesenen Bericht gemacht. Doch für Verfahrensnotizen hatte sie in der Vergangenheit immer ein DIN A4-Blatt verwendet, das auch während der Verlesung unberührt vor ihr lag und nur darauf zu warten schien, mit Notizen gefüllt zu werden. Das alles erschien dem Verteidiger höchst suspekt, weshalb er am Ende der Verlesung wissen wollte, ob das, was die Schöffin da so eifrig notiert habe, zum Verfahren gehöre. Nein, räumte sie freimütig ein, nicht wirklich. Aber das sei nicht weiter wild, weil sie schon während des Studiums selbst mittelspannenden Ausführungen mit der gebotenen Aufmerksamkeit habe folgen können, indem sie denen mit einigen Kritzeleien begegnete. Das hielt die Verteidigung gleichwohl nicht davon ab, gegen die Aufmerksamkeitskünstlerin einen Befangenheitsantrag anzubringen. Wenig überraschend gab das LG Dortmund dem statt, ohne insoweit neueste neurowissenschaftliche Erkenntnisse zu ignorieren. Denn gegen die angeblich aufmerksamkeitsfördernden Kritzeleien sprachen die Listenform, die Dauer von knapp 20 Minuten und insbesondere, dass zwischendurch das Gekritzelte durchgezählt wurde. Das alles rechtfertigte auch nach Auffassung des LG die Annahme, dass der Fokus der Schöffin während der Beweisaufnahme von anderen Dingen in Beschlag genommen wurde. Für die Kammer hatte der vermeintliche Konzentrations-Boost gravierende Folgen: Die muss nämlich nun mit dem gesamten Verfahren noch einmal von vorne anfangen (die Entscheidung ist im Volltext abrufbar unter BeckRS 2024, 34317). 

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Dr. Monika Spiekermann ist Redakteurin der NJW.