Glosse
Schwergewicht
Glosse
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Früher meinte der Volksmund, dass intellektuell weniger begabte Landwirte, also die, die weder Heidegger noch Horkheimer auf dem Trecker lasen, angeblich die dicksten Kartoffeln ernten konnten. Ob das jemals richtig war, sei mal dahingestellt, denn mittlerweile haben sich die Dinge gewandelt. 

29. Nov 2024

Wer heute in der Landwirtschaft schwarze Zahlen schreiben will, muss im Köpfchen einigermaßen auf Zack sein, schon allein wegen der Brüsseler Bürokratielawine, die sich jedes Jahr auch über die deutschen Äcker wälzt 

– Stichwort Düngeprodukteverordnung oder, ganz aktuell, EU-Entwaldungsverordnung. Aber keine Sorge, liebe Landwirte, Brüssel hat kurz vorm geplanten Inkrafttreten doch noch erkannt, dass Entwaldung mancherorts, etwa in Deutschland, gar kein Thema ist. Deshalb müsst Ihr künftig vielleicht doch nicht Soja, Rindfleisch oder Kartoffeln im Einklang mit der EU-Entwaldungsverordnung produzieren. Aber selbst wenn sich diese Hoffnung zerschlagen sollte – in Sachen Bürokratie muss man bei der EU zwar nicht mit allem, aber mit vielem rechnen –, wollen wir nicht bestreiten, dass wir dem Gesetzgeber auch sinnvolle Verordnungen zu verdanken haben, etwa die StVZO. Damit waren unsere EU-Parlamentarier zwar nie befasst, dafür aber jüngst das OLG Oldenburg (Beschl. v. 8.10.​2024 – 2 ORbs 143/24).

Der Beschwerdeführer, Führer eines landwirtschaftlichen Zugs, war vom AG Nordhorn zu einer Geldbuße in Höhe von knapp 300 EUR verurteilt worden. Dies nicht etwa deshalb, weil er mit seiner Zugmaschine den Rasenden Roland gegeben hätte, sondern weil er mit einem heillos überladenen Gefährt voller Kartoffeln erwischt worden war. Stattliche 30,24 Tonnen brachte das auf die Waage statt der erlaubten 24 Tonnen. Naja, gab der Ertappte ebenso treuherzig wie einfallsreich zu seiner Verteidigung zum Besten, da er kein Landwirt sei, habe er gar nicht erkennen können, dass die Karre ein paar Kartoffeln zu viel auf dem Hänger hatte. Doch wie bereits das AG winkte auch das OLG Oldenburg ab. Ob die Überladung erkennbar war, spiele keine Rolle. Entscheidend sei, dass sie, wie hier, vermeidbar war. Schon ein Blick in den Anhänger hätte genügt, um das Gewicht der Ladung ohne landwirtschaftliche Grundkenntnisse überschlägig zu berechnen. Und wenn er selbst nicht über das nötige Erfahrungswissen verfüge, um seinen Hänger gewichtsmäßig einzuordnen, hätte er vor Fahrtantritt durch entsprechende Erkundigungen die Grundlagen für eine Gewichtsermittlung in Erfahrung bringen müssen und können, beschied ihm das OLG. Lieber Bußgeldsenat, wir schätzen Ihren Einsatz für die Leichtigkeit und Sicherheit des Straßenverkehrs. Aber kann es sein, dass Ihre Erwartungen an den Fahrer einer landwirtschaftlichen Zugmaschine ähnlich überhöht sind wie die der EU-Entwaldungsverordnung an unsere Landwirte? (die Entscheidung ist im Volltext abrufbar unter BeckRS 2024, 30723). 

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Dr. Monika Spiekermann ist Redakteurin der NJW.