Glosse
Idealfahrer
Glosse
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Ach ja, der Idealfahrer, was würde der nicht alles veranstalten, damit die Sicherheit und Leichtigkeit des Straßenverkehrs nicht unter die Räder kommen? Schade nur, dass es ihn so wenig gibt wie den Mann oder die Frau im Mond. Trotzdem wird er immer wieder von den Gerichten bemüht, etwa dem LG Saarbrücken (Urt. v. 20.6.​2024 – 13 S 98/23), um all den anderen, die vom Idealfahrer so weit entfernt sind wie Fred vom Jupiter, ihre Unzulänglichkeit im Straßenverkehr eindrücklich vor Augen zu führen.

4. Okt 2024

Im April 2022 wollten der spätere Kläger und seine Frau mit ihren Fahrzeugen von ihrem Grundstück fahren; allerdings wurde dessen Einfahrt von einem Lkw blockiert. Statt zu dessen Fahrer hinzugehen und ihn freundlich zu bitten, die Einfahrt mal kurz freizugeben, schickte der Kläger einen Dritten vor – für was hat man schließlich seine Leibeigenen? Offensichtlich verliefen die Verhandlungen erfreulich, zumindest rollte der Truck ein paar Meter zurück, und die Ehefrau konnte das Grundstück mit ihrem Fahrzeug ohne Probleme verlassen. Und damit das auch dem Gatten gelänge, gestikulierte sie wild vor dem Fahrer herum, als sie diesen passierte, um ihm deutlich zu machen, dass da noch ein Fahrzeug aus der Einfahrt kommt. Auf die naheliegende Idee, einfach mal den vollelektrischen Fensterheber zu betätigen und ihm das zuzurufen, was sie ihm zuvor aufwendig zugewunken hatte, kam sie nicht. Weil Handzeichen aber noch mehr Raum für Fehlinterpretationen bieten als das gesprochene Wort, möglicherweise verstand der spätere Beklagte die wilde Winkerei als freundlichen Gruß in den Arbeitsalltag, nahmen die Dinge ihren unguten Lauf. Und während der Kläger mit seinem Wagen rückwärts in die Straße einfuhr, rollte der Brummi wieder vor die Grundstückseinfahrt, bis es zur Kollision kam, bei dem allen voran das klägerische Fahrzeug beschädigt wurde. Kostenpunkt: rund 4.000 Euro. Erstinstanzlich entschied das AG im Sinne des Klägers; schließlich sei der Unfall für ihn unabwendbar im Sinne von § 7 III StVG gewesen. Anders das LG Saarbrücken, das dem Kläger mit dem bereits erwähnten Idealfahrer kam. Und der hätte niemals einen Dritten in die Verhandlungen mit dem Lkw-Fahrer geschickt, sondern diese selbst übernommen. Aber auch der Unfallgegner bekam sein Fett weg: Denn der habe wohl nicht in Fahrtrichtung geschaut; anderenfalls hätte er angesichts der geringen Geschwindigkeit beider Fahrzeuge die Kollision vermeiden können. Weil somit das LG bei Kläger und Beklagten in Sachen Idealfahrer noch Raum für Verbesserungen sah, regulierte es den Schadensersatzanspruch des Klägers salomonisch in etwa halbe, halbe (die Entscheidung ist im Volltext abrufbar unter BeckRS 2024, 19025).

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Dr. Monika Spiekermann ist Redakteurin der NJW.