Glosse
Ungeschoren
Glosse
© Ralf Geithe/adobe

Es ist schon paradox: Da spüren wir seit Jahren die Folgen des Klimawandels vor der eigenen Haustür; trotzdem kann das unserer Liebe zu hochmotorisierten Fahrzeugen nichts anhaben. Und wer 300 und mehr PS sein Eigen nennt, der will die auch mal laufen lassen, selbstverständlich völlig klimaneutral, weil besagte 300 und mehr PS keinen klimaschädlichen Verbrenner, sondern ein tonnenschweres E-Mobil antreiben.

16. Aug 2024

Meistens endet das flotte Fahrvergnügen in der nächsten Radarfalle, und der ist es völlig egal, ob ihr nun ein Verbrenner oder ein E-Auto ins Netz gegangen ist. Doch statt zu ihrem Sündenfall zu stehen wie ein Mann oder eben wie eine Frau, behaupten die meisten Geblitzten selbst bei einem gestochen scharfen Beweisfoto kess: „Kennen wir nicht, nie gesehen, den Typ. Muss ein bedauerlicher Irrtum sein“. Was bleibt den Ermittlungsbehörden also anderes übrig, als das Ermittlungsverfahren nach § 170 II StPO einzustellen? Das VG Berlin hätte da eine Idee, die auch ein OWi-Verfahren ohne großen Aufwand voranbringen könnte (Urt. v. 26.6.​2024 – VG 37 K 11/23).

Der Geschäftsführer eines in Berlin ansässigen Unternehmens wurde mit einem Firmenfahrzeug in der Bundeshauptstadt mit 80 km/h in einer Tempo-50-Zone geblitzt. Im Anhörungsschreiben, das sich ein paar Tage später in der Geschäftspost fand, gab man, wie in solchen Fällen vielfach üblich, an, dass es sich hierbei nur um einen Irrtum handeln könne, weshalb man den Verkehrsverstoß nicht zugebe und auch keine Angaben zum Fahrer machen könne. Versuche, den Geschäftsführer vorzuladen, weil die Ermittlungsbehörde angesichts des Fahrzeugs, mit dem der Verstoß begangen wurde, so eine Ahnung hatten, liefen ins Leere. Daraufhin wurde das Verfahren nach § 170 II StPO eingestellt, und die Verwaltungsbehörde ließ der auskunftsunfreudigen Firma als Halterin eine Fahrtenbuchauflage zukommen, die die derart Bedachte vor dem VG angriff. Und das mit gutem Erfolg. Denn im konkreten Fall sei die Feststellung des Fahrzeugführers alles andere als unmöglich gewesen, wie der zuständige Einzelrichter befand. Einfach mal den Namen des Geschäftsführers der Klägerin bei Google eingeben, schon spuckt die Suchmaschine eine Fülle von Fotos aus, die eine Person zeigen, die erstaunliche Ähnlichkeiten mit der von dem Blitzerfoto aufwies. Mehr noch: Die hätten glatt als Zwillinge durchgehen können. Das VG kassierte daraufhin die Fahrtenbuchauflage. Und weil es für eine ordnungswidrigkeitsrechtliche Verfolgung des flotten Geschäftsführers nun zu spät war, immerhin lag dem Fall eine Geschwindigkeitsübertretung von Mai 2019 zugrunde, kamen im konkreten Fall die maßgeblich Beteiligten ungeschoren davon (die Entscheidung ist im Volltext abrufbar unter BeckRS 2024, 16308).

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Dr. Monika Spiekermann ist Redakteurin der NJW.