Und das aus gutem Grund. Denn immer mehr Rentenbeziehern stehen immer weniger Beitragszahler gegenüber. Wer immer noch nicht weiß, von was hier die Rede ist, der stellt sich jetzt mal bitteschön Justitia mit ihrer Waage vor. Normalerweise pendeln deren beiden Waagschalen aus gutem Grund auf gleicher Höhe. Wenn jetzt aber in der einen Schale diejenigen hocken, die in die Rentenkasse einzahlen, und in der anderen die, die ihre Rente verjubeln, vielleicht sogar noch im sonnigen Ausland, was passiert dann wohl mit Justitias Waage? Genau, die mit Rentnern vollbesetzte Schale katapultiert die mit den paar mickrigen Beitragszahlern in die Höhe, und deren Insassen hoffen auf das baldige Eingreifen, nein, nicht der Politik, sondern von jemandem, der sich mit Höhenrettung auskennt. Deshalb setzen die Rentenkassen alles daran, möglichst viele Erwerbstätige sowie deren Brötchengeber in die rentenversicherungsrechtliche Pflicht zu nehmen. Schützenhilfe erhalten sie dabei – wer hätte das gedacht – vielfach von den Arbeitgebern selbst, die es Rentenversicherung und auch der Justiz recht einfach machen, einen angeblich selbstständig Beschäftigten als Scheinselbstständigen zu entlarven. Das ist jüngst erst wieder dem LSG Hessen ohne großen argumentativen Aufwand gelungen (Urt. v. 2.5.2024 – L 1 BA 22/23).
Geklagt hatte ein gemeinnütziger Reitverein, dem die Rentenversicherung im Anschluss an eine Betriebsprüfung eine Beitragsnachforderung in Höhe von rund 3.640?Euro in Rechnung gestellt hatte. Im Zuge dieser Prüfung war nämlich rausgekommen, dass sich auf dem Vereinsgelände in den Jahren 2015 bis 2018 eine Reitlehrerin tummelte, die pro Woche zwischen zwölf und 20?Stunden unterrichtete und dafür 18?Euro pro Stunde vom Verein erhielt. Gleichwohl war der – zugegeben, ein bisschen naiv – davon ausgegangen, dass dieser Unterricht im Rahmen einer selbstständigen Tätigkeit erteilt wurde. Dieser Sichtweise wollten weder die Rentenversicherung noch die hessische Sozialgerichtsbarkeit folgen. Dabei fanden sie es nicht weiter problematisch, dass auf dem Vereinsgelände unterrichtet wurde, wohl aber, dass die angeblich selbstständig tätige Reitlehrerin über kein einziges eigenes Schulpferd verfügte, sondern insoweit auf den Bestand des Klägers zurückgriff, der auch noch Sättel und Zaumzeuge stellte. Des Weiteren musste sie ihre Unterrichtszeiten mit ihm abstimmen, der auch die Preise diktierte, die ihre Schüler pro Stunde zu berappen hatten. Und als der Betriebsprüfer in dem geprüften Zeitraum keine einzige Rechnung der Reitlehrerin über ihre Dienstleistungen fand, sprach auch aus Sicht des LSG nichts mehr für deren angeblich selbstständige Tätigkeit. Zumal der klagende Verein diese auf seiner Homepage zu allem Übel und voller Stolz als „seine Reitlehrerin“ bewarb (die Entscheidung ist im Volltext abrufbar unter BeckRS 2024, 13723).
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