NJW-Editorial

Gesellschafterdarlehensrecht am Ende?
NJW-Editorial

Die EuGH-Vorlage des IX. Zivilsenats vom 16.1.​2025 (IX ZR 229/23, BeckRS 2025, 486) birgt enorme Sprengkraft. Die Antwort des EuGH könnte dem deutschen Recht der Gesellschafterdarlehen (§§ 39 I 1 Nr. 5, 44a, 135 InsO) den Garaus machen.

6. Feb 2025

Auf den ersten Blick geht es nur um eine Auslegungsfrage des internationalen Insolvenzrechts zu Art. 13 EuInsVO 2000 bzw. Art. 16 EuInsVO 2015: Ist eine Kreditrückführung an Gesellschafter auch dann nach § 135 InsO anfechtbar, wenn der Kredit vom Ausland aus an eine in Deutschland beheimatete Gesellschaft (mit beschränkter Haftung) vergeben wurde, etwa von einer im Ausland angesiedelten Konzernmutter oder Schwestergesellschaft (vgl. dazu jüngst Scholz/Bitter, GmbHG, 13. Aufl. 2025, § 135 InsO Rn. 523 ff., insbes. Rn. 533 ff.)? Falls die Anwendung des deutschen Gesellschafterdarlehensrechts durch Einschaltung ausländischer Finanzierungsgesellschaften und Wahl des ausländischen Rechts für den Kreditvertrag vermieden werden könnte, geriete es allgemein auf den Prüfstand. Niemandem wäre es nämlich zu vermitteln, wenn sich allein grenzüberschreitend tätige Konzerne diesem Schutzrecht für Gesellschaftsgläubiger entziehen könnten, während allein der inländische Gesellschafter einer deutschen GmbH – der „kleine Mann“ – weiter in die Verantwortung genommen wird.

Der IX. Zivilsenat positioniert sich klar für eine Beibehaltung des Gesellschafterdarlehensrechts auch in grenzüberschreitenden Fällen, weil die Idee des mit Art. 16 EuInsVO 2015 (Art. 13 EuInsVO 2000) bezweckten Vertrauensschutzes durch Einschränkung der Insolvenzanfechtung nur auf zwei voneinander unabhängige Vertragspartner, nicht aber auf die enge Beziehung zwischen Gesellschafter und Gesellschaft passt. Wörtlich heißt es dazu in Rn. 32 des Beschlusses: „Demgemäß wird in der deutschen Praxis und Wissenschaft angenommen, dass ein im In- oder Ausland beheimateter Gesellschafter, der sich an einer Gesellschaft mit Sitz in Deutschland beteiligt und diese über Darlehen finanziert, nicht darauf vertrauen kann, dass diese Finanzierungsmaßnahme insolvenzrechtlich nur nach dem Statut des Schuldvertrags beurteilt wird (OLG Naumburg, ZIP 2011, 677 (679); Schmidt/Brinkmann, InsO, 20. Aufl., Art. 16 EuInsVO Rn. 8; Scholz/Bitter, GmbHG, 13. Aufl., § 135 InsO Rn. 538). Die Gewährung eines Gesellschafterdarlehens stellt in der Tat kein normales Verkehrsgeschäft dar. Bei einmaligen oder auch wiederholten Lieferbeziehungen erscheint angesichts des bloßen Leistungsaustauschs eine Rechtswahl anerkennungswürdig, aber nicht bei der Finanzierung eines Unternehmens durch seinen Gesellschafter (vgl. Gehrlein, ZInsO 2020, 2591, 2594).“

Ob der EuGH dem folgen wird, erscheint höchst ungewiss. Verneint er die Anfechtbarkeit im grenzüberschreitenden Kontext, gerät das Gesellschafterdarlehensrecht auch national unter Druck. Seine Tage dürften dann gezählt sein. 

Dieser Inhalt ist zuerst in der NJW erschienen. Sie möchten die NJW kostenlos testen? Jetzt vier Wochen gratis testen inkl. Online-Modul NJWDirekt.

Prof. Dr. Georg Bitter ist Lehrstuhlinhaber an der Universität Mannheim.