Im Zentrum der EGMR-Entscheidung steht die Beschlagnahme von Unterlagen aus einer Internal Investigation bei der oben genannten Kanzlei. Das BVerfG hatte klargestellt, dass eine Ausdehnung des absoluten Beschlagnahmeschutzes verfassungsrechtlich nicht angezeigt ist: Dieser gelte nach § 97 I Nr. 3 StPO nur im Rahmen eines Vertrauensverhältnisses zwischen einem Verteidiger und Beschuldigten. Für Unternehmen und ihre Rechtsanwälte komme dies nur in Betracht, wenn sich ein Ordnungswidrigkeiten- oder Einziehungsverfahren „objektiv abzeichnet“. Diese Auslegung wurde stark kritisiert, weil sie keine Klarheit bringt. Ohne klare Regelungen entscheiden die Ermittler selbst über die Beschlagnahmefähigkeit anwaltlicher Unterlagen. Das LG Hamburg (BeckRS 2023, 10993) hatte eine Beschlagnahme von Unterlagen bei einer Anwaltskanzlei aus einer Investigation genau deshalb für rechtswidrig erklärt: die Staatsanwaltschaft hatte die mögliche Einbeziehung des Unternehmens als Betroffene in einem Ordnungswidrigkeitenverfahren in der Akte festgehalten und trotzdem eine beschuldigtenähnliche Stellung verneint. Der EGMR hat die Linie des BVerfG nun bestätigt. Er kam zu dem Schluss, dass die Durchsuchung und Sicherstellung von Dokumenten zwar einen Eingriff in die Rechte der Beschwerdeführer darstellten, dieser jedoch gerechtfertigt war. Ein zentraler Punkt des EGMR war, dass die anwaltliche Tätigkeit im Rahmen einer Internal Investigation nicht zum Kernbereich des Anwaltsprivilegs gehöre.
Diese Entwicklung ist rechtsstaatlich nicht mehr hinnehmbar. Der strafrechtliche Unternehmensberater ist in der Praxis bereits in vielen Facetten Wirklichkeit: als Berater des Unternehmens zur Vermeidung von Straftaten, als Koordinator in Verfahren gegen Leitungspersonen oder als Verteidiger gegen das Unternehmen betreffende Bußgeld- und Einziehungsverfahren. Diese Tätigkeiten lassen sich in der „gefährlichen Veranstaltung Strafverfahren“ (Winfried Hassemer) nicht trennscharf abgrenzen. Im Ergebnis beschneiden EGMR und BVerfG die Verteidigungsrechte der Unternehmen, die in Ermittlungsverfahren häufig im Zentrum der Ermittlungen stehen, Ziel von empfindlichen Ermittlungsmaßnahmen sind und mit Sanktionen belegt werden können. Die Justizgrundrechte kommen ihnen dabei genauso zu wie natürlichen Personen. Es ist an der Zeit, dass der Gesetzgeber handelt und klare Regelungen schafft, die die Verteidigungsrechte von Unternehmen in Wirtschaftsstrafverfahren umfassend gewährleisten. All dies ist nicht zuletzt ein Gebot des Rechtsstaats.
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