NJW-Editorial

Klima-Revolution beim IGH
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Das Klima-Gutachten des Internationalen Gerichtshofs ist ein Donnerschlag. Der IGH als Quasi-Weltverfassungsgericht liest Paris-Abkommen und Menschenrechte so, dass der Klimawandel auf 1,5 Grad gegenüber der vorindustriellen Zeit begrenzt werden muss. Also nicht 2 Grad, wie es in der Politik meist noch heißt.

14. Aug 2025

Das bedeutet nach den neuesten Klimadaten, dass ein Industriestaat wie Deutschland (1 % der Weltbevölkerung) sein Pro-Kopf-Budget bereits aufgebraucht hat. Wir müssten also jetzt klimaneutral sein, nicht 2045 oder noch später, wie oft zu hören ist.

Da der IGH seine Sicht auch aus Menschenrechten und Völkergewohnheitsrecht herleitet, nützt etwa den USA selbst ihr Austritt aus dem Paris-Abkommen nichts. Sie müssen trotzdem zeitnah raus aus den fossilen Brennstoffen – also genau das Gegenteil von dem, was die US-Regierung derzeit will. Zudem müssen Verursacher künftig Klimaschäden kompensieren, also gerade die Industriestaaten mit ihrem hohen Anteil an den historischen Emissionen zugunsten der primär geschädigten Länder des globalen Südens. Fossile Konzessionen und Subventionen durch den Staat wertet der IGH dabei als schuldhaftes Verhalten.

Gerade Entwicklungsländer werden jetzt vor dem IGH klagen – auf Unterlassung und auf Kompensation ihrer schon heute massiven Klimaschäden in Höhe des Anteils, den der jeweilige Industriestaat an den historischen Emissionen hat, im Fall von Deutschland etwa 5 %. Allerdings muss dann der Nachweis geführt werden, dass etwa Hochwasserschäden wirklich Klimawandelfolgeschäden sind. Das wird zu intensiven Debatten führen. Was aber klar ist: Staaten mit nachlässiger Klimapolitik gehen ab sofort ein hohes Risiko ein. Rückenwind erhalten so die beim BVerfG liegenden neuen Klimaklagen, die die damit inkompatiblen deutschen und EU-Klimaziele ins Visier nehmen. Ähnliches gilt mittelbar für die weltweit erste Biodiversitäts-Verfassungsbeschwerde.

Das IGH-Gutachten hat auch Lücken. Die Tierhaltung als zweite große Emissionsquelle neben den fossilen Brennstoffen bleibt unerwähnt. Auch sie muss stark reduziert werden. Ebenfalls unerwähnt bleibt, dass ein zeitnaher Ausstieg aus den fossilen Brennstoffen auch für den Weltfrieden ein massiver Schritt nach vorn wäre, finanzieren sich aggressive Staaten wie Russland doch maßgeblich aus fossilen Verkäufen. Dass der Klimawandel langfristig um ein Vielfaches teurer wäre als eine gute Klimapolitik, benennt der IGH dagegen klar.

Der IGH geht nicht wie das BVerfG den Umweg, den Klima-Grundrechtsschutz über die Figur einer erst verschlafenen und später dann überstürzten Klimapolitik zu rechtfertigen. Er sieht, dass der Klimawandel – und nicht die verspätete Klimapolitik – die eigentliche Freiheitsgefahr ist. Denn ohne Leben, Gesundheit und Existenzminimum gibt es keine Freiheit.

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Prof. Dr. Dr. Felix Ekardt, LL.M., M. A., ist Leiter der Forschungsstelle Nachhaltigkeit und Klimapolitik in Leipzig und lehrt an der Universität Rostock.