NJW-Editorial

Gesetzesadressat KI
NJW-Editorial

Parlamentsgesetze adressierten bisher natürliche und juristische Personen. Dabei ist auch ohne ausdrückliche Normierung im Grundgesetz von der verfassungsrechtlichen Festlegung der Staats- und Gesetzessprache Deutsch auszugehen (Kirchhof HdbStR II, § 20 Rn. 100). 

31. Jul 2025

Nach § 42 V GGO müssen die Regelwerke möglichst für jedermann verständlich gefasst sein. Dabei meint „jedermann“ nach § 42 IV GGO iVm dem Handbuch der Rechtsförmlichkeit den durch das jeweilige Gesetz berechtigten oder verpflichteten Personenkreis. Gesetze, die an einen unbegrenzten Adressatenkreis und damit tatsächlich an „jedermann“ gerichtet sind, wie etwa das Strafgesetzbuch, sollten von einer durchschnittlich verständigen Person inhaltlich erfasst werden können. Bei an eingeschränkte Adressatenkreise gerichteten Gesetzen nennt das Handbuch als relevante Gesetzeshörer konkrete natürliche Personengruppen wie Handwerker, Winzer und Richter (S. 33 Rn. 55, 56).

Zu diesem hergebrachten und in Parlamentsgesetzen angesprochenen personalen Kreis gesellt sich aktuell ein neuer Adressat: Künstliche Intelligenz (KI). So fordert zum Beispiel der vom Normenkontrollrat entwickelte Digitalcheck in einem zweiten Schritt ausdrücklich, den Gesetzestext so digitaltauglich wie möglich aufzuschreiben (§ 4 III NKRG nF). Dabei soll KI die Gesetze nicht nur verstehen, sondern auch bei der Anwendung Hilfe leisten. Allerdings „hört“ die Technologie KI anders als natürliche und juristische Personen. Deshalb muss Gesetzessprache so angepasst werden, dass „digitaltaugliches“, „maschinenverständliches“ und „maschinentaugliches“ Recht entsteht. Es soll dann gleichsam als Teil der Datenverarbeitung einen digitalen Vollzug ermöglichen. „Law as Code“ steht für die Forderung nach einer „Übersetzung“ von Gesetzestext in Programmcodes.

Diese durch den technischen Fortschritt im Bereich der durch Autonomie und die Fähigkeit zum Ableiten gekennzeichneten KI (Art. 3 Ziff. 1 KI-VO) vorangetriebene Erweiterung des Adressatenkreises von Gesetzen stellt eine wesentliche Änderung rechtlicher Vorgaben dar. Nach der vom BVerfG entwickelten Wesentlichkeitslehre muss allerdings der Gesetzgeber alle zentralen Entscheidungen selbst treffen und staatliches Handeln in grundlegenden Bereichen durch ein förmliches Gesetz legitimieren (Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestags, WD 3 – 3000 – 152/19, S. 3 mwN). Die Integration der Digital- und inzident auch KI-Tauglichkeit in das vom Gesetzgeber bei seinen Formulierungen zu beachtende Pflichtensystem und die darin immanente Ausweitung des Kreises der Gesetzesadressaten ist keine unwesentliche „Rechtschreibreform“ (BVerfG NJW 1998, 2515) im Bereich der Legistik. Es liegt vielmehr ein im Blick auf Umfang des Adressatenkreises, die Langzeitwirkung und die Spaltung der Gesetzessprache in „Code“ und „Law“ wesentlicher Paradigmenwechsel vor. Conclusio: Die Installation der KI als wesentlicher neuer Gesetzesadressat bedarf einer Legitimation durch den parlamentarischen Gesetzgeber.

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Rechtsanwalt Dr. Thomas Ritter ist Fachanwalt für Arbeitsrecht und für Medizinrecht in Berlin.