NJW-Editorial
Keine Finanzinvestoren in Kanzleien
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© Pascal Bünning

Der Zugang zum lukrativen deutschen Anwaltsmarkt bleibt reinen Finanzinvestoren jedenfalls vorerst verschlossen. Nicht ganz überraschend hat sich der EuGH mit seinem Urteil vom 17.12.​2024 (C-295/23, BeckRS 2024, 35915) geweigert, dem deutschen Gesetzgeber eine Öffnung für den sogenannten Fremdbesitz in anwaltlichen Berufsausübungsgesellschaften abzuverlangen.

9. Jan 2025

Mit diesem missverständlichen Begriff wird die Beteiligung von nicht aktiv mitarbeitenden Gesellschaftern an Anwaltsgesellschaften umschrieben. Gut so, kann man der Großen Kammer des EuGH nur zurufen, denn die Frage, ob sich rein finanzielle Interessen verfolgende Investoren an Anwaltsgesellschaften beteiligen können, betrifft mit der Unabhängigkeit den Wesenskern des anwaltlichen Berufsbildes, über den die nationalen Gesetzgeber mangels europäischer Harmonisierungsregeln autonom entscheiden können sollten. Der EuGH hat zu Recht den Mitgliedstaaten einen weiten Beurteilungsspielraum bei der Einschätzung der Gefahren eingeräumt, die mit der Beteiligung von Investoren verbunden sind. Im Gegensatz zu den Schlussanträgen des Generalanwalts hat er – zutreffend, wenn auch leider ohne nähere Begründung – einen Verstoß gegen das Kohärenzgebot verneint. Im Ergebnis ist dies eine willkommene Bestätigung des Ansatzes der Großen BRAO-Reform, die sich entsprechend dem Vorschlag des Verfassers und gegen breite Kritik für die Beibehaltung des Grundsatzes der aktiven Mitarbeit entschieden hat. Reine Finanzinvestoren scheiden durchaus folgerichtig schon deshalb als Gesellschafter aus, weil ihre unternehmerische Betätigung gerade nicht aus der Anwaltsgesellschaft heraus erfolgen soll.

Der EuGH hat sich nicht nur mehrfach zum Grundsatz der aktiven Mitarbeit bekannt, sondern auch die davon zu trennende Frage beantwortet, ob der Kreis der sozietätsfähigen Berufe über die von § 59c BRAO bereits erfassten Angehörigen der Freien Berufe hinaus auf Gewerbetreibende erstreckt werden muss. Mit seiner Entscheidung ist klargestellt, dass jedenfalls die europäischen Grundfreiheiten diese Öffnung nicht erzwingen. Der deutsche Gesetzgeber hat somit Gestaltungsfreiheit. Er könnte durchaus sämtliche Berufe einbeziehen, die ein Rechtsanwalt nach § 7 S. 1 Nr. 8 BRAO als Zweitberuf ausüben darf. Es spricht aber manches dafür, zunächst die Folgen der Öffnung für sämtliche Freien Berufe abzuwarten. Bleiben hier negative Entwicklungen für den Anwaltsberuf als Vertrauensberuf und Garanten der Rechtsstaatlichkeit aus, so mag man weitere Liberalisierungen in Erwägung ziehen. Das neue Votum des EuGH bedeutet eine bemerkenswerte Kehrtwendung in seiner Entscheidungspraxis: Der Gerichtshof sieht sich im Berufsrecht nicht mehr primär als Integrationsmotor, sondern als Hüter der Rechtsstaatlichkeit und weist dabei einer unabhängigen Anwaltschaft zu Recht eine tragende Rolle zu.

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Prof. Dr. Martin Henssler ist Geschäftsführender Direktor des Instituts für Anwaltsrecht an der Universität zu Köln.